Wovor?

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"So das reicht jetzt. Du hast genug geschlafen. Wach auf Talia.", hörte ich eine Stimme. Aber sie schien unglaublich weg zu sein.

In meinem Gesicht spürte ich eine leichte Berührung, als würde jemand mit einer Feder über meine Wange streichen. Es war schön.

"Na komm Talia.", lockte die Stimme wieder. Eigentlich wollte ich nicht aus dem schwarzen, warmen, schmerzlosen Zustand in dem ich mich befand, aufwachen.
Aber die Stimme war so verlockend, dass ich dann doch meine Augen öffnete.

Langsam öffnete ich meine Lider und kämpfte einige Sekunden damit, ein klares Bild zu sehen.

"Wasser.", krächzte ich heiser.
Keine Sekunde später wurde mir ein Glas gegen an die Lippen gehalten und ich trank. Das kalte Wasser tat so unendlich gut, wie es meine ausgetrocknete Kehle hinunter lief.
Gierig trank ich alles aus und holte danach tief Luft.

"Du bist also wieder zurück unter den Lebenden."
Der trübe Schleier auf meinen Augen verschwand langsam und ich konnte allmählich wieder klar sehen.
"Cam?", fragte ich. Es war ungewohnt nach so länger Zeit meine Stimme wieder zu benutzen. Es fühlte sich an, als hätte ich Monate bewusstlos im Bett verbracht.

"Wie lange war ich weg?", hustete ich und richtete mich langsam weiter auf.
"Elf Tage.", flüsterte er und sah mich an um meine Reaktion abschätzen zu können.

Ich glaube ich hatte mich verhört.
"Wie... Wieso denn so lange?", brachte ich hervor und rieb mir über die Augen. Das Blut fing wieder an in meinem Körper zu zirkulieren und das Lebendigkeitsgefühl kehrte zurück in meine Gliedmaßen. Es tat weh.

Ich stöhnte und blinzelte kurz.
"Ich war nicht ganz unschuldig. Aber jedes Mal wenn du aufgewacht bist, hast du so gejammert und hattest solche Schmerzen. Dein Körper sah aus, als hätte man dich von einer Brücke geworfen, was man ja auch irgendwie hat... Na jedenfalls hat Adrien dann immer gesagt, dass ich dir was geben soll, solange dein Körper dabei ist sich zu regenerieren. Er wusste, was für Schmerzen das waren und hielt es für das Beste, wenn du diese nicht erleiden musst.", erzählte er und reichte mir seine Hand, an der ich mich vorsichtig hochzog.

Ich spürte wie mein Kreislauf sich verabschiedete, als ich auf meinen eigenen Füßen vor dem Bett stand und brachte nur ein gehauchtes "Oh Mist." hervor, da fiel ich schon wieder um.
Das heißt ich wäre umgefallen, wenn Cam mich nicht aufgefangen und wieder ins Bett gesetzt hätte.

"Ich werde Adrien kurz Bescheid sagen, dass du wach bist und mache dir einen Kakao, okay?", schlug er vor und stand auf.
Ich nickte. "Wo ist er überhaupt?"
"Ich hab ihn weggeschickt. Er ist dir nie von der Seite gewichen. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Er sollte sich mal ausruhen. Es wird dir nicht besser gehen, weil er die ganze Zeit hier sitzt und deine Hand hält."
Sein Blick wurde weicher, als er meine Ungläubige Mine sah.

Man konnte mir ja viel erzählen und ich glaubte auch viel, aber das Adrien mir nicht von der Seite gewichen war, klang eher nach einem bösen Märchen, als nach der Realität.

"Ich verspreche dir, dass es stimmt.", sagte er mit ernster Stimme.
Als ich jedoch nur schnaufte, drehte er sich lächelnd um und ging. Die Zimmertüre ließ er offen.
Cam und Adrien waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Wobei ja klar war, wer wer war.
Cam war so freundlich, liebevolle, hilfsbereit. Der perfekte Schwiegersohn. Ein Sonnenschein an einem regnerischen Tag. Ein Traum für jedes Mädchen.

Und dann gab es da Adrien: Dunkel, mysteriös, kalt, abweisend, egoistisch, magisch, anziehend und heiß...

Oh Gott! Hatte ich das gerade wirklich gedacht? Nein. Nein. Adrien war vieles, aber nicht heiß oder sexy oder gutaussehend oder attraktiv oder NEIN!
Ich war schon viel zu lange hier. Am besten war es wenn ich mich erst mal Cameron hielt. Er war die normalste Person hier. Und vom Aussehen her, konnte er mit seinem Bruder durchaus konkurrieren.

Aber er schien eben perfekt zu Sein. Und genau das ist war Punkt. Okay ja, ich weiß es und ich gebe es ja auch zu: Das Klischee, das Mädchen sich immer in die Badboys oder Idioten verlieben müssen, stimmt wohl doch gewissermaßen.

"Und? Wie geht es dir?", ertönte auf einmal eine Stimme neben mir. Ich erschrak und zuckte kurz zusammen. Ich hatte ihn nicht kommen hören.
Adrien stand neben meinem Bett und sah mich kritisch an. Irgendwie sah er komisch aus. Müde. Ja, müde traf es recht gut.
Stimmte es also wirklich, was Cam erzählt hatte?

"Weiß nicht. Ging schon mal besser.", meinte ich nur knapp.
Er nahm meine Worte mit einem Nicken zur Kenntnis. Danach entstand eine peinliche Stille zwischen uns.
"Danke.", sagte ich dann irgendwann und lächelte ihn flach an.
Verwirrt sah er auf. "Für was?"
"Dass du mich nicht hast sterben lassen.", erklärte ich, blickte auf meine Bettwäsche und spielte mit dem weichen Stoff.

Ich sah, wie seine Kiefermuskeln sich kurz anspannten.
"Also ich fand es ziemlich egoistisch von mir.", gestand er und seine rechte Augenbraue zuckte kurz in die Höhe.
"Ganz ehrlich? Ich bin froh, dass ich noch lebe.", hustete ich und rutschte ein Stück zur Seite. Leise stöhnte ich, lehnte mich zurück in die Kissen und schloss die Augen.
Als ich die Augen wieder öffnete sah ich Adriens über mir. Erleichterung zeigte sich darin und neben dem Bett hörte ich Cam seufzen.
"Was ist passiert?", wollte ich verwirrt wissen und hielt mir die Hand auf die Stirn.
"Du bist wieder ohnmächtig geworden.", klärte Adrien mich auf und tauschte mit seinem Bruder Platz.
"Wie fühlst du dich?" Auf Camerons Gesicht erschien eine tiefe Sorgenfalte.
"Ging schon mal besser. Eine heiße Dusche wär schön." Meine Stimme war wieder so heiser wie vorhin und mir war nur noch nach Weinen zu Mute.
"Das liegt an deinem Blut.", meinte Cam in Adriens Richtung. Dieser nickte nur und mir kam auf einmal ein Erinnerungsfetzen
von einem Gespräch zwischen mir und Cam wieder in den Sinn.
Das war bevor ich elf Tage lang geschlafen hatte.
Die Sache mit Adriens Blut, das in meinem Körper zirkulierte. Die Selbstheilungskräfte... Alles...

Sofort war ich hellwach.
"Ich werde in meinem Zimmer, noch einmal nachsehen, ob ich ein paar Vitaminpillen oder ähnliches habe um dich wieder auf die Beine zu bringen, hm?" Cam war ziemlich optimistisch. Im Gegensatz zu mir.
Ich wollte Cameron aufhalten zu gehen. Ich wollte nicht mit Adrien alleine in einem Raum sein. Ich wollte nicht dem Mann in die Augen blicken und wissen, dass sein Blut in meinen Bahnen schwamm.
Aber er war schon fort.
"Gott, das ist alles meine Schuld Talia." Adrien setzte sich auf meine Bettkante und streckte eine Hand nach mir aus.
Schwer atmend kroch ich von ihm fort.
Im ersten Moment war er etwas verwirrt, aber dann erhellte sich sein Gesicht.
"Du erinnerst dich also an unser Gespräch?", fragte er und ließ mich nicht aus den Augen.
"Wenn man es denn so nennen kann.", fauchte ich und übersah, dass das Bett hier zu Ende war. Also fiel ich rückwärts hinunter.
Der Sauerstoff wurde mir aus den Lungen gequetscht und mein Kopf knallte mit einem lauten "Dong" auf den Boden.
Adrien kam um das Bett herum und wollte mir aufhelfen, aber ich kroch vor ihm weg.
"Du musst keine Angst vor mir haben.", beruhigte er mich.
"Ich finde sie ist berechtigt.", flüsterte ich und stieß mit dem Rücken gegen die Wand.
"Was ist so schlimm an mir? Bin ich so hässlich? Bin ich so unsympathisch?", schrie er und Wut blendete seine Augen.
"Wovor hast du Angst?", fragte er jetzt ruhiger. "Wovor? Dass ich dich schlagen könnte? Deiner Familie wehtun könnte?" Sein Tonfall wurde liebevoll. Beinahe zärtlich.
"Wovor?", wiederholte er. Tränen liefen mir übers Gesicht und ich konnte und wollte sie nicht stoppen.
"Ja ich habe Angst.", flüsterte ich dann.
"Vor mir? Vor dem was ich bin? Vor dieser Maske aus Falschheit, Lügen und Verrat?" Er strich mir behutsam eine Haarsträhne aus der Stirn.
"Nein. Ich habe Angst davor, dass ich den Mann hinter dieser Maske doch vielleicht irgendwie mögen könnte.", gestand ich dann leise.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now