Schwarze Einladung

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„Wo wart ihr denn?", empfing uns Jake noch bevor wir unsere Schuhe ausziehen konnten.
Fragend sahen wir ihn an. Ich dachte Adrien hätte uns bei ihm abgemeldet.
„Ich hab dir doch gesagt, dass wir im Wald sind.", erinnerte Adrien ihn.
„Ja, das weiß ich doch. Aber hatte keiner von euch, sein verdammtes Handy dabei?", regte er sich auf.
Adrien und ich sahen einander an und schüttelten den Kopf. Was war denn hier los?
„Ich weiß nicht wie oft ich versucht habe wenigstens einen von euch zu erreichen. Hier herrscht Weltuntergangsstimmung und ihr beide habt nichts Besseres zu tun, als es im Wald zu treiben oder was?", schrie er und ich zuckte zusammen.
„Wie bitte?", fragte ich entsetzt und hoffte, dass ich mich gerade verhört hatte.
Adrien deutete ihm, dass er sich beruhigen sollte.
„So jetzt mal langsam. Was genau ist passiert?" Langsam ging Adrien auf Jake zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Jake schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus.
Als er sich augenscheinlich ein wenig beruhigt hatte, begann er nochmal von vorne.
„Sie haben Chris ins Krankenhaus eingeliefert, weil er vom Dach der Scheune gefallen ist.", erklärte er. Ich schlug mir die Hand vor den Mund und sah ihn geschockt an.
„Aber das ist noch nicht alles.", fügte Jake noch hinzu und sah Adrien eindringlich an. „Ich war der erste der bei ihm war. Ich war derjenige der den Notarzt gerufen hat. Er hat die ganze Zeit wirres und unverständliches Zeug geredet. Erst habe ich mir nichts dabei gedacht, immerhin ist er aus einer ziemlichen Höhe gefallen und da kann man sich schon mal den Kopf anschlagen. Zumindest dachte ich das. Aber er hat immer wieder etwas von einem komischen Mann mit schwarzen Flügeln und roten Augen gesagt. Er hat gesagt, dieses Monster hätte ihn gebissen und danach vom Dach geschubst."
Der Raum war still. Niemand von uns brachte auch nur ein Wort über die Lippen. Keiner wollte aussprechen, was Chris gesehen hatte. Oder haben könnte.
Ich merkte, wie Angst in mir hochkroch und sich in meinem Kopf festsetzte.
„Wie hat er uns gefunden?", fragte ich flüsternd und zerriss die Stille die sich über uns gesenkt hatte.
„Keiner hat gesagt, dass es wirklich Nassim war. Vielleicht war es nur einer seiner Handlanger oder einer der Abtrünnigen, die ihm den Rücken gekehrt haben.", versuchte Adrien mich zu beruhigen, aber alle im Zimmer wussten, dass dieser Fall so gut wie unmöglich war. Wir alle wussten, dass es Nassim war.
„Genau.", pflichtete Jake ihm bei. „Lasst uns nicht gleich den Teufel an die Wand malen."
Ich lachte dunkel. „Stimmt, das brauchen wir echt nicht. Immerhin läuft er ja dort draußen frei herum."
Adrien sah mich komisch an.
„Tschuldigung.", sagte ich achselzuckend. „Aber ich drehe sonst durch. Ohne meinen Humor würde ich sonst durchdrehen."
Liebevoll drückte Adrien mich kurz. Er wusste offenbar genau, wie es mir gerade ging.
„Gut, lass uns nachsehen ob wir etwas finden.", schlug er danach vor und drehte sich zu Jake.
Dieser nickte und ging in den Flur. Kurz darauf kam er mir zwei großen Taschenlampen zurück und zog seine Jacke über.
Als mir klar wurde, was die beiden vorhatten drehte sich mir der Magen um. Auf keinen Fall würde ich alleine hier im Haus bleiben. Ich wusste ganz genau wie so etwas endete. Die Person, die alleine im Dunklen blieb, erwische es immer als erstes und das wollte ich nach Möglichkeit vermeiden.
Außerdem war ich nicht wirklich scharf darauf, zu warten bis der große böse Vampir, der sich eventuell irgendwo in den Schatten des Zimmers verstecken könnte, nur um mir die Halsschlagader aufzureißen, sich auf mich stürzte, wenn ich an ihm vorbeischlich.
„Das könnt ihr ganz schnell wieder vergessen!", lachte ich nervös und schüttelte heftig den Kopf. „Ich werde nicht hier im Haus warten, bis ihr wiederkommt. Ich weiß wie so etwas für gewöhnlich endet..."
„Und deswegen kommst du auch mit.", unterbrach Adrien meinen Redeschwall und drückte mir eine Taschenlampe in die Hand.
„BITTE?", rief ich empört und hoffte doch sehr, dass ich mich gerade verhört hatte.
„Du kommst mit.", wiederholte er langsam und zog mir die Jacke vor der Brust zusammen, um sie danach zu schließen, während ich regungslos auf der Stelle verharrte und ihn ungläubig anstarrte.
„Denkst ich lasse dich hier alleine?" Adrien lachte bitter. „Wenn da draußen tatsächlich einer von Nassims Leuten herumstöbert, will ich dich in meiner Nähe wissen."
„Aber...", setzte ich an, kam jedoch nicht weit, denn da fiel er mir erneut ins Wort.
„KEIN Aber. Jake kommt auch mit. Wir sind zu dritt. Was soll da schon groß passieren?"
Jake stimmte ihm zu und gab ihm eine Mütze, die er mir über den Kopf zog, als wäre ich ein kleines Kind.
„Du weißt nicht, wie viele wirklich dort draußen lauern.", gab ich zu bedenken und schaffte es endlich mich aus meiner Starre zu lösen. „Keiner von denen würde jemals alleine kommen, dafür sind sie viel zu feige."
„Na umso besser.", meinte Adrien nur. „Dann haben wir ein paar Vampire mehr, die wir in die Hölle schicken können."
Jake lachte und ging an uns vorbei zur Terassentür. Er öffnete sie und sofort brüllte ein lauter Donner uns entgegen.
Erschreckt umklammerte ich mein eigenes Handgelenk um meinen Puls zu fühlen. Auch wenn ich so schon wusste, dass er ziemlich in die Höhe geschossen war.
"Ihr seid doch total verrückt.", behauptete ich und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht.
"Vergiss nicht, dass du die Verlobte des einen Verrückten bist.", lachte Adrien und schob mich zur Tür.
Wir folgten Jake nach draußen und wurden von prasselndem Regen begrüßt. Ich schauderte als ich meinen Blick über den Waldrand wandern ließ.
Das war doch total unsinnig! Wir würden nichts finden. Nicht bei dieser Dunkelheit. Von dem Gewitter mal ganz zu schweigen!
"Wir sollten an der alten Scheune anfangen. Chris hat gesagt, dass das Wesen ihn auf dem Dach angegriffen hat. Falls es Spuren gibt, werden wir sie dort am ehesten finden.", vermutete Jake und sah uns nacheinander an.
Als sein Blick mich traf, zuckte ich unmerklich zusammen. Der Jake den ich kannte, hatte sich verabschiedet und statt seiner stand vor mir nun ein Wesen der Nacht. Etwas unberechenbares. Etwas gefährliches.
Adrien nickte zustimmend und keine Sekunde später fand ich mich mitten unter dem offenen Himmel wieder und konnte nicht glauben, was ich gerade wirklich tat.
Kalte Schauer liefen mir über den Rücken, während wir durch unseren Garten huschten.
Das war wohl die dümmste Aktion die ich jemals gemacht hatte. Hätte ich gewusst, dass diese Nacht alles verändern würde, hätte ich niemals zugelassen, dass Adrien das Haus verließ.
Als wir das Gartentor erreichten, wollte ich das Eisentor öffnen und hatte bereits meine Hand auf dem kalten Eisen, als Jake mich zurückhielt.
Er schüttelte den Kopf, sprang darüber und hielt mir die Hand entgegen.
Offenbar sollte ich ebenfalls über die kleine Tür klettern... Warum, wusste ich zwar nicht, doch ich nahm an, dass die Scharniere quietschten oder so etwas Ähnliches.
Mit der Eleganz eines Elefanten schaffte ich es schließlich darüber und fiel Jake praktisch in die Arme.
Nach Adrien brauchte ich gar nicht sehen, denn noch bevor ich mich überhaupt umdrehen konnte, stand er bereits neben mir.
In der Dunkelheit konnte ich lediglich seine blauen Augen sehen. Alles andere waren nur verschwommene, schwarze Schatten.
"Ist das Haus überhaupt leer?", fragte ich leise und blickte zu dem Haus, dass sich bei jedem Blitz hell vom Himmel abhob.
"Chris muss doch auch Familie haben.", fügte ich hinzu und beobachtete kritisch die schwarzen Fenster.
"Hat er nicht.", antwortete Jake. "Hab ich vorher gecheckt."
Entsetzt verzog ich das Gesicht und konnte nicht glauben, was alles so hinter meinem Rücken passierte.
"Was? Denkst du etwa ich würde dich in die Nähe eines Menschen lassen, ohne ihn vorher durchzuleuchten?", wollte er leicht belustigt wissen.
Mir fiel im wahrsten Sinne des Wortes die Kinnlade runter und ich starrte ihn empört an.
"Entschuldige, dass ich vergessen habe, dass Vertrauen nicht unbedingt zu deinen Stärken gehört.", zischte ich gemein und bereute meine Worte keinen Moment später wieder.
"Tut mir leid.", entschuldigte ich mich dieses Mal ernsthaft "Ich habe nur..."
"Angst.", beendete Jake den Satz für mich. "Ich weiß."
Ich schenkte ihm ein dünnes Lächeln und hielt die Taschenlampe in meinen Händen ein wenig fester.
Bevor ich noch etwas sagen konnte, unterbrach Adrien uns und so machten wir uns wieder auf den Weg zu unserem eigentlichen Ziel.
Die alte Scheune glich nach den letzten Stürmen tatsächlich einer Ruine. Das Dach fehlte eigentlich komplett. Nur vereinzelt klammerten sich ein paar Ziegel an den dicken Holzbalken fest und versuchten dem Unwetter zu trotzen.
In den Fenstern fehlte jegliches Glas. Die Tür hing locker in den Angeln und ächzte bei jedem kleinen Windstoß. Dahinter war es schwarz.
Um es in einem Satz zusammenzufassen:
Es sah alles andere als einladend aus.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now