Angst

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Momentmal!
Die Augen waren schwarz! Aber das hieß ja...
"Oh Gott! Hast du mich erschreckt, Mann!", atmete selbst Jake in dieser Sekunde erleichtert auf.
"Seid ihr wahnsinnig? Ich hätte euch beinahe beide umgebracht!", schrie Rafael und erst da sah ich das Messer in seiner Hand.
Ich stieß geräuschvoll die Luft aus, die ich angehalten hatte und legte meine rechte Hand auf mein wild klopfendes Herz.
"Mein Fehler.", entschuldigte Jake sich und steckte den Dolch zurück in seinen Hosenbund. "Ich muss sie nur von hier wegschaffen."
"Ja dann tu das gefälligst!", knurrte Rafael und fletschte die Zähne. "Und erschreckt mich nicht noch einmal so. Gottverdammt! Das nächste Mal, schaue ich nicht erst nach, wer sich da hinter der Tür versteckt."
"Tut uns leid.", betonte ich nochmals und drückte mich an ihm vorbei.
Ich wusste nicht woher meine spontane Abneigung gegen Rafael kam. Aber Fakt war, dass sie da war. Vielleicht war es weibliche Intuition. Schicksal. Sonstiges.
Jedenfalls wollte ich nur noch weg von diesem Mann. Einfach weg.
Jake schien es ebenso zu ergehen, denn er schob mich schnell an ihm vorbei und bis zum Ende des Gangs. Erst als er seine Finger auf der Türklinke hatte, beruhigte er sich.
Als ich einen letzten Blick in den Flur warf, war Rafael bereits verschwunden.
Ich schüttelte den Kopf, während Jake etwas murmelte, das klang wie "Kranker Psycho."
Die ganze Begegnung war so schell verlaufen, dass man auch denken könnte, sie wäre gar nicht erst passiert.
Jake öffnete die Tür und deutete mir vorauszugehen. Aber das konnte er vergessen! Ich würde niemals als erstes in dieses dunkle Loch steigen.
"Kannst du knicken!", wehrte ich ab "Ich weiß wie das läuft. Der erste muss immer dran glauben. Ich hab genug Filme gesehen."
Er stöhnte. "Der Letzte aber auch. Also geh!"
Offensichtlich hatte auch er genug Filme gesehen.
"Ich hasse dich.", sagte ich und wandte mich wieder dem schwarzen Loch - auch genannt Keller - zu.
"Kann ich mit leben.", meinte er nur achselzuckend, aber ich sah, dass er sich ein Grinsen verkneifen musste.
Ich war so froh, dass wir trotz der Situation um uns herum, ein wenig rumalberten. Das lockerte die ganze Stimmung wieder ein wenig auf und vermittelte mir nicht den Eindruck, als müssten wir gleich sterben. Was aber leider die Wahrheit war.
Kritisch zog ich eine Augenbraue hoch, redete mir selber Mut ein und ging dann die ersten Treppen abwärts. Immer weiter in die Dunkelheit. Immer tiefer.
Natürlich hatte Jake die Türe hinter sich zugezogen, so dass nicht einmal das kleinste Fünkchen Licht hineinfiel. Eine Hand hatte ich um das Treppengeländer geschlungen und tastete mich so langsam vorwärts, während meine zweite von ihm gehalten wurde.
"Wenn das hier vorbei ist, bringe ich dich eigenhändig um.", schwor ich ihm und fiel ins Leere. Offenbar hatte ich eine Stufe übersehen. Wahrscheinlich wäre ich die restlichen Treppen hinuntergefallen, wenn Jakes Griff an meinem Arm mich nicht gerettet hätte.
"Danke.", sagte ich leise.
"Und willst du mich jetzt immer noch umbringen?", fragte er und ich konnte mir sein fettes Grinsen bildhaft vorstellen.
"Ja!", grummelte ich und setzte erneut einen Fuß vor den anderen.
Als ich das vierte Mal ins Stolpern kam, wurde es ihm wohl zu doof, denn ich hörte ihn irgendetwas fluchen und keine Sekunde später, schlagen sich ein paar starker Arme um meine Mitten und hoben mich hoch.
Ich quiekte überrascht auf und sagte ihm, ich könne selber laufen. Doch er lachte nur ein wenig und setzte mich am Fuß der Treppe wieder ab.
"Vielen Dank, der Herr!", meinte ich mit geheuchelter Freundlichkeit und schickte ihm meinen übelsten Blick.
Und dann war er plötzlich weg.
"Jake?", fragte ich unsicher in die Dunkelheit. Keine Antwort.
"Jake?", wiederholte ich flach. Stille.
"Das ist nicht witzig!", rief ich jetzt.
"Ist ja gut!", ertönte dann seine Stimme irgendwo hinter mir.
Und wenige Augenblicke danach, leuchtete am anderen Ende des Raumes eine Taschenlampe grell auf und warf Jakes Schatten auf Wand und Boden.
Erleichtert schloss ich die Augen. Manchmal würde ich ihn am liebsten daran erinnern, dass ich ein Mensch war. Im Gegenteil zu ihm und Adrien hatte ich keine übermenschlichen Kräfte oder geschärfte Sinne.
"Mach so etwas nie wieder.", riet ich ihm und versuchte mein aufgeregtes Herz wieder zu beruhigen.
Jake lachte leise. "So einen Spaß lasse ich mir nicht noch einmal entgehen."
Von oben drangen komische Geräusche zu mir hinab.
"Hörst du das?", fragte ich. Meine Stimme war automatisch leiser als zuvor und mein Puls schoss zum millionsten Male an diesem Abend in die Höhe.
Mit schnellen, gedämpften Schritten floh ich von der Treppe weg. Rüber zu Jake. Einer der wenigen Plätze an denen ich mich sicher fühlte.
Jake lauschte ebenfalls. Dann nickte er und legte den Zeigefinger auf seine Lippen.
Aber ich war nicht lebensmüde, also verharrte ich still an meinem Platz während er ein paar Schritte auf die Treppe zuging.
Die Angst lähmte mich. Selbst wenn ich mich also bewegen wollen würde, so könnte ich es nicht.
Kalte Schauer liefen mir über den Rücken und ich merkte wie mein Atem flacher wurde. Abgehackter. Ängstlicher. Unsicher.
"Was machst du...", begann Jake dann, konnte seinen Satz jedoch nicht beenden. Ein dumpfer Knall drang an mein Ohr und wenige Sekunden später hörte ich wie etwas auf den Boden fiel. Etwas sehr großes. Etwas schweres. Ein Körper. Vermutlich...
Und im selben Moment in dem ich den Aufschlag vernahm, erlosch auch das Licht. Die Taschenlampe schlug auf der Erde auf und ich hörte wie Glas zersprang.
Danach war es dunkel. Nein. Es war schwarz. Schwarz wie die finsterste Nacht. Schwarz wie meine schlimmsten Albträume. Schwarz wie der Hass. Schwarz wie die Angst.
Alles war ruhig. Nur die rollende, kaputte Taschenlampe rollte über den Boden und machte dabei ein schleifendes Geräusch.
Ich hoffte, dass es nur die Taschenlampe war...
Um mich herum war alles still. Keine Schritte. Nichts.
Und diese Totenstille war beängstigender als jeder Lärm es jemals vermocht hätte.
Das einzige Geräusch war mein rasselnder Atem, der in meinen eigenen Ohren viel zu laut klang und doch wusste ich, dass ich nicht alleine war. Eine zweite Person befand sich hier unten. Irgendwo rechts neben mir. Denn Blicke klebten auf meiner rechten Körperhälfte. Vielleicht war es aber doch nur Einbildung.
Doch mein Gefühl sagte mir, dass ich recht hatte: Ich war nicht allein.
Ich wusste nicht wie lange ich alleine und wartend in der Dunkelheit stand. Meine Hände waren schweißnass und zitterten unkontrolliert.
Am liebsten hätte ich um Hilfe geschrien. Hätte mich nach einer Waffe umgesehen. Versucht zu fliehen. Hätte irgendetwas getan. Doch ich konnte es einfach nicht. Es war als wären meine Füße mit dem Boden verwurzelte.
Also schluckte ich meine Angst hinunter und versuchte mich auf die Dunkelheit um mich herum zu konzentrieren. Natürlich ohne Erfolg.
Irgendwann fasste ich dann den Entschluss, dass ich die Wahl hatte.
Entweder ich würde auf der Stelle verharren und darauf warten, dass die andere Person sich zu erkennen gab. Oder ich versuchte eine Waffe oder einen Fluchtweg zu finden.
Kurz ging ich beide Möglichkeiten im Kopf durch. Doch egal welche Szenarien ich auch durchspielte, das Ergebnis blieb dasselbe.
Ich musste mich bewegen. Ich musste etwas tun. Irgendetwas. Jetzt!
So sammelte ich den letzten Rest meines Mutes zusammen und machte einen Schritt nach hinten. Neben mir ertönte ein Knurren. Dunkel und Bedrohlich.
Ich schluckte meine Angst hinunter und machte den nächsten Schritt rückwärts. Bedächtig streckte ich meine Hände nach hinten aus.
Vor wenigen Minuten hatte Jake hier gestanden. Ich wusste, dass ungefähr hier Werkzeug auf einer Bank oder etwas Ähnlichem liegen musste. So viel hatte ich in dem schwachen Schein seiner Taschenlampe erkennen können.
Mit bebenden Finger tastete ich hinter mich, ohne mich umzudrehen. Aus einem unerklärlichen Grund wusste ich, dass ich schnelle oder abrupte Bewegungen lieber vermeiden sollte.
Vorsichtig suchten meine Hände nach etwas schwerem. Etwas mit dem ich mich im Notfall wehren konnte. Oder auch jemanden verletzen konnte.
Und dann spürte ich etwas hartes. Rundes. Ein Stahlrohr.
Erleichtert zog ich es an mich und umklammerte es fest.
Meine feuchten warmen Hände bildeten einen heftigen Kontrast zu dem kalten harten Stahl.
Plötzlich war hinter mir ein Zischen und ich wusste, die zweite Person stand mir nun gegenüber.
Fester drückte ich meine einzige Waffe an meine Brust.
Eiskalte Finger strichen mir über die Wange. Ich erschauderte unter der Berührung.
Nur stoßweise entwich die Luft meiner Lunge.
Dann war die Hand wieder fort. Genauso schnell wie sie gekommen war.
Erleichtert wollte ich aufatmen, als plötzlich das Licht anging.
Gequält kniff ich die Augen für einen Moment zusammen.
Als ich sie wieder öffnete blickte ich in ein paar grasgrüne Augen.
"Cam?"

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now