Ein glücklicher Fund

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Also eins musste ich dringend mal loswerden: Adriens Stimmungsschwankungen sind nicht auszuhalten! Das geht einen unglaublich auf die Nerven und nicht nur das! Es machte ihn auch so schrecklich unberechenbar. Man wusste nie, was er als nächstes tun würde. Da gab es diesen einen Mann in ihm, der so wundervoll fürsorglich, liebenswürdig, sanft und rücksichtsvoll war. Und dann war da diese andere Seite: Düster, bedrohlich, kalt, gefährlich.
Vielleicht war es das, was ich anziehend fand. Denn irgendwie war ich genauso. Okay ich war mit Sicherheit nicht bedrohlich und gefährlich, aber auch ich war ein gespaltener Mensch mit zwei Seiten. Vielleicht war es die Ähnlichkeit die uns verband. Denn das uns etwas zusammenhielt war Fakt. Und auch, dass er etwas für mich empfand. Ich wusste nur nicht was. Aber das würde ich schon noch herauskriegen.
Dazu musste ich allerdings erst mal aus diesem Stahlschuppen rauskommen.
Schwerfällig richtete ich mich auf und rieb mir über den Ellenbogen. Als Adrien mich geschubst hatte, war ich ziemlich böse auf den Boden geflogen und jetzt schmerzte mein Arm.
Aber Indianerherz kennt keinen Schmerz, wie ich immer zu meiner kleinen Schwester sagte.
Ich versuchte die Türe zu öffnen, aber sie war abgeschlossen. Natürlich war sie das. Er war ja nicht blöd. Nun, ich aber auch nicht! Aufmerksam ließ ich meinen Blick über die grauen Wände gleiten und suchte nach irgendeiner Fluchtmöglichkeit. Aber auf den ersten Blick schien alles gleich. Grau, kalt, ekelhaft! Ein kleines Fenster über mir in der Decke spendete ein wenig Licht. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und streckte meine Arme soweit aus wie ich nur konnte. Das Ding musste doch irgendwie zu erreichen sein.
"Komm schon!", knurrte ich und sprang ein Stück hoch, aber ich kam nicht einmal annähernd daran. Es war zu weit weg. Seufzend gab ich auf und lief ein paar Schritte an den Wänden entlang.
Irgendwann rutschte ich mit dem Rücken frustriert daran hinunter und umklammerte meine Beine. Es war hoffnungslos! Aber ich würde jetzt nicht weinen. Definitiv nicht! Tränen würden mir jetzt auch nichts bringen. Resigniert legte ich meinen Kopf auf die Knie. Das war doch alles Mist! Warum hatte ich nicht einmal gesehen, dass Adrien hier hinten im Garten so einen Bunker hatte? Entweder war er mir bei meiner Flucht nicht aufgefallen oder das hier war ein Teil des Gartens in dem ich noch nicht war. Ich tippte auf zweites!
Langsam merkte ich wie meine Augen schwerer wurden und die Müdigkeit meinen Körper wie eine Welle überschwemmte. Der Schlaf lockte, aber ich wusste dass ich mich ihm nicht hingeben durfte. Auch wenn ich es wollte, so hatte ich doch Angst vor den Konsequenzen. Was wenn Adrien mich einfach holte, ohne dass ich es merkte? Auf keinen Fall wollte ich meine Chance zu fliehen verschlafen! Das wäre mein Todesurteil. Soweit durfte es nicht kommen. Ich musste wach bleiben. Oder es zumindest versuchen.
Um ehrlich zu sein hatte ich keine Ahnung wie lange ich die grauen Wände angestarrt hatte, als es draußen anfing dunkler zu werden. Es mussten Stunden sein die ich inzwischen hier drinnen verbrachte. Immer wenn ich merkte, dass meine Augen zufielen kniff ich mich oder stand auf und joggte einmal an den Wänden entlang. Allerdings würde ich das nicht mehr lange durchhalten.
Hinter dem kleinen Fenster kam die Dunkelheit in den tristen Raum gekrochen und ich lehnte meinen Kopf an die Wand in meinem Rücken.
Es war alles zu viel. Adrien kam mich nicht holen und wo Cam steckte konnte ich nicht sagen. Im Moment würde ich einiges dafür tun um hier rauszukommen. Außerdem hatte ich Hunger. Und - als wäre es nicht schon genug - wuchsen mit den Schatten um mich herum auch die Erinnerungen an letzte Nacht und ich sah erneut die Szenen vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. Das Splittern der Tür. Die widerwärtigen Geräusche. Das Blut auf dem Boden. Es war als hätte jemand die endlos Schleife betätigt und ich wäre nicht in der Lage sie wieder abzuschalten. Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und rappelte mich auf. Mein ganzer Körper schmerzte. Aber das war mir gerade egal.
Die Wut hatte mich fest unter Kontrolle und so ging ich zu der eisernen Tür und trat dagegen. Natürlich bewegte sie sich keinen Millimeter. Das jedoch feuerte mich nur noch mehr an.
„LASS MICH HIER RAUS DU ARSCH!", brüllte ich und bearbeitete die Wand mit den Fäusten.
Danach taten mir die Hände weh und meine Fingerknöchel waren rot und blutig.
Ich schrie laut und raufte mir die Haare. Ja, meine Geduld war am Ende. Ich wollte hier raus! SOFORT!
Als mein Anfall halbwegs abgeklungen war, versuchte ich erneut das, was ich schon seit Stunden tat: Einen sinnvollen und leichteren Weg aus meinem Gefängnis zu finden.
Zum bestimmt hunderttausendsten Mal ging ich die Wände entlang und betrachtete jeden Meter peinlich genau. Dann sah ich ihn.
Einen Umriss. Wie eine... Tür! Langsam rappelte ich mich auf und ging darauf zu. Ein paar Zentimeter Unterschied waren zwischen den einzelnen Teilen.
Hoffnungsvoll fuhr ich mit den Fingern in den langen, engen Hohlraum und versuchte die Tür irgendwie zu bewegen. Wie eine Verrückte zog ich daran, aber nichts geschah.
Ich holte tief Luft und probierte es erneut. Die Hoffnung verlieh mir ungeahnte Kräfte und dieses Mal funktionierte es. Die Tür schwang auf und eine gigantische Staubwolke schlug mir entgegen. Ich hustete und rieb mir Dreck aus den Augen. Danach wedelte ich mit den Händen in der Luft herum und versuchte wieder etwas sehen zu können. Hätte Adrien nicht einfach eine Türklinge anbauen können?
Dann bückte ich mich und stieg hindurch. Auf der anderen Seite verschlug es mir die Sprache. Ich war nicht irgendwo. Sondern in Adriens Garage. Ein schwaches grünliches Licht beleuchtete die große Halle.
Vor mir standen wohl die teuersten Autos der Welt. Was irgendwie klar war. Immerhin handelte es sich hier um Adrien de Manincor! Was hatte ich da bitte erwartet? Einen Opel Astra vielleicht? Bestimmt nicht.
Auf den ersten Blick erkannte ich ein Rolls Royce Phantom Coupé in schlichtem Perlmutt. Einen Aston Martin One-77 in hochglänzendem Silber. Eine giftgrüne Geiger Corvette z06 Biturbo mit schwarzer Motorhaube. Einen Ferrari Enzo - natürlich in Rot. Und (oh mein Gott, tief Luft holen Talia!) einen Bugatti Veyron Super Sport in Schwarz-Rot. Alleine bei diesen Mega-Sportwagen hätte ich beinahe einen Herzinfarkt bekommen, aber ich ermahnte mich und ging an den Autos vorbei. Allerdings nur um festzustellen, dass dahinter noch vier weitere standen.
Angefangen bei einem mattschwarzen Brabus Bullit Black Arrow. Ich holte tief Luft und warf einen schnellen Blick in den Innenraum. Daneben parkte ein Zenvo ST1 in einem dunklen Blau. Erfürchtig hielt ich vor diesem Monster inne und erlaubte es mir kurz vorsichtig über den Lack zu streicheln.
Als ich mich weiterdrehte stand ich einem schwarzen McLaren P1 gegenüber und musste mir ernsthaft auf die Lippe beißen um nicht aufzuschreien. Meine Güte, das waren keine Autos mehr. Hier standen die Rennmaschinen schlecht hin! Alleine der McLaren kostete bei einer Produktionszahl von 375 Stück 1,1 Millionen!!!
Da war ich schon fast ein wenig enttäuscht als ich den ebenfalls schwarzen Golf wenige Meter weiter entdeckte. Aber ein normaler VW Golf passte irgendwie nicht zu Adrien! Im Leben nicht. Adrien und ein Golf waren wie... Himmel und Hölle. Tag und Nacht. Sonne und Mond! Das ging einfach nicht! Skeptisch betrachtete ich den kleinen Volkswagen. Was ist an dir so besonders, dass de Manincor es für wert hält, dich hier zu haben? Fragte ich in Gedanken. Vorsichtig umrundete ich das Auge. Von außen deutete alles auf einen normalen Golf hin. Aber das ging nicht...
Dann ersuchte plötzlich ein helles Blinken meine Aufmerksamkeit. Ich richtete mich auf und ging zu der dünnen gläsernen Vitrine. Als ich sah was sich da drinnen befand, lächelte ich.
„Na was haben wir denn da?", wollte ich leise wissen und ließ meinen Blick sorgfältig über die zehn Schlüssel darin gleiten.
Ich wusste dass meine Augen glitzerten. Das hier war meine Welt. Schnelle Autos waren mein Leben.
Die verschieden Embleme erfreuten mein Herz, aber beim zehnten Schlüssel zog ich verwirrt die Augenbrauen zusammen. Es war ein Dodge Schlüssel. Aber ich hatte keinen Dodge gesehen.
Mit zittrigen Fingern, öffnete ich das Glas und angelte den in Leder eingebunden Zündschlüssel heraus. Das konnte nicht sein... Er hatte an exakt der gleichen Stelle wie meiner eine lose Naht, weil ich immer mit dem Fingernagel daran zog.
Aber das hieß ja... Ich ließ den Schlüssel aufschnappen und drückte auf das Symbol für Entsperren. Am anderen Ende der Halle - ich stand in der Mitte - leuchteten zwei weiße Punkte auf und blickten mir freudig entgegen. Langsam ging ich darauf zu und erkannte, dass es sich tatsächlich um mein Baby handelte. Denn dort vor mir stand mein Dodge Charger. Jetzt schaffte ich es doch nicht mehr, still zu stehen und tanzte auf der Stelle und quiekte erfreut. Mein Baby war hier. Ihm war nichts passiert. Kurz war ich der Meinung hinter mir Adriens Lachen gehört zu haben, aber als ich mich umdrehte war da nichts. Wahrscheinlich hatte ich mir nur eingebildet. Und selbst wenn, war ich viel zu erleichtert meinen Dodge zu sehen, als das ich dem Geräusch mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Was ein Fehler war, wie ich gleich darauf noch feststellen sollte.
Überglücklich umrundete ich meinen Wagen einmal und tätschelte ihm liebevoll das Dach.
„Ich hab dich echt vermisst, W!", sagte ich und kuschelte mich mit ausgebreiteten Armen auf die Motorhaube. W war englisch, also sprach man es auch so aus. Das ich einen Autotick hatte war inzwischen ja klar aber ich freute mich einfach so etwas vertrautes gefunden zu haben. Es tat so unendlich gut etwas zu haben, was einen an Zuhause erinnerte. Selbst wenn es (nur) ein Auto war.
Aber für mich war es natürlich viel mehr als das. An ihm hingen so viele Erinnerungen, die ich niemals vergessen wollte: Mein erstes Rennen, mein Geschwindigkeitsrekord mit Mary auf dem Beifahrersitz, unser Familienurlaub im letzten Jahr, mein erstes Mal...
Aber auch die Nacht in der alles begonnen hatte: Die Party, Sebastian, Marys Anruf, das erste Schattenwesen, unsere Flucht in den Wald, mein Motorschaden, einfach alles. Der Motorschaden! In der Nacht als Adrien mich entführt hatte! Die Bodenwelle oder was auch immer es war. Ich riss bei der Erinnerung daran die Augen auf, warf mich keine Sekunde später auf den Boden und krabbelte unter meinen Wagen um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Der Frontspoiler schien heil geblieben zu sein. Die Achsen auch. Gott sei Dank! Selbst meine LED Unterbodenbeleuchtung die ich vor wenigen Monaten erst angebracht hatte war noch da. Inzwischen lag ich schon bis zu den Fußknöcheln unter dem Charger. Dieses vertraute Handeln war so entspannend. Schnell überprüfte ich alle LED-Leisten so gut es bei dem spärlichen Licht nun mal ging. Dann krabbelte ich wieder raus und richtete ich mich. Ich klopfte mir die Hände ab und wischte sie mir kurz über die Hose. Dann ging ich zur Fahrertür, öffnete sie, warf mich auf den Sitz und atmete erst mal tief ein. Der Geruch nach meinem Heim hing in den Sitzen und beruhigte mich. Lächelnd steckte ich den Schlüssel ins Schloss und erweckte meinen W zum Leben. Zumindest die Elektrizität. Sie ging wieder und so drückte ich kurzer Hand den Knopf der die Motorhaube entsicherte. Schnell stieg ich aus und öffnete sie vollends. Die zwei grünen Racingstreifen verschwanden aus meinem Sichtfeld und zurück blieb nur der schwarze Lack. Auch hier schien auf den ersten Blick alles normal zu sein. Aber besser konnte ich bei dem schlechten Licht leider nicht urteilen. Behutsam, um unnötigen Lärm zu vermeiden, schloss ich den Motor wieder und stellte mich einfach mit verschränkten Armen vor meinen Schatz. Einen Dodge Charger SRT8 von 2014 durfte man nicht einfach nur fahren. Man musste ihn lieben und spüren. Eine Einheit mit ihm werden. Wenn man das geschafft hatte konnte man die ganze Welt vergessen. Ich war so froh, dass er unversehrt war. Als ich ihn weitere Minuten einfach nur nach Kratzern oder Schäden abgesucht hatte und - Gott sei Dank - nichts gefunden hatte, stieg ich erneut ein und drehte den Schlüssel ein Stück weiter. Mir war egal ob Adrien mich hören würde. Ich wollte nur kurz sehen ob er ansprang. Und er tat es. Der Motor knurrte auf und ich ließ mich seufzend in den Sitz fallen. Ich schloss die Augen und horchte einfach nur dem gleichmäßigem Brummen. Aber eine Frage blieb dennoch: Wie hatte Adrien ihn hierher bekommen? Die Vorstellung, dass er meinen Dodge gefahren hatte ärgerte mich und deshalb wischte ich kurz angeekelt über das Lederlenkrad. Wenn er es getan hatte, so war er ein toter Mann! Und nein, ich reagierte gewiss nicht über!
Ein Knall, der verdächtig nach der Auspuffanlage klang, erschreckte mich und ich würgte den Motor sofort ab. In Rekordzeit sprang ich aus dem Sitz und stand hinter dem Wagen. Es war offenbar nichts Tragisches passiert, entschied ich nachdem ich mich zum zweiten Mal unter das Auto drückte und nach Fehlern suchte. Dann ging in das Licht in der Halle plötzlich an und ich hielt den Atem an.
Schritte. Leise kroch ich weiter unter den Motor. Vielleicht übersah er mich ja einfach. Aber ich glaubte nicht wirklich daran.
„Talia! Ich weiß, dass du unter deinem W liegst. Ich beobachtete dich nicht erst seit eben.", ertönte Adriens Stimme, als seine Füße vor mir zu stehen kamen. Ich kniff die Augen zusammen und stöhnte.
„Komm da raus!", befahl er aber ich dachte nicht daran zu reagieren. Als ich nicht reagierte verschwanden seine Schuhe aus meinem Blickfeld und ich wollte bereits erleichtert aufatmen, als eine kalte Hand sich um meinen Fußknöchel schloss und mich unbarmherzig unter dem Wagen herauszerrte. Vor Schreck schrie ich auf und stieß mir den Kopf am Unterboden. Festhalten konnte ich mich nirgendwo.
Also fauchte ich ihn nur böse an, als ich ihm gegenüber stand. Obwohl ich abgehauen war und mich somit nicht an seinen Befehl gehalten hatte, schien er nicht böse. Ganz im Gegenteil. Um seinen Mund lag ein leichtes Lächeln und seine Augen glitzerten irgendwie.
„Was?", fragte er als ich ihn weitere Zeit nur böse anstarrte.
„Weißt du, es gibt da dieses Wort das mit b anfängt und itte aufhört!", keifte ich und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Dabei durfte ich feststellen, dass ich Motoröl und Ruß vom Auspuff auf der Wange hatte. Na super.
„Du siehst süß aus.", erwiderte er allerdings nur und streckte seinen Daumen aus. Dann fuhr er mir damit über die Wange und lächelte wieder. Seine Berührung war wunderschön, aber ich durfte mich jetzt nicht wieder von ihm einlullen lassen. Jedoch konnte ich nicht verhindern, dass ich rot anlief bei seinen Worten.
„Hörst du mir überhaupt zu?", fragte ich laut und schlug seine Hand weg.
„Bei so einem Anblick geht das wirklich sehr schwer.", meinte er und näherte sich mir. Seine Lippen kamen immer näher. Und näher. Und näher...

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt