Herausforderung meines Lebens

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Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn eine schrille Stimme weckte mich am nächsten Morgen. Verschlafen streckte ich mich, zuckte allerdings unter Schmerzen in meiner Brust zurück. Es war also doch nicht einfach nur ein Traum gewesen.
„Guten Morgen, Najdroższa.", flüsterte mir jemand ins Ohr und ich lächelte als dieser Jemand mich flüchtig auf die Nasenspitze küsste.
„Daran könnte ich mich gewöhnen.", gestand ich und schlug die Augen auf. Adrien lag noch genauso neben mir, wie gestern. Sein Arm um meine Schultern. Mein Kopf auf seiner Brust.
„Hab ich so geschlafen?", fragte ich schüchtern und merkte wie mir die Röte ins Gesicht schoss, als er nickte.
„Und du bist nicht weggegangen?", wollte ich wissen, als ich seine verstrubbelten Haare sah. Ein leichter drei-Tage-Bart war gewachsen und verlieh ihm etwas unheimlich verwegenes. Warum war mir das gestern noch nicht aufgefallen?
„Ich war die ganze Nacht hier.", antwortete er und lächelte.
„Oh.", brachte ich nur hervor.
Da hörte ich bereits wieder diese hohe Stimme die mich geweckt hatte. Sie sagte irgendetwas, aber eine dunkle - bekannte zweite Stimme - schnitt der ersten das Wort ab.
Sie wurden immer lauter. Unsicher sah ich zu Adrien und zog eine Grimasse. Er lachte nur. Was auch immer da draußen los war, es klang ziemlich nach einem Streit.
„Ich bin Arzt! Ich weiß was sie braucht! Glauben Sie mir!", rief die dunkle Stimme nun und als sich wenige Sekunden später meine Zimmertüre öffnete brauchte ich nicht mehr raten um zu wissen wer mein Besucher war.
Cam stand im Zimmer, warf die Tür hinter sich zu und atmete erst einmal tief durch.
„Diese Frau macht mich wahnsinnig! Die hat doch keine Ahnung von Medizin.", schimpfte er und schüttelte den Kopf. Dann bemerkte erst, dass ich wach war und sein Blick wurde weicher. „Du bist wach!", stellte er erfreut fest und kam zu uns. Adrien und er tauschten einen Blick, den ich nicht deuten konnte ehe Adrien mich vorsichtig anhob und praktisch mit seinem Bruder Platz tauschte. Okay, Cam legte sich zwar nicht zu mir ins Bett, aber er fühlte mir erst über die Stirn, kontrollierte ob alle Geräte, Kabel und Schläuche richtig angeschlossen waren und danach bat er mich, das Hemd hochzuziehen.
Fragend blickte ich zu Adrien. Dieser nickte und ich richtete mich unter Schmerzen ein wenig auf und ächzte.
„ICH werde mir jetzt deine Wunde ansehen. Diese Idioten hier haben doch keine Ahnung!", grummelte er und machte sich daran den Verband zu öffnen.
„Wenn hier auch nur eine Naht schief ist oder die Wunde nässt, bekommt der Stationsleiter so einen Einlauf von mir, dass er nie wieder operieren will."
Ich riss die Augen auf und hoffte, dass er das nicht ernst meinte. Aber wenn er in dieser Angelegenheit auch nur ein kleines bisschen wie Adrien war, würde er seinen Worten wirklich Taten folgen lassen.
In diesem Moment wurde die Zimmertüre erneut geöffnet und eine Schwester in einer weißen Uniform betrat den Raum. Cam fuhr herum, warf einen Blick auf das Verbandszeug in ihren Händen, nahm es ihr ab und drängelte sie aus dem Raum.
„Sie wissen, dass Sie das nicht dürfen, oder?", brüllte sie aber Cam schien das nicht zu interessieren. Er nickte und verdrehte genervt die Augen. „Meine Lizenz liegt vorne am Empfang. Ebenso wie mein Antrag, dass ich mich um diese Patientin kümmern möchte. Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis Ihr Chef seine Unterschrift auf meine Papiere kritzelt. Also wäre es sehr freundlich von Ihnen mich nun meine Arbeit machen zu lassen." Und mit diesen Worten knallte er ihr die Türe vor die Nase. Verunsichert sah ich zu Adrien, der an meine andere Seite gekommen war. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Cameron so aufbrausend sein konnte.
Letzterer drehte sich nun wieder um und schnaufte entrüstete. „Was ist das hier nur für ein chaotischer Laden?"
Er schnappte sich den weißen Verband, sowie eine frische Kompresse und kam zu mir ans Bett. Konzentriert begann er den alten Stoff von meiner Wunde zu wickeln. Umso weniger Weiß die Wunde verdeckte umso ängstlicher wurde ich. Mein Körper zitterte. Ich wollte nicht sehen, wie ich dort aussah. Es würde bestimmt eine hässliche Narbe bleiben. Was wenn bleibende Schäden sich herausstellten? Würde Adrien mich dann trotzdem noch schön finden? Und würde ich mich überhaupt noch ansehen können? All diese Fragen schossen mir durch den Kopf und ließen sich nicht mehr verdrängen.
Ich versuchte gleichmäßig zu atmen. Aber ich hatte Angst. Adrien bemerkte, dass es mir nicht gut ging und nahm alarmiert meine Hand.
„Talia was hast du?", wollte er sanft wissen.
„Ich habe Angst.", antwortete ich und merkte wie Tränen mein Gesicht befleckten.
„Vor was?" Seine Stimme war so wundervoll tief. Ich sah auf unsere ineinander verschlungenen Finger und biss mir auf die Lippe.
„Vor dem was unter dem Verband ist. Dass es mich hässlich macht. Dass du mich dann nicht mehr... mögen könntest.", gab ich leise zu und blickte auf die andere Seite. Nur nicht nach unten auf meine Brust oder zu Adrien. Beides würde ich jetzt nicht verkraften.
„Wie kommst du denn auf so etwas?" Erschrecken und Unglauben spiegelte sich in seinem Tonfall und ich atmete tief durch.
„Talia. Es ist nicht nur dein Aussehen, das dich so wundervoll macht. Denkst du wirklich mich interessiert ob du irgendwo eine Narbe haben könntest? Es ist dein Charakter, der dich so besonders macht. Du bist so anders. In allem. Und dass ist es in was ich mich verliebt habe. Dein gutes Aussehen ist für mich nur ein weiterer Bonus. Egal was auch passiert. Egal wie du auch aussiehst. Egal ob du eine Narbe hast. Du bist wunderschön!", sagte er sanft und ich musste nur noch mehr weinen.
Das war wohl das schönste was jemals jemand zu mir gesagt hatte.
Doch leider legte genau in diesem Moment Cam den alten Verband weg und ich barg den Kopf an Adriens Brust. Ich wollte nicht hinsehen. Als er lachte vibrierte sein Körper und er streichelte mir behutsam über den Kopf.
„Und Bruderherz, bist du zufrieden mit der Arbeit von Doktor Schwarz?", wandte er sich an Cam und ich biss mir auf die Lippe. Hoffentlich sagte Cameron jetzt etwas Gutes. Wenn nicht, wusste ich nicht was ich machen sollte.
Einige Zeit sagte niemand etwas und die Anspannung in der Luft war zum Greifen nahe. Ich war sogar fast soweit doch aufzublicken. Aber in diesem Moment erlöste Cam mich.
„Ja, es sieht recht gut aus. Die Nähte sind schön fein und gerade. Ich hatte erwartet, dass die Wunde in einem schlechteren Zustand wäre. Aber ich bin davon überzeugt, dass es gut abheilen wird. Und irgendwann wird man kaum mehr etwas sehen.", meinte er und mir fiel ein Stein vom Herzen. Wobei Stein untertrieben war. Felsen traf es eher.
„Ich denke mal in neuen Tagen können wir wieder nach Hause fahren.", entschied er dann.
„Neun... AHHH Verdammt!", fluchte ich als Cam mit seinen Händen über die Nähte fuhr. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und krallte mich in Adriens Shirt.
„Neun Tage?", versuchte ich es dann erneut, als ich mich an den Schmerz gewöhnt hatte. Wobei das Wort gewöhnt nicht richtig passte. Akzeptierte, traf es wohl eher.
„Und das ist schon verkürzt. Normalerweise müsstest du mindestens zwei Wochen hier bleiben. ABER weil ich Arzt bin UND weil ich DICH kenne und weiß, dass du eh nicht lange in deinem Bett bleiben wirst, werde ich deinen Aufenthalt hier ein bisschen verkürzen.", schmunzelte Cam und lächelte spitzbübisch.
„Sie ist stark genug und steckt das locker weg. Du solltest nur ein Auge auf sie haben. Sie wird schon bald versuchen durch die Gegend zu laufen, was mit einer Wunde dieser Art tödliche Folgen haben könnte.", meinte er dann an seinen Bruder gewandt.
Adrien lachte. „Ich glaube es wird mir ein Vergnügen sein."
„Das wage ich zu bezweifeln.", flüsterte Cam und begutachtete sein Werk. Der Verband war gewechselt und es schien alles okay soweit. Dann durfte ich mich zurück in die Kissen legen. Ich seufzte. Dieses aufrechte Sitzen war irgendwie ungewohnt anstrengend.
Cam ließ seinen Blick ein letztes Mal über mich wandern, dann ging er zur Tür und deutete Adrien mit einem leichten Kopfnicken mitzukommen.
Adrien drückte meine Hand und lächelte aufmunternd, ehe er seinem Bruder folgte.
Als beide aus dem Raum verschwunden waren, sah ich mich um. Viel zu sehen gab es allerdings nicht. Die Wände waren weiß. Das Bad nebenan. Und ein großer Fernseher hing an der Wand. Allerdings hatte ich einen kleinen Balkon von dem ich einen schönen Ausblick in einen großen Park hatte.
Auch bemerkte ich, dass ich ein Einzelzimmer hatte. Das hieß Adrien hatte offenbar genug Geld fließen lassen um es mir so bequem wie möglich zu machen.
Adrien... Adrien... Was machte er nur aus mir? Und was noch viel schlimmer war, war dass ich anfing mich in ihn zu verlieben. Ich verliebte mich in meinen größten Feind. Doch war er das überhaupt noch? Ich grübelte einige Zeit über diese Frage, ehe ich beschloss, dass Adrien kein Feind war. Ganz im Gegenteil. Und ja ich fühlte das gleiche für ihn, was er mir vor meinem Tod gestanden hatte. Aber konnte ich dieses Gefühl erwidern? Durfte ich es überhaupt?
Er war doch noch immer Adrien. Adrien der mich entführt hatte. Der mir die Chance gegeben hatte mich von meiner Familie zu verabschieden. Der mir das Leben gerettet hatte und das nicht nur einmal. Adrien der... ach was wusste ich denn?! Er hatte den letzten Wochen so unglaublich viel für mich getan und mir immer und immer wieder gezeigt, dass er ein Herz hatte. Dass er irgendwie menschlich war. Dass er kein Monster war.
Ja zu diesem Entschluss kam ich dann. Und auch, dass ich uns eine Chance geben wollte.
Nicht nur Adrien zuliebe. Sondern auch für mich. Vielleicht wäre es tatsächlich möglich ihn zu lieben. Aber wenn man es nie versuchte, würde man es nie herausfinden.
Ich wollte es versuchen, und wenn ich dabei kaputtging, ging ich halt dabei kaputt. Doch das täte ich auch, wenn ich es nie versuchen würde. Denn dann würde ich an den unbeantworteten Fragen zu Grunde gehen.
Wenn ich mich dieser Herausforderung jedoch stellte würde ich meine Antworten bekommen.
Und vielleicht liebte ich Adrien ja tatsächlich.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now