Lass das Spiel beginnen...

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Das Stahlrohr glitt mir aus der Hand und schlug viel zu laut auf dem Grund auf.
"W... Was machst du hier?", fragte ich leise und blickte ihn an.
Wochenlang hatten Adrien und ich uns den Kopf darüber zerbrochen, was mit ihm passiert war.
Und jetzt stand er hier, direkt vor mir. Als wäre nie etwas geschehen.
Das konnte nicht sein! Das... Das passte einfach nicht!
"Wir haben uns Sorgen gemacht!", warf ich ihm vor.
Irgendetwas stimmte hier nicht! Der Cam den ich kannte, würde nicht einfach nur dastehen und mich ansehen.
"Cam!", sagte ich jetzt eindringlicher, lauter und machte einen Schritt in seine Richtung.
Dann bemerkte ich die rote Flüssigkeit, die über die weißen Fliesen lief.
Vorsichtig ging ich noch einen Schritt näher auf Cam zu und da sah ich wessen Blut den hellen Boden rot färbte.
"Jake!", keuchte ich und stürzte neben ihn auf den Boden.
Sein Blick war in die Ferne gerichtet und aus einer Wunde an seinem Hals lief Blut. Es war überall!
"Jake!", wiederholte ich und schüttelte ihn. Das dabei nur noch mehr Rot aus dem klaffenden Loch lief, ignorierte ich. Genauso wie die Tatsache, dass zu dem schwarzen Blut auf meiner Kleidung nun auch noch rotes hinzukam.
Immer und immer wieder schüttelte ich seinen leblosen Körper und flüsterte seinen Namen. Tränen stiegen mir in die Augen. Blut klebte an meinen Händen.
"Was hast du getan?", schrie ich Cam an und rappelte mich auf. "WAS HAST DU NUR GETAN?"
Er lächelte nur kurz. "Stell dich nicht so an. Er wird wieder.", beruhigte er mich.
Aber ich konnte nicht glauben, dass er das gesagt hatte.
"Ein weiterer Vorteil, den der Fluch meines Bruders mit sich bringt. Du kannst nicht sterben. Oder erst, wenn er es dir erlaubt.", erklärte er und spuckte mir das Wort >Bruder< vor die Füße.
Ich schüttelte den Kopf. Das hier war eine fremde Person. Das war nicht der Cam, den ich kennengelernt hatte. Dieser Cam war erbarmungslos und kalt. Ein Monster. Ein schlimmeres Monster als Nassim.
Aber wenn es stimmte, was er sagte, so musste ich mir keine Sorgen um Jake machen. Zumindest, wenn ich den Worten eines Verräters Glauben schenken konnte.
"Warum?", fragte ich ihn und straffte meine Schultern.
Er lachte leise und umkreiste mich mit langsamen Schritten.
"Du stellst die falschen Fragen.", meinte er bloss und stoppte hinter mir.
Ich starrte Löcher in die Wand vor mir und hielt den Atem an.
Erneut strichen kalte Finger über meine Haut. Dieses Mal in meinem Nacken.
Die kleinen Härchen auf meinen Armen stellten sich auf und ich schloss die Augen.
"Ach Talia.", seufzte er und stellte sich wieder vor mich. "Ich wünschte, ich hätte dich nicht auf diese Weise kennenlernen müssen. Eine Frau wie du hätte mir gefallen." Er machte eine theatralische Pause und blickte mir tief in die Augen.
"Außerdem weiß ich, dass du etwas für mich empfindest.", meinte er eingebildet und am liebsten hätte ich ihm das eingebildete Grinsen von den Lippen geschlagen.
Das hier war nicht Cam! Ich konnte das einfach nicht glauben! Ich weigerte mich das zu glauben!
In seinen Augen suchte ich nach der bekannten Wärme. Dem Glitzern.
Doch ich suchte vergeblich. Da war nichts.
Sollte ich mich wirklich so in ihm getäuscht haben?
Hatte er uns allen von Beginn nur etwas vorgespielt?
Konnte er so herzlos sein?
"Es tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, aber für verlogene Arschlöcher wie dich, habe ich nichts übrig.", entgegnete ich und merkte, dass meine Stimme nichtmal ansatzweise so giftig klang wie ich sie mir gewünscht hatte.
Erneut lächelte er. "Und wieder liegst du falsch."
"Ach ja?", fragte ich und reckte trotzig mein Kinn hervor. Ich brauchte einen Plan. Entweder musste ich Zeit schinden, bis Jake wieder aufwachte - allerdings hatte ich keine Ahnung wann das sein würde - oder jemand mich fand, was auch nicht gerade sehr realistisch war. Wer würde sich bitte in den Keller verirren, wenn draußen ein Krieg tobte?
"Oh ja. Und wir wissen beide, dass ich Recht habe.", schnurrte er und seine rechte Augenbraue zuckte kurz in die Höhe.
Böse starrte ich ihn an.
"Nicht dein Bruder ist das Monster, sondern du.", stellte ich fest und lächelte ihn herausfordernd an. Doch noch bevor ich überhaupt realisieren konnte, was ich da gerade gesagt hatte, holte er aus und schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht. Mein Kopf flog zur Seite und meine Wange brannte höllisch. Aber ich würde ihm nicht zeigen, dass er der Stärkere war. Also zwang ich die Tränen zurück und holte tief Luft.
Danach drehte ich meinen Kopf wieder zurück in seine ursprüngliche Position und funkelte ihn wütend an.
Er erwiderte den Blick hart.
"Eine Frage habe ich allerdings doch...", erklärte ich mit belegter Stimme und konnte nicht verhindern, dass ich mich verletzt anhörte.
Mit einer Handbewegung deutete er mir fortzufahren.
"Arbeitest du jetzt für ihn oder machst du dein eigenes Ding?", fragte ich also und versuchte den stechenden Schmerz in meiner Wange zu ignorieren.
Anerkennend nickte er. "Jetzt stellst du langsam die richtigen Fragen."
"Also arbeitest du für ihn.", stellte ich fest.
Er verdrehte die Augen und klatschte ein paar Mal in die Hände.
"Super zusammengereimt Einstein", lobte er und lehnte sich mit verschränkten Armen hinter sich an die Wand.
Ich schloss für einen kurzen Augenblick die Augen um nicht die Beherrschung zu verlieren. Aber es fiel mir schwer. Sehr schwer.
Es war als hätte jemand einen Stein auf meine Brust gelegte, der drohte mich zu zerdrücken. Nur das der Stein ein Synonym für Cam war.
"Sag mir einfach nur warum." Ich hatte keine Kraft oder Lust mehr, meine Enttäuschung, meine Wut zu verbergen.
Er seufzte. "Das ist viel zu komplex für dein kleines menschliches Hirn."
Ich schnaubte verächtlich.
"Aber um es auf den Punkt zu bringen: Er hat mir ein unschlagbares Angebot gemacht. Und naja, um ehrlich zu sein konnte ich Adriens selbstverliebtes Gesicht nicht mehr ertragen. Und erst recht nicht, seit du aufgetaucht bist.", erklärte er und verdrehte die Augen.
Das musste ein Traum sein. Anders konnte ich mir diesen Cam nicht erklären. Es war einfach... unfassbar. Es gab keine Worte, die auch nur ansatzweise beschreiben konnten, was ich gerade empfand.
Die ganze Situation schien einfach viel zu aussichtslos. Zumindest für mich alleine.
Da ich nicht wusste, ob mir jemals jemand hier unten zur Hilfe eilen würde, musste ich versuchen Cam hinzuhalten und darauf hoffen, dass Jake relativ schnell wieder zurück unter die Lebenden kehrte.
Denn alleine hätte ich niemals eine Chance gegen Cam. Und solange ich nicht wusste, wie er aussah, wenn er sich verwandelte, würde ich es auch nicht draufankommen lassen. Falls er sich verwandeln würde...
Nicht, dass er in seiner momentanen Verfassung nicht schon genug angsteinflößend wirkte. Nein...
"Und deshalb lässt du deine Familie einfach links liegen?", wollte ich wissen und schüttelte den Kopf, da ich die Antwort ja  bereits kannte.
"Wir waren schon lange keine Familie mehr. Das hat Adrien zerstört. Vielleicht hätte wir heute noch eine, wenn er nicht einfach in seinem Egoismus gehandelt hätte.", behauptete er und sah es in seinen Augen gefährlich aufglänzen. Anscheinend war ich auf ein ziemliches heikles Thema gestoßen.
"Er hat einen Fehler gemacht, ja. Aber das ist kein Grund ihn zu hassen. Du bist auch nicht perfekt.", versuchte ich ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
"Aber ich war es.", sagte er und schluckte hart. "Ich war der Perfekte Sohn. Der perfekte Ehemann. Ich WAR perfekt. Ich tat alles für unsere Eltern. Während Adrien sie mit Füßen trat. Er hat immer nur im eigenen Interesse gehandelt. Immer. Und trotzdem liebte Mutter ihn mehr als mich." Ich konnte die Wut in seinen Augen sehen. Aber da war auch Verzweiflung.
"Es war unfair. Es war so unglaublich unfair. Mein Hass war da. Schon immer und er blieb. Und als ich vor ein paar Jahrhunderten Nassim begegnete, sah ich einen Weg der Vergeltung. Er zeigte mir einen Weg, wie ich meine Rache bekommen würde. Tja und ich schloss eine Art der Freundschaft mit ihm. Viele Jahre haben wir einen Plan geschmiedet, um Adrien von diesem Planten zu stoßen." Er hielt inne, hob den Blick und sah mich an. "Und zu all dem bist du der Schlüssel."
"Ich?", fragte ich entgeistert. "Vergiss es. Du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank."
Sein linker Mundwinkel zuckte kurz in die Höhe. Falls das ein Lächeln sein sollte, ist es ziemlich schief gegangen. Wo war sein anderes Lächeln hin? Sein warmes? Sein herzliches? Sein wahres? Sein Cam-Lächeln?
"Du hast keine Ahnung, zu was du in der Lange bist.", meinte er und stieß sich von der Wand ab.
So langsam wurde es brenzlich.
Innerlich beschwörte ich Jake, dass er aufwachen solle. Und das möglichst bald.
"Du hast die Wahl:", erklärte Cam mir und kam langsam auf mich zu. "Entweder du kommst freiwillig mit mir und dir und dem Rest wird nichts weiter geschehen. Oder..." Er ließ seinen Satz unvollendet im Raum hängen. Natürlich wusste ich was er meinte, auch ohne dass er es aussprach.
"Wir regeln das hier auf meine Weise und ich gebe dir jetzt - weil ich so gnädig bin - 10 Sekunden zum Weglaufen und verstecken.", erläuterte er die andere Möglichkeit. Aber ehrlich gesagt, fand ich keine der zwei wirklich ansprechend.
"Du bist krank, weißt du das?", schleuderte ich ihm matt entgegen.
Aber er lachte nur. Er lachte immer nur.
"Und? Was hättest du gerne?" Ich sah die Vorfreude in seinen Augen. Er freute sich. Wie eine Katze sich auf die Jagd auf eine kleine wehrlose Maus freute.
Bevor Cam endgültig seine Geduld verlor, drehte ich mich um und stürzte die Treppen hinauf.
Das Spiel hatte begonnen.
Und wir wussten beide, dass ich verlieren würde.

Schwingen der NachtDonde viven las historias. Descúbrelo ahora