Berührungen der Träume

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"Auch mal wach du Morgenmuffel?", begrüßte Jake mich am nächsten Morgen, als ich noch ganz verschlafen, das Wohnzimmer betrat.
Ich grummelte etwas unverständliches und wich einem Fleck Sonne auf dem Parkett aus.
Jake lachte und drückte mir eine Tasse mit meinem Tee in die Hand.
"Du solltest früher ins Bett gehen.", riet er mir grinsend.
"Ich war früh im Bett.", verteidigte ich mich und lief rot an, als ich an die letzte Nacht dachte.
"Aber natürlich.", meinte Jake und nickte lachend.
"Jetzt hör auf mich zu ärgern. Ich bin noch nicht in der Verfassung um mich zu wehren.", murmelte ich und fuhr mir durch die vom Duschen noch feuchten Haare. Es war nicht so, dass ich keine gute Laune hatte. Ganz im Gegenteil: Ich hätte vor Glück laut schreien können. Doch dazu war ich leider zu müde. 
Jake prustete nur und wandte sich wieder der Zeitung vor sich zu.
"Wo ist Adrien?", fragte ich und sah mich suchend im Raum um. Ich war schon alleine aufgewacht, da wollte ich jetzt nicht noch hören, dass Adrien nicht in der Nähe war.
Lächelnd blickte Jake auf und sah mich für ein paar Sekunden nur an. "Angst, dass er abgehauen sein könnte?", zog er mich auf.
"Hahaha. Wirklich sehr witzig.", entgegnete ich nur und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass genau das meine Angst war.
Jake lachte nur laut und deutete nach draußen. "Irgendwo im Wald. Er wollte die Grundstücksgrenzen kontrollieren und wieder zurück sein, bevor du aufwachst.", erklärte er und trank einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. "Hat offenbar aber nicht geklappt.", ergänzte er danach und zuckte mit den Achseln.
Ich stöhnte und bedankte mich dann bei ihm, ehe ich das Haus verließ. Fast hätte ich laut gefaucht, als die Sonne mich blendete, aber im letzten Moment hielt ich mich zurück.
Tapfer marschierte ich über die Wiese und wich ein paar fröhlichen Bienen aus, die so verliebt in das Wetter waren, dass sie nicht mehr richtig fliegen konnten.
"Guten Morgen, Frau Nachbarin.", stoppte mich ungefähr auf der Hälfte des Weges eine bekannte Stimme.
"Morgen Chris!", erwiderte ich seinen Gruß und ging ein Stück näher an den Gartenzaun.
Er lehnte sich locker auf den Zaun und lächelte wieder dieses spezielle Lächeln. Natürlich hatte er keine Ahnung, dass sein Lachen keinerlei Wirkung mehr auf mich hatte, seit Adrien wieder da war.
So unterdrückte ich einfach nur ein Grinsen und sah ihn an.
"Und? Wie viel Schaden hat der Sturm bei euch angerichtet?", wollte er wissen und spähte rüber an unser Haus.
"Nicht viel.", meinte ich nur. "Zumindest so weit ich weiß. Und bei dir?"
"Die alte Scheune hat ihr Dach verloren, aber sonst ist alles gut gegangen.", erzählte er und deutete mit dem Kopf in seinen Garten.
"Solange euch nichts passiert ist doch alles in Ordnung.", winkte ich ab und konnte mir mein Grinsen nun doch nicht mehr verkneifen.
"Hast du auch Recht.", gab er schulterzuckend zu und fokussierte einen Punkt hinter mir. Sein Lächeln erblasste langsam und etwas wie Neid legte sich in seinen Blick.
"Egal. Was hast du heute so vor?", tat ich das Thema schulterzuckend ab.
Doch er reagierte nicht und starrte noch immer auf irgendetwas hinter mir.
Fragend sah ich ihn an und schnipste vor seinem Gesicht ein paar Mal.
"Hm?", machte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. "Hast du was gesagt?"
"Ja! Hab ich.", erklärte ich kopfschüttelnd und sah ihn gespielt strafend an.
"Entschuldige. Könntest du es nochmal sagen?" Er lächelte wieder. Allerdings nicht so strahlend wie zuvor.
"Ich hab dich gefragt, was das deine Pläne für heute so sind.", wiederholte ich und strich mir eine Haarsträhne aus den Augen, die der Wind mir hinein geweht hatte.
"Ach eigentlich nichts besonderes. Erstmal muss ich mir überlegen, wie ich unsere Scheune rette oder ob ich sie gleich abreiße. Und danach treffe ich mir vielleicht noch mit ein paar Freunden. Ist aber noch nichts endgültig beschlossen.", sagte er nur.
"Klingt spannend.", meinte ich trotzdem. "Wenn du Hilfe wegen der Scheune brauchst, sag Bescheid, dann komm ich rüber und pack mit an."
Er lachte. "Ich denk drüber nach."
"Das ist das mindeste, dass ich erwarte.", lachte ich ebenfalls.
"Und was hast du heute so vor?", fragte er mich nun und wich ein Stück vom Zaun zurück.
"Ich?" Tja, was waren meine Pläne für heute?
"Wir werden ein wenig im Wald spazieren gehen und reden. Denn das haben wir viel zu lange nicht getan.", antwortete jemand anderes, statt mir und genau in dem Moment in dem ich mich umdrehen wollte, legte Adrien bereits seinen Arm um meine Schultern und küsste mich sanft auf die Wange.
Jetzt wurde mir auch bewusst, warum Chris auf einmal so distanziert war.
"Hi.", begrüßte Adrien unseren Nachbarn dann. "Ich bin Adrien und du bist?"
Adrien schickte Chris den ein oder anderen finsteren Blick, ehe ich ihm meinen Ellenbogen leicht in die Seite rammte.
"Oh, ich bin Chris. Ich wohne nebenan.", stellte er sich vor und streckte Adrien die Hand entgegen. Auch wenn man ihm sein Unbehagen nur zu gut ansehen konnte.
Adrien sah skeptisch auf die ihm dargebotene Hand, bis ich ihn böse anfunkelte. Erst dann ergriff er sie und rang sich sogar ein Lächeln ab.
"Nett dich kennenzulernen.", meinte Adrien schließlich noch, mit etwas in der Stimme, das ich nicht deuten konnte.
Was hatte er denn plötzlich? Es war echt albern, was er hier gerade abzog. Chris war unser Nachbar. Und NUR unser Nachbar!
"Also dann: Ich werde mich mal um unser nicht vorhandenes Dach kümmern.", trat Chris den Rückzug an.
"Wenn du Hilfe brauchst, meld dich.", bat ich ihn nochmal und winkte als er nickte und kurz darauf verschwunden war.
"Was sollte das?", fragte ich Adrien und löste mich von ihm.
"Was sollte was?", stellte er ganz unschuldig die Gegenfrage.
Ich schaubte ungläubig. "Du weißt ganz genau was ich meine."
"Ich mag es nicht wie er dich ansieht.", meinte er dann einfach.
Überrascht verharrte ich mitten in der Bewegung und sah ihn an. "Das ist nicht dein Ernst."
Er fuhr sich durch die Haare und ließ seinen Blick über den Garten wandern.
Als er nicht antwortete, gab ich einen unfassbaren Laut von mir und ging Richtung Haus.
"Talia, warte.", rief Adrien und schloss zu mir auf.
Ich ignorierte ihn und marschierte weiter.
"Es kann sein, dass ich überreagiert habe.", versuchte er sein Verhalten zu erklären, während ich ins Haus schlüpfte.
"Kann man so sagen, ja.", gab ich ihm Recht und lachte bitter.
Jake verschluckte sich fast an seinem Getränk, als er uns sah. Oder besser hörte.
Dann lachte er. "Dann hast du also unseren Nachbarn kennengelernt.", schlussfolgerte er.
"Ja, und ich bin nicht sehr erfreut.", erwiderte Adrien und verzog das Gesicht.
"Woher wusste ich das nur?", fragte Jake und grinste dümmlich.
Wütend ging ich zum Kühlschrank und schnappte mir einen Joghurt.
Laut riss ich einige Schubladen auf bis ich einen Löffel gefunden hatte. Dann ging ich an Adrien vorbei und warf mich auf das Sofa.
"Talia. Es tut mir leid.", entschuldigte er sich und setzte sich neben mich. Demonstrativ rutschte ich weiter von ihm weg und schaufelte mir einen Löffel nach dem anderen zwischen die Lippen.
"Jetzt rede doch bitte mit mir.", flehte er beinahe und ich seufzte.
"Schon gut. Ich bin nicht sauer weil du überreagiert hast.", erklärte ich dann. "Ich ärgere mich nur weil du endlich wieder da bist und dann streiten wir uns gleich wegen solchem Unsinn."
Ich schob mir ein bisschen Joghurt in den Mund und schmatze ein paar Mal, ehe ich fortfuhr.
"Ich denke, du weißt, dass ich nur dich will. Und seien wir mal ehrlich: gegen Chris wirkst du wie ein Gott. Es ist doch klar, dass er dann ein paar blöde Sprüche raushaut oder ein bisschen mehr flirtet als zuvor. Chris merkt, dass er keine Chance hat gegen dich und das wurmt ihn." Ich verdrehte die Augen und fuhr mir durch die Haare. Meine Güte! Warum konnten Männer nicht einmal nachdenken, bevor sie irgendwelche komischen Aktionen rissen?
"Das wurmt ihn sogar ziemlich!", bestätigte Jake von der anderen Seite des Raums und erntete daraufhin von uns beiden einen bösen Blick.
Grinsend zog er abwehrend die Schultern nach oben. "Was denn? Ich sage nur die Wahrheit!"
"Na jedenfalls ist das Chris Versuch mit dir mitzuhalten.", brachte ich es schließlich auf den Punkt und futterte meinen Joghurt endlich weiter.
Einige Zeit sagte Adrien gar nichts und ich dachte schon er wäre verschwunden, als mich sein Gewicht schließlich umwarf.
Mein Löffel flog mit einem hohen Laut auf den Boden und der leere Becher fiel vom Tisch, als Adrien sich auf mich schmiss und mir seine Lippen auf den Mund drückte.
Im ersten Moment war ich so verstört, dass ich gar nichts erwiderte. Ich lag leichenstarr unter ihm und hatte die Augen weit aufgerissen.
"Bist du jetzt komplett verrückt geworden?", fragte ich ihn, als seine Lippen die Richtung änderten und eine sanfte Linie von meinem Ohr zu meinem Schlüsselbein nachfuhren.
"Wenn ich verrückt sein muss, damit du mich küsst, dann bin ich es.", murmelte er und sein Zeigefinger fuhr die Form meines Kinns nach. Ich schauderte.
Jake lachte irgendwo hinter uns und kurz darauf fiel eine Tür ins Schloss, was darauf deutete, dass er sich verzog um uns unsere Ruhe zu lassen.
"Weißt du es wäre schon ganz schön, wenn du mir ein wenig entgegenkommen würdest.", meinte Adrien und stützte sich mit seinen Händen rechts und links neben meinem Kopf ab und musterte mich von oben.
Lachend schlang ich meine Arme um seinen Nacken und zog ihn wieder zu mir hinab.
Seine Lippen waren so wunderbar weich. So ganz anders als sie aussahen.
Seine Hände waren so sanft, dabei hatte er mit ihnen schon ganz andere Dinge getan. Dinge die ich lieber nicht wissen wollte...
Seine Augen waren die reinste Verlockung und doch musste man aufpassen, dass man darin nicht ertrank.
Und seine Berührungen waren mehr, als ich mir jemals erträumt hatte.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now