Planlos

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Ich atmete schwer. Sein Herz pochte laut und gleichmäßig. Es war ein wunderschönes Gefühl.

Seine Augen fesselten meine und ich konnte ihn nur stumm ansehen.
„Du musst keine Angst vor mir haben. Ich werde dir nichts tun.", versprach er leise und ich sah, das er es ernst meinte.
„Ich habe keine Angst vor dir.", flüsterte ich und versank in dem Blau seiner Augen.
Er lächelte kurz. „Aber irgendetwas hast du. Ich merke es. Dein Puls verrät dich. Er ist zu schnell."
Ich senkte den Blick und blickte zu Boden. Meine Hand noch immer auf seiner Brust.
„Ich...", begann ich. Aber ich fand nicht die richtigen Worte. Alles war weg. Mein ganzer Kopf war auf einmal wie leergefegt.
„Ich weiß auch nicht.", versuchte ich es ein zweites Mal.
Er lehnte sich zu mir und ich konnte seine Lippen schon fast auf meinen spüren. Aber auch nur fast, denn bevor es zu dem erlösenden Kuss kommen konnte, fuhr ich zurück. Statt Adrien hatte ich eben Cam gesehen. Ich war wieder in jener Nacht. Cam war über mir und ich konnte seine Lippen auf meinen spüren.
„Was...?", fragte er verwirrt und ich schüttelte den Kopf. Ich konnte das nicht. Es wäre nicht fair ihn zu küssen, ohne ihm von der Sache mit Cam zu erzählen. „Ich... Es tut mir leid.", stotterte ich und strich mir durch die Haare.
„Talia? Was ist los?" Offenbar sah er die Tränen in meinen Augen, denn sein Blick wurde sofort weicher.
„Ich kann das nicht.", erklärte ich und entschuldigte mich erneut. Ich legte meine zitternde
Hand auf mein Herz und versuchte es so ein wenig zu beruhigen.
„Was kannst du nicht?", bohrte er nach und kam auf mich zu, aber ich hob abwehrend eine Hand und er blieb wo er war. In seinem Blick las ich Verwirrung und Sorge.
Ich wollte es ihm sagen. Nein, ich MUSSTE es ihm sagen! Aber ich konnte es einfach nicht! Seine Reaktion konnte ich nicht einschätzen und genau das machte mir Angst. Ich fürchtete, das nichts mehr wie vorher sein könnte.
Adrien verharrte noch immer auf dem gleichen Platz wie eben und starrte mich an. Mit einer Handbewegung versicherte ich ihm, dass es mir gut ging. Obwohl meine Brust sich unregelmäßig hob und senkte.
Ein Räuspern hinter mir durchbrach schließlich die angespannte Stille im Raum. Erschreckt fuhr ich herum und stolperte. Rafael stand an der Tür und hatte uns beobachtet. Sein Blick glitt von Adrien zu mir und blieb schlussendlich dort auch hängen.
Mir war bewusst was er von mir erwartete und das machte die ganze Situation nicht unbedingt besser.
Als er den Mund aufmachte um etwas zu sagen, stürmte ich aus dem Raum. Ich schaffte es gerade so in mein Zimmer, dann konnte ich die Tränen nicht mehr zurückdrängen und ließ mich weinend auf das Bett fallen. Warum ich? Warum musste Cam ausgerechnet mich küssen? Von allen Mädchen auf dieser Welt! Warum ich? An mir war nichts Besonderes. Okay mal davon abgesehen, dass ich illegale Autorennen fuhr und angeblich die Seelengefährtin eines Dämons war. Aber auf das letzte konnte ich durchaus verzichten. Sehr gut sogar. Aber wenn ich darauf verzichtet hätte, wäre ich Adrien niemals begegnet... Ach das war doch alles... Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und atmete tief ein um mich zu beruhigen. Das war so unfair!
Mir kam Adriens verletzte und enttäuschte Miene von eben wieder in den Sinn und die Tränen flossen erneut. Ohne das ich sie stoppen konnte. Oder wollte.

Ich hatte keine Ahnung wie lange ich bewegungslos auf dem Bett ausgeharrt und auf das Meer gesehen hatte. Draußen dämmerte es bereits. Aber das war mir egal. Es war mir egal wie lange ich hier einfach nur gelegen und nachgedacht hatte. Irgendwann waren meine Tränen versiegt und ich war zu dem Entschluss gekommen, dass ich mit Adrien reden würde. Wenn er mich liebte, würde er es schon verstehen. Hoffte ich zumindest...
In diesem Moment klopfte es an der Tür und ich zuckte zusammen.
„Hey Talia, ich bin es. Rafael. Darf ich reinkommen?", hallte seine Stimme leise und dumpf durch die Zimmertüre.
Langsam rappelte ich mich auf. „Ähm... Klar. Gib mir kurz eine Minute.", antwortete ich und merkte selber wie dünn und kratzig meine Stimme beim Sprechen klang.
Bevor ich die Tür öffnete, warf ich einen schnellen Blick in den Spiegel und bereute es keine Sekunde später. Eine Leiche blickte mir nämlich zurück. Eine Leiche mit glasigen und rot unterlaufenen Augen, wirren Haaren, roten Wangen und spröden Lippen. Was so ein bisschen weinen doch ausmachte...
Da ich eh nicht mehr viel an meinem Zombie-Look ändern konnte, war es auch egal wie Rafael mich sah.
Seufzend ging ich also zur Tür und öffnete sie. „Was gibt's?", fragte ich und hoffte möglichst normal zu wirken. Doch er durchschaute mich natürlich und zog nur skeptisch eine Augenbraue hoch.
„Können wir uns drinnen unterhalten?", wollte er wissen und deutete mit dem Kopf in den Raum.
Nicht gerade begeistert stieß ich die Tür auf und machte ihm Platz. Er nickte und trat ein.
„Um was geht's?", wiederholte ich meine Frage und setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett. Die Decke war klamm, stellte ich überrascht fest und dachte an meine ganzen Tränen. Na klasse...
Rafael lehnte sich mir gegenüber an die Wand und sah mich an. Sein Blick war wie immer. Emotionslos. Hatte er überhaupt welche? Manchmal kam es mir nicht so vor. Er war Adriens Schoßhündchen, das alles tat was man von ihm verlangte. Seine Loyalität galt nur einem, das hatte ich inzwischen gelernt. Und wer dieser jemand war, war jawohl offensichtlich.
Als er nach einigen Minuten immer noch nichts gesagt hatte, holte ich geräuschvoll Luft und beantwortete meine Frage selber.
„Warte! Sag nichts! Ich weiß ganz genau warum du hier bist." Meine Stimme war rau und ich trank schnell einen Schluck aus der Flasche die auf meinem Nachttisch stand.
„Gut.", meinte Rafael und löste sich aus seiner Starre. „Dann weißt du ja auch mit Sicherheit was ich von dir erwarte, oder?"
Natürlich konnte ich es mir denken. „Ja.", antwortete ich direkt und ohne Umschweife.
Wir starrten uns eine Minute einfach nur weiter an und ich fragte mich, wie man nur so kalte Augen haben konnte.
Denn die hatte er. Kalt und gefühlslos. Es waren die Augen eines Killers, also was hatte ich bitte erwartet?
„Du willst, dass ich es ihm sage.", fügte ich hinzu und funkelte ihn feindselig an. Auch wenn er mir das Leben gerettet hatte - und das nicht nur einmal - nervte mich seine Art. Für ihn war alles klar und erklärte sich von selbst. Und wenn nicht, war es für ihn logisch, dass man immer das richtige tat. Egal wie die Konsequenzen lauteten.
Dass die Sache mit Cam etwas anderes - wirklich etwas ganz anderes - war, schien ihn nicht wirklich zu interessieren.
Und das machte mich rasend.
Ich schluckte meinen Zorn als er nickte und lächelte. So ein Idiot...
„Und wenn ich es nicht mache?", provozierte ich ihn, stand auf und starrte ihn herausfordernd an.
Gefährlich langsam kam er auf mich zu, bleib wenige Zentimeter vor mir stehen und beugte sich zu mir hinab.
„Willst du mich ärgern, junge Dame?", fragte er und ich ging lieber einen Schritt zurück. Sicherheit geht vor.
Allerdings konnte ich nicht so weit nach hinten ausweichen wie ich wollte, da mein Bett sich schon beinahe schmerzhaft in meine Hüfte bohrte.
„Würde mir im Leben nie einfallen.", giftete ich zurück und versuchte meine Angst nicht zu zeigen.
Er knurrte und kam noch näher. „Mit Adrien kannst du deine Spielchen treiben. Er ist blind vor Liebe... Aber mich täuscht du nicht! Lass dir das gesagt sein!"
„Drohst du mir?", entgegnete ich ungläubig und musste mich zusammenreißen, damit mir die Kinnlade nicht runterfiel.
„Wenn du es so nennen willst!", gab er zu und lächelte abartig.
Was war denn mit dem los? Okay, ja er hatte mich von Anfang an nicht unbedingt gemocht, aber das war jetzt ja wohl ein wenig übertrieben.
„Du bist wahnsinnig.", entfuhr es mir ungewollt und ehe ich mich versah, hatte er mich gepackt und gegen die nächste Wand gedrückt. Seine Hand umklammerte meinen Hals.
Nachdem ich meine Schocksekunde überwunden hatte, begann ich nach ihm zu treten und versuchte verzweifelt seine Hände von meinem Hals zu lösen. Aber er drückte nur fester zu.
„Lass mich los!", presste ich hervor und schnappte nach Luft.
„Sag. Es. Ihm!", forderte er und knallte meinen Kopf einmal gegen die Wand in meinem Rücken. Es tat weh und ich keuchte erschreckt.
„Ich entscheide, wann ich es ihm sage.", zischte ich und starrte ihn böse an.
Meine Füße verloren den Boden und ich bemerkte, dass er mich anhob.
Sein Gesicht kam ganz nah an meins. Ich konnte seinen widerlichen Atem auf meiner Haut spüren. Er war eiskalt. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
„Du bist nicht in der Position Forderungen zu stellen.", meinte er locker und grinste.
„Es ist meine Entscheidung! Verstanden? Halt dich da raus!" Ich wollte ihn wegschubsen. Ihn dahin treten wo es ihm am meisten schmerzte, aber so langsam ging mir die Luft aus.
„Nun das sehe ich anders.", sagte er locker und ich konnte spüren wie sein Daumen über meinen Hals fuhr. Sofort schluckte ich.
Sein Blick saugte sich an meinen Lippen fest.
„Denk nicht einmal dran!", warnte ich ihn und begann mich aufzubäumen. Meine Seele würde er nicht bekommen! Niemals! Dafür würde ich alles tun, was ich musste! Die Vorstellung wie er etwas von meiner Seele nahm war abartig! Alleine der Gedanke widerte mich an.
„Und warum nicht?", wollte er wissen und zog seine Augenbrauen in die Höhe. „Irgendetwas musst du ja haben. Sonst wäre mein Boss nicht so versessen auf deine Sicherheit."
„Wenn du mir noch näher kommst, schreie ich!", drohte ich dieses Mal und würde alles daran setzte um zu verhindern, dass er seine Lippen auf meine legte!
„Und was würde dir das bringen?" Er kam noch näher und ich drehte meinen Kopf zur Seite.
Angewidert schloss ich die Augen.
„Ich mache dir ein Angebot.", schlug er vor und der Griff um meinen Hals löste sich. Augenblicklich fiel ich zu Boden und rang erstmal einige Zeit nach Atem. Wenn ich blaue Flecken kriegen würde, durfte er das erklären!
Als ich mich beruhigt hatte, blickte ich zu ihm auf. Mit einem selbstgefälligen Lächeln sah er zu mir hinab und redete seelenruhig weiter. „Du sagst es ihm. Bis morgen Abend. Und ich lasse dafür deine Seele in Ruhe."
„Bist du verrückt?", fuhr ich ihn an. Morgen Abend?! Er hatte wohl zu viel frische Luft gekriegt! Das war doch nicht mehr normal!
Einige Zeit starrte ich ihn einfach nur ungläubig an.
Dann hörten wir im Flur draußen plötzlich Schritte. Adrien! Ich sprang auf die Füße und rannte zur Tür. Aber Rafael war schneller. Er warf die Tür zu und drehte den Schlüssel herum. Zu allem Überfluss stellte er sich sogar noch davor. Vor die abgeschlossene Tür! Offenbar drehte er jetzt total durch!
Es klopfte. „Talia?" Es war Adrien. „Was machst du denn da drinnen? Ich hab einen dumpfen Knall gehört."
Rafael sah mich warnend an und ich schloss meinen Mund wieder. Ich wollte meine Seele noch etwas behalten.
„Deine Antwort.", verlangte er leise.
Es klopfte erneut. „Talia?"
Mein Blick flog zwischen Rafael und der Tür hin und her.
Mist. Das war so definitiv nicht geplant...

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now