Erwachen

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Das Licht. Es war so wunderschön. Ich war glücklich. Ich streckte meine Hand aus und wollte diesen unmenschlichen Schein berühren. Es streifte meine Finger und ich wurde in einen Sog aus Wärme, Geborgenheit und Schutz gezogen. Auf der anderen Seite ebbte das Licht langsam ab. Vor mir befand sich ein unendlich langer Strand. Goldener Sand umgab meine nackten Füße. Moment! Warum war ich barfuß? Und da fiel es mir wieder ein. Ich war gestorben. In Adriens Armen. Adrien... Ich wünschte er wäre jetzt hier bei mir. Dieser Ort war wunderschön und würde ihm sicherlich gefallen. Der Sand verschwand nur wenige Schritte von mir entfernt in dem blauesten Wasser das ich jemals gesehen hatte. Das Wasser hatte die gleiche Farbe wie Adriens Augen.
Ein leichter Wind wehte und ich schloss die Augen um alles noch besser zu genießen. All die Panik von eben, die Schmerzen, schienen so unglaublich weit weg. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gesagt ich würde träumen. Ein Lächeln zierte meine Lippen, als eine Möwe über mir hinweg flog. Es war wunderschön. Wie von selbst bewegten meine Füße sich und ich ging einige Meter ans Wasser. Vorher krempelte ich meine Hose noch über meine Waden.
Sanft umspülten kleine Wellen meine Füße und ich atmete tief durch. Jetzt da es wieder ging. Dieses Gefühl nicht mehr atmen zu können... Es war schrecklich. Bei der Erinnerung schluckte ich.
Aber war das wirklich das Ende?
War ich wirklich tot?
Ich schüttelte den Kopf und der Wind pustete mir einige Haarsträhnen in die Stirn. Mit vorsichtigen Fingern, wischte ich sie vor und ging immer weiter am Wasser entlang in die Ferne. Es war schön hier und ich wollte eigentlich nicht mehr fort.
Nur mit Adrien an meiner Seite wäre es noch schöner. Fast schon perfekt. Meine Beine trugen mich immer weiter. Ich hatte keine Ahnung wohin ich lief und es war mir auch egal. Dieser Ort war einmalig. Von daher war das Ziel egal.
Plötzlich veränderte die Szene sich. Der Wind wurde stärker. Dunkle bedrohliche Wolken überzogen den Himmel und irgendetwas begann laut zu pochen. Böen rissen an meiner Kleidung und trieben mir Tränen in die Augen. Sand wurde mir ins Gesicht geschleudert und der ganze Traum wurde innerhalb von wenigen Sekunden zu einem einzigen Albtraum.
Die eben noch kleinen ruhigen Wellen türmten sich auf und wurden immer größer. Mit unmöglichen Geschwindigkeiten rasten sie auf mich zu. Und was tat ich? Ich verharrte an Ort und Stelle. Sie werden dir nichts tun, sagte eine leise Stimme mir.
Dann traf die erste mich und riss mir die Beine weg. Zeit mich aufzurichten bleib allerdings nicht, da die nächste Welle mich bereits mit voller Wucht traf und ins Meer zog.
Ich kämpfte aber schwimmen hatte ich noch nie zu meinen Stärken gezählt. So wurde ich immer und immer weiter ins Wasser gezogen bis ich nicht mehr stehen konnte.
Irgendetwas umfasste meinen Fuß und zog mich nach unten. Jetzt da der Wind nicht mehr zu hören war, bemerkte ich wieder dieses merkwürdige Pochen. Ganz gleichmäßig. Beruhigend irgendwie. Wie ein Herz, dachte ich noch. Dann verschlang die Dunkelheit des fremden Ozeans mich.

Und ich schlug die Augen auf. Licht. Stimmen. Umrisse. Mir war schlecht. Ich wollte mich bewegen. Etwas sagen. Aber es ging nicht.
Und dann kamen die Schmerzen. Meine Brust tat höllisch weh. Es fühlte sich an als zerdrücke mir jemand den gesamten Brustkorb.
Ich keuchte und schnappte nach Luft. Doch da war nichts. Keine Bisschen Luft erreichte meine Lungen. Ich wurde panisch und begann zu schreien. Es tat so weh. Warum tat es so weh? Warum half mir niemand?
Dann hielt jemand meinen Arm fest und keine Minute später spürte ich ein Stechen und wie kaltes Metall sich in meinen Arm bohrte. Das war das letzte was ich mitbekam.

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, fühlte sich mein Körper an, als hätte man ihn beerdigt. Kaltes Licht blendete mich und ich wusste, dass ich noch lebte. Immerhin eine positive Sache.
Ich rollte zur Seite und stöhnte. Dann hörte ich Schritte und wie jemand leise meinen Namen sagte. Obwohl meine Lider auf waren, war mein Blick verhangen und ich musste mehrmals blinzeln bis ich klar sehen konnte.
Doch dann erkannte ich irgendwann Adriens Gesicht und mir liefen ein paar Tränen der Erleichterung über die Wangen.
„Adrien.", flüsterte ich mit kratziger Stimme.
„Talia.", erwiderte er erleichtert und auch in seinen Augen konnte man Tränen erkennen. Er atmete tief durch und hatte sich wieder gefangen.
„W-Was... Was ist passiert?", fragte ich. Aber da erst bemerkte ich, dass ich unzählig viele Kabel an meiner Körper hatte. Ein Plastikschlauch führte aus meiner Nase. Wo war ich denn bitte gelandet? Neben meinem Kopf piepste ein Bildschirm gleichmäßig. Ich war in einem Krankenhaus?!
Ich wollte mich panisch aufsetzten, doch ein übler Schmerz in meiner Brust hinderte mich daran. Keuchend sank ich zurück, strampelte die Decke über mir weg und zog das hässliche Hemd, das ich trug zur Seite.
Um meinem Oberkörper war ein weißer Verband gewickelt worden. Doch etwas Rötliches schimmerte hindurch. Das schneeweiße Material verlief direkt unter meiner rechten Brust und verschwand dann in meinem Rücken.
Ganz offensichtlich war das der Grund für meine Schmerzen. Mit einer Hand drückte ich leicht darauf. Es tat weh.
Ein leises „Autsch.", entfuhr mir ungewollt. Adrien lächelte. Zumindest ging es einem von uns beiden gut.
„Ich hatte solche Angst um dich.", gestand er dann leise und reichte mir eine Hand. Vorsichtig ergriff ich sie und zog mich unter Schmerzen, daran hoch. Er schüttelte das Kissen hinter mir auf, so dass ich bequem sitzen konnte und setzte sich danach neben mich auf die Bettkante. Ich rutschte ein Stück weiter und er legte sich neben mich. Einen Arm um meine Schultern geschwungen, zog er mich an sich. Vorsichtig legte ich meinen Kopf auf seine Brust und lauschte für mehrere Minuten einfach nur dem Schlagen seines Herzens. Unwillkürlich kam mir das Pochen aus meinem Traum wieder in den Sinn. Wobei, war es wirklich ein Traum? Oder war ich für diese Zeit doch tot gewesen? Und wenn ja, war es dann Adriens Herzschlag der mich zurückgeholt hatte? Oder mein eigener?
„Der Aufprall hat dich so herumgeschleudert, dass du dir einige Rippen gebrochen hast. Eine hat deine Lunge durchstoßen. Blut ist hineingeflossen, deswegen konntest du nicht mehr atmen. Gott, ich bin so froh, dass ich dich nicht verloren habe.", erklärte er und vergrub seine Nase in meinen Haaren. Meine Rippen hatten meine Lunge durchstoßen? Das klang ja echt übel... Da hatte ich wohl richtig viel Glück gehabt, denn offenbar hatte man mir doch noch helfen können. Die Sirenen die ich gehört hatte. Sie hatten mich doch noch rechtzeitig erreicht.
„Wir haben uns vier Mal überschlagen.", erzählte er weiter und fuhr mir behutsam über die Wangen. „Vier Mal Talia!"
Ich atmete tief ein. Wow. Das war wirklich... schockierend, traf es nicht einmal annähernd.
In Gedanken ging die Geschehnisse jenes abends noch einmal durch und blieb an einer Stelle hängen.
„Ich liebe dich.", hatte er gesagt. Oder war ich zu diesem Zeitpunkt bereits in meiner Traumwelt gewesen?
Nein. Da war ich mir ziemlich sicher.
Aber wenn er es gesagt hatte... Wie sollte ich reagieren? Sollte ich sagen, dass ich alles vergessen hatte? Oder schon bewusstlos war, als er es gesagt hatte?
Letztlich entschied ich mich dafür erst einmal gar nichts zu sagen, solange niemand auf das Thema zu sprechen kam. Das würde das Beste sein.
„Wie lange war ich weg?", wollte ich wissen und musste mich daran gewöhnen, dass meine Atmung wieder normal funktionierte. Ich war an meinem eigenen Blut erstickt. Ein ekelhafter Gedanke.
„Knapp vier Tage.", antwortete Adrien und ich bemerkte die dunklen Schatten unter seinen Augen. Er mochte unsterblich sein, aber Ermüdung und Erschöpfung hinterließen also auch bei ihm ihre Spuren.
Ich lächelte matt. „Du bist nicht gegangen.", stellte ich fest und merkte wie das Glitzern in meine Augen zurückkam.
„Nein." Er seufzte. „Ich wollte. Aber ich konnte es einfach nicht. Und glaub mir, ich habe es versucht. Ich stand vor der Zimmertür und hab mir eingeredet, dass ich gehen sollte. Dann hättest du deine Ruhe, könntest in Ruhe genesen und dann zurück in dein altes Leben kehren. Als wärst du mir nie begegnet. Aber nachdem Basti dich gesehen hat, vergiss es..." Er schüttelte den Kopf. „Es wäre zu gefährlich."
Gebannt hatte ich seinen Worten gelauscht und konnte kaum glauben, was ich gehört hatte. Er hätte mich gehen lassen? Einfach so?
„Ich bin froh, dass du nicht gegangen bist.", gab ich dann leise zu und blickte zu ihm auf. Seine blauen Augen strahlten mich förmlich an und sagten das gleiche. Nur mit dem Unterschied, dass ich es laut ausgesprochen hatte.
„Und wer genau ist dieser Bastian?", hakte ich nach einiger Zeit nochmal nach.  „Ich dachte nämlich die Sache mit Sebastian hätte sich erledigt." Ich verdrängte die Erinnerungen an eine bestimmte Nacht die wieder hochkamen.
Adriens Meine verfinsterte sich. „Oh glaub mir ‚Erledigt' hat sich da gar nicht. Es mag sein, dass dieser Sebastian tot ist, aber nicht die Person für die er gearbeitet hat. Außerdem habe ich nach seinem Tod ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass er gar nicht Sebastien hieß. Sein eigentlicher Name war Noah. Noah Avens. Ein von Nassim ausgebildeter Auftragskiller."
Das einzige was mir dazu einfiel war ein trockenes „Oh."
Adrien lachte. Ein wunderschönes Geräusch, wie ich fand.
„Und Bastian war lange Zeit ein enger Freund von mir. Bis er die Seiten wechselte.", meinte er ziemlich kurz angebunden und ich merkte, dass ihn das wohl ziemlich kränkte. Denn wenn ich eines in meiner Zeit bei Adrien feststellen durfte, dann das ihm Loyalität und Treue verdammt wichtig waren.
„Wie kam es damals dazu, dass du zu dem geworden bist, was du jetzt bist?", fragte ich und wusste, dass ich mich auf ziemlich dünnes Eis begab.
Er überlegte. „Ich war jung. Ein wenig naiv und verliebt in das Leben. In diesem Alter hätte ich alles getan um unsterblich zu werden. Tja und wie du siehst hat es ja geklappt."
Ich schmunzelte über seine Feststellung und drehte mich zur Seite. Was ein Fehler war, wie sich kurz darauf herausstellte.
Ich keuchte auf und hielt mir die Seite. Verdammt tat das weh. Schnell kniff ich die Augen zusammen um Adrien meine Tränen nicht zu zeigen.
„Talia?", fragte er aber ich hörte es nicht. „TALIA?" Erst jetzt öffnete ich meine Augen wieder und sah ihn an.
„Es geht schon.", meinte ich tapfer und biss mir auf die Zunge. Es ging nämlich eigentlich gar nichts. Es waren wirklich höllische Schmerzen.
Adrien wirkte nicht besonders überzeugt. Also lächelte ich ihn gequält an. Er erwiderte es in dem er eine Augenbraue hochzog und ebenfalls so schief grinste.
Jetzt musste ich lachen, doch die Freude blieb nur von kurzer Dauer, da bei jeder Bewegung meine Brust anfing zu schmerzen. Also endete mein Lachen in einer Mischung aus Husten, Keuchen und Stöhnen. Adrien schüttelte den Kopf und sah mich liebevoll an.
Zwischen uns hatte sich etwas verändert. Ins Positive.
Nur was genau es war würde sich noch herausstellen müssen.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now