Der Gartenschlauch

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Als der Audi nicht mehr im Rückspiegel zu sehen war, schüttelte ich den Kopf, sah wieder aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach.
"Jake? Darf ich dich etwas fragen?" Ich rieb die Blutverschmierten Hände aneinander und sah meinen inzwischen besten Freund an.
"Klar.", antwortete er und lächelte.
"Adrien ist doch unsterblich oder?", fragte ich dann und zog meine Augenbrauen nachdenklich zusammen.
Er nickte. "Jaaaa. Warum?"
"Ich will nur wissen, ob ich mir umsonst Sorgen um ihn gemacht habe. Ich meine, wenn er gar nicht sterben kann, brauche ich keine Angst zu haben, dass er nicht zu mir zurückkommen könnte, oder?" In meiner Stimme schwang Hoffnung mit und ich hoffte so sehr, dass Adrien wirklich unsterblich ist und ihm nichts passiert war. Aber hätte Jake mich dann nicht beruhigt? Immerhin hatte er sich auch Sorgen um Adrien gemacht.
Ein paar Minuten dachte Jake angestrengt nach. Dann seufzte er und ich wusste, dass meine Hoffnung von eben gleich davonfliegen würde.
"Wir haben allen Grund uns Sorgen zu machen. Glaub mir.", sagte er und fuhr sich durch die Haare. "Adrien ist unsterblich, ja. Sozusagen immun. Aber nur gegen menschliche Kräfte, wobei das auch nicht ganz stimmt...", erklärte er, stoppte an dieser Stelle und suchte nach den richtigen Wörtern.
"Also ihm passiert grundsätzlich nichts, solange es nicht von einer gleich starken Macht herbeigeführt wird. Das heißt, würdest du oder einer von uns versuchen ihn umzubringen, passiert gar nichts, außer dass der Angreifer gleich sein Testament unterschreiben sollte." Wir lachten beide, weil wir wussten, wie wahr diese Worte waren.
"So weit ich weiß gibt es nur eine Person die über die gleiche Macht wie Adrien verfügt.", meinte ich und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. Still betete ich, dass ich mit meiner Vermutung falsch lag.
Jake sah mich an und nickte. "Genau. Der einzige der ihm wirklich etwas anhaben könnte wäre Nassim."
Ich stöhnte. Na super, meine Befürchtung hatte sich bestätigt. Meine Angst um Adrien war also nicht umsonst. Ganz im Gegenteil...
"Andere Frage.", warf ich wenig später ein.
Jake schmunzelte und forderte mich auf zu sprechen. Er merkte, dass es mir guttat über all das zu reden. Es half mir, mich zu orientieren und es machte es mir insgesamt leichter.
"Mal angenommen, ich würde Adriens Fluch irgendwie brechen und er würde wieder ein Mensch werden, was wird dann aus dir und den anderen, die er geschaffen hat. Und was passiert mit Nassim und seinen Leuten? Sterben sie? Bleiben sie was sie sind? Und wenn ja, könnte dann nicht das Gleichgewicht gestört werden, wenn es nur noch Vampire gibt?", ratterte ich meine Fragen herunter und blickte Jake gespannt an.
"Ich dachte du hättest nur eine Frage.", lachte er. "Aber ich werde dir selbstverständlich alle beantworten. Solltest du wirklich Adriens Fluch brechen, wird der Bann zerstört und alle die von ihm verwandelt wurden, werden ebenfalls zu Menschen. Ende gut alles gut. Bei deinen anderen Fragen muss ich leider passen. Genau kann ich dir das nicht sagen, aber wenn ich mich nicht täusche, verlieren sie ihre Kräfte und werden einfach "normal unsterblich"."
"Wie kann man denn bitte "normal unsterblich" sein?", fragte ich glucksend.
"Naja. Du alterst einfach nicht. Hast keine übermenschlichen Fähigkeiten oder Ähnliches mehr. Das heißt der Fluch wird in gewisser Weise auch gebrochen, nur verschlimmert er sich praktisch. So weit ich weiß heißt es: "Die Karten werden neu gemischt und der Meister kommt um sich das zu holen, was ihm zusteht." Was oder wer damit gemeint ist, wissen nur Nassim und Adrien. Das ist alles was ich weiß. Tut mir leid." Er trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und pfiff fröhlich im Takt zu dem Lied, dass aus dem Radio kam.
"Das reicht mir. Danke.", entschied ich und das Auto versank wieder in die nachdenkliche Stille.

Ein paar Kilometer später, steuerte Jake eine Ausfahrt an. Und das obwohl das Navi etwas anderes sagte.
"Was machst du?", fragte ich verwirrt, nachdem ich einige Zeit mit angesehen hatte wie wir orientierungslos durch kleine Dörfer gefahren waren. Die Körperlose Frau aus dem Navigationssystem bekam bereits hektische rote Flecken, denn sie bat uns ungefähr alle zwei Sekunden "Bitte wenden!"
Aber Jake würde schon wissen, wo er hinmusste. Zumindest hoffte ich das...
"Ich besorg dir was anderes zum Anziehen und eine heiße Dusche.", erklärte er und hielt vor einem kleinen Shop. Es war kilometerweit das einzige Haus an dieser kleinen Straße. Er öffnete seine Tür, sprang aus dem Wagen und befahl mir, im Auto zu bleiben. Dann warf er die Türe wieder zu.
Ich verdrehte die Augen und sah ihm nach wie er in dem Laden verschwand.
Entspannt ließ ich mich in meinen Sitz sinken, löste den Sicherheitsgurt und schloss die Augen. Eine heiße Dusche wäre schon schön gerade.
Mit scharfen Augen betrachtete ich zum abertausendsten Male meine roten Hände und begann erneut daran herumzureiben und versuchte das fremde Blut unter meinen Fingernägeln zu entfernen. Mit demselben Erfolg wie zuvor: Es funktionierte nicht.
Mir klebte sprichwörtlich Fremdes Blut an den Händen und das brachte mich fast zum Durchdrehen. Jedes Mal wenn ich meine roten Finger sah, musste ich wieder an Cam denken. An seine schwarze Iris und das ich keine Ahnung hatte, was aus ihm geworden war.
Ich war tief in meinen Gedanken versunken und als plötzlich jemand an men Fenster klopfte, schrie ich laut und stieß mit dem Kopf gegen das Fenster.
Jake lachte und öffnete meine Tür.
"Tut mir leid. Ich dachte du hättest mich gesehen.", sagte er und konnte sich nur schwer ein Lachen verkneifen.
"Nein. Hab ich nicht.", verteidigte ich mich und sah ihn böse an.
Er entschuldigte sich nochmal und drückte mir dann eine Tüte in die Hand.
"Sie hatten nur Herrensachen. Aber ich habe einfach mehr gekauft, so das du ein bisschen Auswahlmöglichkeit hast. Eine Dusche gibts hier leider nicht. Aber der freundliche junge Mann hinter der Kasse hat uns seinen Gartenschlauch zur Verfügung gestellt.", erklärte er und deutete mir auszusteigen.
"Seinen Gartenschlauch?", echote ich ungläubig und hoffte er scherzte.
"Jip. Ich meine du musst nicht. Aber ich glaube es wäre besser. Du reibst die ganze Zeit an deinen Händen. Selbst wenn du es nicht merkst.", sagte er und ich senkte schuldbewusst den Blick.
"Okay. Sag mir wo.", gab ich mich dann geschlagen und kletterte aus dem Auto.
Jake lächelte. "Du tust das Richtige." Dann führte er mich hinter den kleinen Laden, winkte dem Mann hinter dem Tresen kurz zu und deutete ihm, dass wir auf sein Angebot mit dem Schlauch zurückkamen.
Wir mussten nicht lange suchen um besagten Gartenschlauch zu finden und ich zitterte bereits als Jake das Wasser über meine Hände liefen ließ. Ich redete mir selber Mut zu. Es war Ende Juli. Die Sonne schien und wir hatten Sommer. Da würde mich ein wenig kaltes Wasser nicht umbringen.
Ich legte die Tüte außerhalb der Reichweite des Wasserstrahls und angelte mir das Handtuch daraus, von dem Jake mir erzählt hatte.
"Gut. Ich kann das alleine. Gib mir 10 Minuten.", bat ich und deutete ihm mit einer scheuchenden Handbewegung, dass er gehen konnte.
"Vergiss es." Er kreuzte die Arme vor der Brust und stellte sich wortwörtlich quer.
"Ach komm schon.", lachte ich. "Mich wird schon keiner entführen, wenn ich hier in Unterwäsche stehe und mich mit einem Gartenschlauch abspüle."
Er grummelte irgendetwas unverständliches. "Du hast 20 Minuten, danach komme ich wieder."
"Okay. Chef." Ich salutierte spielerisch vor ihm und kicherte, als er die Augen verdrehte und sich zum Gehen wandte.
"Wenns was gibt, schrei einfach laut. Ich warte um die Ecke.", informierte er mich und war kurz darauf verschwunden. Ich schüttelte kurz den Kopf. Jakes Sorge um mich hatte sich inzwischen in eine ernstzunehmende Paranoia entwickelt.
Danach entledigte ich mich meiner alten Kleidung und warf sie achtlos in den Garten. Dieser Teil des verwilderten Gartens war absolut uneinsichtig und ich war mir sicher, dass ich alleine war. Meine Unterwäsche sicherte ich und brauste mich schnell ab.
Und in einem Punkt musste ich mich selber korrigieren: Das Wasser war nicht nur kalt. Es war eiskalt.
Kräftig schrubbte ich meinen Oberkörper und meine Hände und stoppte erst, als ich mir sicher war, das alles rot verschwunden war.
Als ich fertig war trocknete ich mich grob ab, zog meine Unterwäsche wieder an und stellte das Wasser ab.
Erst dann warf ich einen Blick in die Tüte und zog eine schwarze Stoffhose, sowie einen blau-weiß gestreiften Strick-Pullover heraus. Die Hose stellte sich als die einzige heraus und so war ich gezwungen mit ihr Vorlieb zu nehmen. Sie passte mehr oder weniger. Ich musste sie an den Beinen ein paar Mal umkrempeln. Aber als ich das getan hatte, sah man eigentlich nicht mehr, dass es eine Herrenhose war. Der Pullover passte überraschenderweise perfekt und so beschloss ich ihn gleich anzubehalten. Sicherheitshalber sah ich mir die anderen Kleidungsstücke noch einmal an, war aber schlussendlich ziemlich zufrieden mit meiner Auswahl.
Jake war noch nicht zurück, das hieß also, dass ich noch Zeit hatte.
Mit der rechten Hand fuhr ich mir ein paar Mal durch die Haare und versuchte irgendwie das Chaos auf meinem Kopf zu bändigen, doch ich gab relativ schnell auf. Ob ich nun kämmte oder nicht, war schlussendlich egal. Meine Haare machten eh was sie wollten. Also ließ ich sie von der Sonne trocknen, während ich barfuß durch den ungepflegten Garten und sammelte meine alten Klamotten wieder zusammen um sie dann in eine Mülltüte zu stecken und die beiden Plastikenden zu verknoten.
Dann entsorgte ich den Beutel in einer Restmülltonne, die ich auf dem Weg zum Auto fand und stolzierte an Jake vorbei zum Auto.
"Kommst du?", fragte ich und stieg ein. Jake sah mir ungläubig nach, ehe er dem Verkäufer dankbar zuwinkte und sich nun auf den Fahrersitz seinen BMWs fallen ließ.
"Habe damit gerechnet, dass du länger brauchst.", meinte er anerkennend und ließ seinen Blick über mein Outfit wandern.
"Du siehst gut aus.", stellte er fest und fuhr los.
"Echt? Ich hab schon befürchtet, dass ich aussehe wie in einem Kartoffelsack.", sagte ich überrascht und grinste ihn an.
"Nein. Ich meins ernst.", bestätigte er und die nächste Stunde verbrachten wir damit, den Befehlen des Navigationssystems Folge zu leisten und schließlich wieder die richtige Autobahnauffahrt zu finden und unsere Fahrt ins Nirgendwo fortzusetzen.
Jake und ich lachten viel und er erzählte mir über seine Zeit. Über seine Familie und über seine Treffen mit Isabelle. Es war eine schöne Fahrt. Das Radio spielte gute Lieder und wir stellten fest, dass wir völlig verschiedene Musikgeschmäcker hatten. Aber dadurch hatten wir uns viel zu erzählen.
"Lass das.", forderte Jake mich auf, als es draußen schon lange dunkel war. Vereinzelt kamen uns mal ein paar andere Autos entgegen aber sonst war die Autobahn vollkommen leer. Was für Jake wohl eine Aufforderung war die Regeln der Straßenverkehrsordnung mit Füßen zu treten. Er fuhr mindestens dreißig km/h schneller als erlaubt und beanspruchte alle drei Spuren für sich.
"Was?", fragte ich und sah ihn verwirrt an.
"Das mit deinen Händen. Das Blut ist weg. Du brauchst dich nicht mehr zu kratzen.", sagte er und zeigte auf meine Hände.
Sofort stoppte ich die Bewegung, die ich unbemerkt gemacht hatte und besah mir meine Finger. Sie waren rot. Allerdings nicht weil fremdes Blut daran klebte, sondern weil ich sie aufgekratzt und wund gerieben hatte.
"Oh.", machte ich und ballte sie zu Fäusten. "Entschuldigung."
Er winkte ab. "Ist schon okay. Ich weiß ja, dass du es nicht mit Absicht machst. Mir war klar, dass solche Bilder Folgen haben würden."
"Ich versuche es abzuschalten.", versprach ich und setzte mich der Einfachheit halber auf meine Hände. So kam ich gar nicht erst in Versuchung an meinen Händen zu kratzen.
"Ach das schaffst du locker.", meinte er überzeugt und drehte das Radio leiser.
Ich gähnte.
"Schlaf ruhig. Ich weck dich wenn wir da sind.", versicherte er und lächelte mich liebevoll an.
"Und wo ist dieses >da<?", versuchte ich es ein letztes Mal und unterdrückte ein weiteres Gähnen.
Jake lachte. "Versuchs gar nicht erst."
"Okay.", lächelte ich und kuschelte mich in meinen Sitz.
Er bremste und hielt an. Öffnete seine Tür und holte etwas aus dem Kofferraum. Kalte Luft strömte herein und ich schauderte.
Ich war schon fast eingeschlafen, als das Zuschlagen der Fahrertür mich aufschreckte.
"Entschuldige.", bat Jake und deckte mich mit einer weichen Decke zu. Das hatte er also aus dem Kofferraum geholt. Ich wollte gar nicht wissen, was er da hinten noch alles lagerte.
Ich bedankte mich und kuschelte mich in den warmen Stoff.
Jake fuhr weiter und wenige Kilometer später war ich tief und fest eingeschlafen.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now