Frieden

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Durch etwas Warmes auf meiner Stirn wurde ich behutsam geweckt. Jemand sagte immer und immer wieder sanft meinen Namen und schließlich öffnete ich meine Augen. Um mich herum hörte ich drei Personen erleichtert aufatmen und kurz darauf entfernten sich Schritte.
Langsam setzte ich mich auf, doch Adrien drückte mich zurück. Ich lag im Wohnzimmer auf einer schwarzen Couch.
„Was... Was ist passiert?", stotterte ich und setzte mich trotz Adriens Warnungen auf.
„Du bist umgekippt.", berichtete er „Nachdem du meine Küche vor Rafaels Kochkünsten gerettet und er dir meine Geschichte grob erzählt hat." Ich sah in seine Augen und bemerkte wie seine Finger gleichmäßig kleine Kreise auf meinen Handrücken malten. Es war ein schönes Gefühl, dass ich in meinem Leben nicht mehr missen wollte. Ich wollte ihn nicht mehr missen.
Und genau das war der Punkt: Es war gefährlich jemanden wie ihn in seinem eignen Leben haben zu wollen. Aber ich wollte einmal - ein einziges Mal - egoistisch sein und ihn haben. Ich wollte dass er mein war. Und ich wollte, dass er genauso fühlte.
„Oh.", brachte ich nur hervor und schaffte es unter großer Anstrengung auf meine Beine. Ich hatte keine drei Schritte gemacht, da verlor ich das Gleichgewicht und drohte zu Boden zu stürzen. Bevor ich jedoch auf dem Grund aufschlagen konnte, war Adrien da und half mir zurück auf die Füße. Er half mir bis zum Fenster und ich war mir dessen mehr als nur bewusst. Als die kleine Stufe zur Terrasse kam, hob er mich hoch und setzte mich draußen auf einem großen hängenden runden Bett ab. Die ganze Konstruktion bestand aus einer runden Schale auf der eine Matratze lag. Letztere wurde von Eisenschnüren gehalten und schaukelte leicht, als Adrien mich darauf absetzte. Mit rotem Gesicht nickte ich ihm dankbar zu. Kurz verschwand er nochmal im Haus und kam keine Sekunde später mit zwei großen Decken wieder.
„Darf ich?", fragte er und deutet auf den Platz neben mir.
Erstaunt nickte ich wieder und so legte er sich neben mich und breitete erst die eine Decke über mich aus und deckte uns beide zusätzlich mit der zweiten zu.
Dann legte er einen Arm um mich und zog mich näher zu sich. Ich barg meinen Kopf an seiner Brust und lauschte einfach nur seinem Herzschlag. Er seufzte in meine Haare. Und das erste Mal seit ich von Zuhause weg war, fühlte ich mich geborgen und angekommen. Und wenn ich ehrlich war, war es ein wunderschönes Gefühl.
„Es tut mir leid, dass du zurückkommen musstest.", flüsterte ich irgendwann als ich die Stille nicht mehr aushielt. Auch wenn es angenehm war.
„Talia ich bitte dich. Für dich würde ich sogar ein Treffen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten abbrechen.", lachte er und mein Herz öffnete sich.
„Ich wollte nicht, dass du deinen Termin abbrechen musst. Mir geht's gut.", behauptete ich aber meine dünne Stimme sagte etwas ganz anderes.
Adriens Augen blickten mir gutmütig entgegen. „Dir geht es nicht gut. Und das wissen wir beide." Leicht fuhr er mir mit einer Hand über die Wangen und ich schmiegte mich in seine Berührung.
„Es geht mir gut.", beteuerte ich dennoch und wich seinem Blick aus.
Sanft aber bestimmt nahm er mein Kinn in seine Hand und drehte es so, dass ich ihn ansehen musste. In meinen Augen glitzerten Tränen.
„Nein das tut es nicht. Talia wem lügst du hier etwas vor? Mir brauchst du es nicht.", sagte leise und schaute mich besorgt an.
„Ich... Ach ich weiß es doch auch nicht!" Resigniert ließ ich die Schultern sinken.
„Hier kannst du sein wer du wirklich bist. Du musst nicht stark sein wenn du nicht willst. Ich zwinge dich nicht. Mir ist wichtig dass du das weißt. Es tut mir leid was ich gesagt habe. So wie du bist, bist du eben. Und genau das ist es was dich so unglaublich macht.", meinte er leise und ich schaffte es nicht seinen Blick aus meinem zu lösen. Konnte er nicht einfach wegsehen. Es wäre einfacher zu antworten, wenn mich nicht diese Augen beobachten würden. Diese wunderschönen Augen.
Ich spürte wie die Röte mir in die Wangen schoss und fuhr mir mit den Händen darüber.
Er lachte leise.
"Und wollen wir nun über einen Waffenstillstand diskutieren?", Fragte ich dann nach drei, vier Minuten des erneuten Schweigens.
Ich sah, dass er schmunzelte. "Wenn du dich gut genug dafür fühlst. Meine letzte Friedensverhandlung endete mit sechs abgeschlagenen Köpfen."
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich ihn entsetzt an. "Das ist nicht dein Ernst!?" Zutrauen würde ich es ihm.
Adrien zog die Lippen zusammen und dachte einen kurzen Moment nach. Hallo an so etwas musste man sich doch nicht erst wieder erinnern!
Dann sah er mich an. "Nein. Du hast Recht. Es ist nicht mein Ernst.", klärte er mich auf und ich atmete erleichtert aus.
„Erzähl mir so etwas nicht! Ich bin der leichtgläubigste Mensch auf Erden." Spielerisch boxte ich ihm auf die Schulter, was er jedoch nur mit einem Lachen quittierte.
„So herzlos wäre selbst ich nicht.", kicherte er und legte seinen Arm wieder über meine Schultern.
„Also findest du es nicht herzlos die Seelen von Menschen zu verzehren?" Herausfordernd sah ich ihn an. Er war mir so nah. Uns trennten wirklich nur so wenige Zentimeter. Es wäre so leicht. Ich müsste mich nur vorlehnen.
„Das habe ich nicht gesagt." Schlagartig war die Kälte zurück in seiner Stimme.
„Aber fakt ist, dass du es tust.", bohrte ich weiter.
„Du hast ja keine Ahnung." Er fuhr sich müde mit der Hand über das schöne Gesicht und verwuschelte seine Haare, ohne dass er es merkte.
„Dann erklär es mir.", bat ich und setzte mich weiter auf.
„Glaub mir, wenn es einen anderen Weg gäbe, so würde ich ihn wählen." Er sprach leise, aber dennoch so dass ich jedes Wort verstand als wäre es mein eigenes. „Ich mache das auch nicht freiwillig. Außerdem töte ich die Leute nicht, wenn es nicht muss. Eine Zeit lang habe ich es getan. Weil es mir Spaß gemacht hat. Weil ich meine Macht ausspielen wollte. Aber ich verspreche dir, ich habe es irgendwann bereut."
Gespannt lauschte ich seinen Sätzen und sog sie förmlich auf. Vielleicht wollte ich auch nur, dass er etwas erzählte um die Bewegungen seiner Lippen zu beobachten...
„Ich nehme mir nur das was ich brauche! Damit ich nicht zu einem Monster werde, dass alles menschliche in einem Umkreis von zwanzig Kilometern kalt ermordet. Ich bin wie ein Junkie. Ich kann nie genug kriegen und wenn ich auf Entzug bin, hat es schreckliche Folgen für alle in meiner Nähe. Für alle die mir etwas bedeuten." Bei seinen letzten Worten sah er mich liebevoll an und seine Augen begannen wunderschön zu glitzern.
„Rafael hat gesagt, du brauchst mehr seit ich hier bin.", sagte ich leise und blickte in die Ferne. Der Himmel fing an sich rötlich zu verfärben und die Sonne versank allmählich hinterm Horizont.
Einige Zeit antwortete er nicht und als er dann endlich etwas entgegnete war seine Stimme unglaublich müde. „Das ist wahr. Ich brauche mehr. Aber nur um dich zu schützen."
„Ich möchte nicht, dass andere Menschen wegen mir leiden müssen." Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf meine Atmung. Was wenn Adrien bereits jemanden getötet hatte? Wegen mir? Ich wüsste nicht wie ich damit umgehen sollte.
„Sie leiden nicht.", versuchte er mich zu beruhigen. Aber trotzdem blieb da dieses seltsame Gefühl in meiner Magengegend, dass mir etwas anderes sagte.
„Ach wirklich?" Überzeugt war ich nicht.
„Nein. Wenn ich nicht alles nehme, kriegt niemand etwas mit." Er holte tief Luft und überlegte wohl wie er es mir am besten erklären könnte. „Es ist wie ein Kuss. Ganz leicht. Auf die Lippen. Als streiche jemand mit einer Feder darüber. Bevor jemand es merkt, bin ich schon wieder weg. Schmerzhaft wird es erst, wenn ich alles nehme. Aber das habe ich mir wie gesagt abgewöhnt."
Unschlüssig sah ich ihn an. Es klang so harmlos. Und dennoch konnte es einen die Seele kosten.
„Und von mir würdest du nicht...", begann ich und ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.
„Nein.", meinte er direkt. Offenbar war es ziemlich leicht zu sehen auf was ich hinaus wollte. „Nicht solange du es nicht auch willst."
Lächelnd sah ich ihn an. „Wirklich?"
„Wirklich. Talia. Du bist anders. Ich möchte nicht, dass du von mir denkst, ich wäre ein Mörder oder sogar schlimmeres."
Ich fragte ihn nicht was es noch schlimmeres als einen Mörder gab. Er war sehr viel älter als ich und über so etwas wollte ich nicht mit ihm diskutieren. Ich würde eh nur wieder verlieren.
Danach saßen wir lange Zeit einfach eng aneinander gekuschelt auf diesem schwebenden Bett und sahen zu wie die Sonne unterging. Es war wundervoll. Den tollsten Mann dieses Universums in meinem Rücken und eines der schönsten Naturschauspiele vor mir. Daran könnte ich mich gewöhnen. Als mir irgendwann fast die Augen zufielen, hob Adrien mich hoch und trug mich ins Bett. Sein Bett. Das in der letzten Zeit zu unserem geworden war. Und es störte mich nicht.
Er deckte mich zu und bevor ich mich in die Decken kuschelte küsste er mich sanft auf die Stirn. „Schlaf gut, meine kleine Talia.", flüsterte er an meinem Ohr und kurz darauf wurde das Licht im Zimmer gelöscht.
„Frieden?", fragte ich leise bevor Adrien fast die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte. Der ganze Raum war dunkel. Nur ein kleiner Lichtstreifen in dem seine Silhouette stand, fiel herein. Erst dachte ich er hätte mich nicht gehört, doch dann konnte ich ihn leise lachen hören.
„Frieden.", wiederholte er und verließ das Zimmer.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now