Großes Ego - Großer Name

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"Ich hasse es, dass ich in dir mehr sehen könnte, als das Monster, dass mich entführt hat."
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Bei meinem Worten war er ruhig geworden. Sein Daumen malte nicht mehr diese kleinen Kreise auf meinen Handrücken und seine Augen suchten nicht mehr nach der Wahrheit in den meinen. Er saß einfach still da. Wahrscheinlich dachte er darüber nach, was er jetzt wohl am besten Antworten sollte.
Meine Sätze hallten in meinem Kopf umher wie ein lautes Echo in einem dunklen Berg.
"Tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Das war... dumm von mir.", stotterte ich und wandte den Blick ab. Um ehrlich zu sein bereute ich gerade echt, dass ich ihm diese Seite an mir gezeigt hatte. Dass mir diese Sätze über die Lippen gekommen waren. Er kannte nun alle meine Schwächen. Er wusste wie er mich verletzten konnte. Und was wusste ich über ihn? Eigentlich gar nichts. Nun gut, er hieß Adrien, war ein Schattenengel und er hatte einen Bruder. Cam. Aber das war's dann auch schon.
"Nein, ist schon okay. Ich fand es sehr schön, was du gesagt hast.", meinte er und erwachte mit diesen Worten wieder aus seiner Trance.
"Talia, ich möchte, dass du weißt dass du mir wichtig bist und aus diesem Grund möchte ich ehrlich zu dir sein: Die Chancen dass du aus dieser ganzen Geschichte lebend rauskommst sind sehr gering. Und selbst wenn ich die Macht dazu hätte, dich gehenzulassen weiß ich nicht ob ich es noch wollen würde. Es wäre also besser wenn du anfängst dich mit dem Gedanken anzufreunden, hier für eine lange Zeit zu bleiben.", gestand er und beobachtete mich genau um meine Reaktion abschätzen zu können. Aber falls er jetzt darauf wartete, dass ich nun entweder in Tränen ausbrechen oder einen Wutanfall bekommen würde, so musste ich ihn leider enttäuschen, denn keine der beiden Möglichkeiten traf auf meine Reaktion zu. Natürlich war ich entsetzt von seinen Worten, auch wenn ich innerlich schon seit meinem ersten Tag hier wusste, dass ich dieses Haus nicht mehr verlassen würde. Aber es ausgesprochen zu hören kam einem Todesurteil gleich.
Ich atmete tief durch und schloss meine Augen.
"Wie lange?", fragte ich und schaffte es nicht das Zittern und die Angst in meiner Stimme zu unterdrücken. Er sah mich an und dabei lag etwas in seinen Augen, dass ich nicht deuten konnte.
Er fuhr sich durch die Haare wandte den Blick ab.
"Sehr lange.", antwortete er schließlich.
"Und meine Schwester?", wollte ich wissen und kämpfte mit den Tränen. "Meine Mom?"
Und als er dann den Kopf schüttelte, bestätigte sich meine Befürchtung.
"Talia, es tut mir leid.", sagte er ruhig und ich stand auf.
"Ich glaube es ist besser wenn ich jetzt gehe." Meine Augen brannten und ich fürchtete, dass ich, wenn ich ihn ansah, in Tränen ausbrach.
Meine nackten Füße lagen warm auf dem kalten Marmorboden, als ich langsam den Raum verließ.
Wie hatte ich nur so dumm sein können und denken, dass er mich wieder gehen lassen würde? Die anderen Frauen waren schließlich auch nie wieder aufgetaucht. Gott, warum war ich so naiv?
Mit leisen Schritten ging ich den Flur entlang. Die Kälte des Bodens kroch an mir empor und zerrte an meinem noch bettwarmen Körper. Ich schlang mir die Arme um den Oberkörper, in der Hoffnung ein bisschen von der Wärme festhalten zu können. Die Momente von eben festhalten zu können. Hinter mir hörte ich ein leises Knarren und wusste auch ohne mich umzudrehen, dass Adrien im Türrahmen stand und mich nicht aus den Augen ließ. Seine Blicke brannten sich schon fast schmerzhaft in meinen Rücken. Was da eben zu zwischen uns passiert war, durfte nicht sein. Wenn ich ihm gegenüber schwach wurde, würde ich meine Familie nie wiedersehen. Und stolz wären sie dann ganz gewiss nicht mehr. Nein, ich durfte nicht schwach werden. Aber der Gedanke daran, dass ich niemals erfahren würde, wie seine Lippen sich auf meinen anfühlen. Ich spürte Tränen auf meinen Wangen und wischte sie schnell mit dem Handrücken weg.
Als ich die jämmerlichen Reste meiner Zimmertür sah, kam die Erinnerung an letzte Nacht wieder hoch. Schnell schluckte ich in der Hoffnung die Erinnerungen, die Ängste mit runterzuschlucken. Aber sie blieben. Sebastian war weg. Oder besser gesagt, dass was von ihm übrig geblieben war.
Dafür sah man nun allerdings den großen, roten Blutfleck umso deutlicher.
Um ganz ehrlich zu sein, wollte ich nicht in dieses Zimmer. Es schien als hafteten überall die Ereignisse der letzten Nacht.
Ich musste hier raus. Weg von diesem Zimmer. Also atmete ich tief durch und ging schnell an dem großen Fleck vorbei in mein Ankleidezimmer und schlüpfte in andere Kleidung. Den ganzen Tag im Schlafanzug durch die Gegend zu laufen und daran erinnert zu werden wie und mit wem ich heute morgen aufgewacht war, wollte ich lieber vergessen.
Danach verließ ich das Zimmer wieder, ohne dem geronnenen Blut auf dem hellen Marmor Beachtung zu schenken.
Schnell rannte ich die große Treppe hinab und blieb kurz verwirrt stehen, als ich zwei Handwerker sah, die gerade die letzten Reste der kaputten Scheibe entfernten um danach eine neue einzusetzen. Einer der Männer sah mich und kam auf mich zu. Konnte ich ihm irgendwie einen stummen Hilferuf zukommen lassen? Würde er ihn verstehen? Würde er mir helfen? Doch da spürte ich bereits Adriens Hand in meinem Rücken und seinen Atmen an meinem Ohr.
"Komm ja nicht auf dumme Gedanken. Einer wird für deinen Fehler bezahlen und das musst nicht unbedingt du sein.", flüsterte er und während er sprach bewegten sich seinen Lippen an meinem Ohr. Ich krallte meine Hand ins Treppengeländer um nicht ohnmächtig umzufallen. Auch wenn ich ehrlich gesagt nichts lieber getan hätte...
"Guten Morgen, Herr De Manincor. Ich hoffe wir haben Sie und ihre bezaubernde Frau nicht geweckt, als wir wie vereinbart mit unserer Arbeit begonnen haben.", wollte er wissen und reichte uns die Hand.
Aber was mich mehr schockierte war, dass Adrien offenbar erzählte, dass wir verheiratet seien! Was wir definitiv nicht waren und es mit Sicherheit nie werden!
Allerdings hatte ich nun einen vollständigen Namen:
Adrien de Manincor!
Klang südländisch. Bestimmt Italienisch oder so.
Aber natürlich musste es ein Adelstitel sein. Hätte mich auch gewundert, wenn Adrien sich mit einem einfachen Nachnamen wie Müller oder Mayer zufrieden gegeben hätte. Also passte 'de Manincor' zu ihm. Ein großer Name für ein großes Ego.
Adrien lenkte mich unauffällig in die Küche und schloss die Tür hinter uns.
"Bist du bescheuert?!", schrie ich "Du kannst mich doch nicht als deine Frau bezeichnen!"
In seinen Augen sah ich Missfallen aufblitzen, was genug Warnung sein sollte, aber ich wollte mich nicht beruhigen.
"Solange ich noch eine gesunde Zunge habe mit der ich durchaus in der Lage bin zu sprechen, so lasse ich so etwas nicht still über mich ergehen, verstanden de Manincor?", brüllte ich und kochte innerlich.
"Sei still!", zischte er und lauschte an der Tür ob jemand etwas von meinem Anfall gehört hatte.
"Ich rede mit dir!", sagte ich laut.
"Sei verdammt nochmal still!", knurrte er und drehte sich zu mir um.
"Vergiss es! Ich werde mich nicht...", Weiter kam ich nicht, da er aufgesprungen war und mir seine Hand auf den Mund drückte.
"Talia sei still!", befahl er und ich konnte meinen Blick nicht aus seinem lösen. Eine unmenschliche Wut zeichnete sich darin ab.
"Ich denk nicht dran.", giftete ich sofort als er mich losgelassen hatte.
Adrien stieß ein ungeduldiges Knurren aus und riss mich grob nach draußen. Er führte mich quer über eine Wiese und weg vom Haus.
Ich trat um mich und hoffte, dass er mich losließ. Aber schien nicht mal daran zu denken.
Dann sah ich den stählernen Kasten plötzlich vor uns. Offensichtlich sollte es eine Art Schuppen sein. Doch es glich mehr einem Schutzbunker. Er öffnete die Tür, schubste mich in den dunklen Raum und versperrte den Weg nach draußen.
"Du wirst solange hier drinnen bleiben, bis die freundlichen Herren ihre Arbeit erledigt haben. Und tu dir keinen Zwang an: Schrei so laut du willst aber ich verspreche dir, das einzige was du damit erreichst ist, dass du heiser wirst. Ich hole dich wenn die Scheibe wieder drinnen sitzt.", entschied er und schielte auf mich hinab.
Ich rieb mir den Ellenbogen den ich mir bei meinem Sturz schmerzhaft aufgeschlagen hatte und starrte ihn böse an.
"Einen Scheiß werd ich!", flüsterte ich.
"DU WIRST DIESEN RAUM NICHT VERLASSEN! HAST DU DAS VERSTANDEN?", brüllte er und ich kroch von ihm weg und nickte schnell.
"Na geht doch!", seufzte er erleichtert und ging nach draußen. Dann warf er die Tür zu und ich war alleine.

Schwingen der NachtOù les histoires vivent. Découvrez maintenant