Verlorener Anker

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Ich sah den Dolch immer näher kommen und ich konnte nicht weg. Haltlos begann ich zu schluchzen und mich in Nassims Griff zu wehren. Ich wollte nicht sterben! Ich wollte nicht gehen! Nicht jetzt!
Dann ging alles ganz schnell:
Ich wurde geschubst und flog zur Seite. Ein wütender Schrei drang an mein Ohr, während einige Hände mir aufhalfen. Allerdings waren es wieder nicht die von Adrien. Denn als ich aufblickte, sah ich in Cams Augen und nicht in das gewohnte Eisblau.
Dann drangen abgehackte Rufe und dumpfe Schläge an mein Ohr und ich fuhr herum.
Ich sah wie Adrien auf Nassim einschlug und immer wieder etwas schrie.
Genau konnte ich nicht verstehen, was er rief aber es klang wie Du hast mir alles genommen. Aber sie nimmst du mir nicht.
Immer und immer wieder holte er aus und erzielte Treffer auf Nassims Körper. Doch dann erwachte dieser und begann sich zu verteidigen. Mehr als das! Er ging über zum Angriff und traf.
Erschreckt schrie ich auf, als Adrien taumelte und um sein Gleichgewicht kämpfte.
Er schaffte es nicht sich zu sammeln, denn da setzte Nassim nach und trat Adrien in die Brust.
"Ihr müsst ihm helfen!", brüllte ich seine Männer an. Aber keiner erwiderte meinen Blick oder machte Anstalten einzugreifen. Nein! Sie standen einfach dort und wandten beschämt den Kopf ab.
"Warum unternimmt denn keiner etwas?" Meine eigene Stimmte hallte viel zu schrill und panisch in meinen Ohren. Wenn Cam mich nicht festhalten würde, hätte ich mich sicher schon längst losgerissen und mich zwischen die Kämpfenden gestellt.
"Lass sie.", meinte Cam und griff nach meinen Handgelenken. "Aber wir müssen ihm doch helfen, verdammt! Siehst du denn nicht, dass er verlieren wird?", schrie ich ihn an und trommelte auf seine Brust.
"WARUM GREIFT DENN KEINER EIN??" In meine Stimme mischten sich Tränen und ich schluchzte mehr als alles andere.
"Wir können nicht.", sagte Jake nüchtern und nahm mich Cam ab. Er schlang seine Arme um mich und zog mich in eine feste Umarmung.
Ich barg das Gesicht an seiner Brust und wollte nicht zu Adrien sehen. War ich denn wirklich die einzige, die sah, dass Adrien verlieren würde?
"Dieser Kampf geht weit über unsere Macht hinaus, würden wir uns einmischen wäre das Gleichgewicht gestört und es käme zu schrecklichen Folgen.", versuchte Jake es mir zu erklären und strich mir gleichmäßig über den Rücken.
Aber ich wollte das nicht verstehen! Ich wollte nicht begreifen, dass Adrien dabei war zu verlieren und doch wusste ein Teil von mir, dass es so war und ich es nicht ändern konnte. Egal was ich auch versuchen würde.
In diesem Moment ging ein Raunen durch Adriens Männer und ich konnte Entsetzten, teilweise auch Angst, in ihren Augen sehen.
Sofort fuhr ich herum und konnte gerade noch sehen wie Nassim mit dem Dolch ausholte und auf Adrien einstach.
Ich schrie.
Adrien taumelte überrascht und blickte auf die Waffe in seiner Brust. Sein helles Oberteil färbte sich rot.
Dann blickte er auf und unsere Blicke trafen sich.
Ich riss mich los und rannte zu ihm. Als ich ihn erreichte, war er bereits in die Knie gesunken. Seine Hände zitterten, als sie sich um den Griff des Dolches legten und ihn herauszogen. Danach kippte er einfach nach hinten und blieb liegen.
"Nein!", flehte ich und versuchte mit den Händen die Blutung in seiner Brust zu stoppen. "Nein!" Ich schüttelte den Kopf.
Das war also das Ergebnis, wenn zwei gleiche Mächte aufeinander trafen. Jake hatte mir erzählt, dass nur Nassim Adrien etwas antun oder ihn sogar umbringen konnte und nun saß ich hier. Meine Hände auf Adriens Brust. Meine Augen voller Tränen. Mein Kopf voll Unglauben.
"Verlass mich nicht!", bettelte ich und sah wie das Blut immer mehr wurde. Trotz meiner Bemühungen.
"Talia." Adriens Stimme war rau. Seine Hände bebten als er meine einfing und sie von seiner Wunde zog.
"Hör auf.", sagte er sanft und gleichzeitig bestimmt. Aber ich sah, dass ihn das Sprechen anstrengte.
"Nein!", entgegnete ich und begann wieder meinen Kopf zu schütteln. Ich wollte einfach nicht glauben, dass Adrien sterben würde. Er war doch Adrien DeManincor. Er gab nicht einfach so auf. Er würde nicht einfach so sterben. Jeder! Aber nicht er! NICHT ER!
Er hustete und ein kleiner Streifen Blut floss aus seinem Mund. "Es ist okay.", versuchte er mich leise zu beruhigen.
"Geh nicht!", weinte ich und beugte mich über ihn. "Das kannst du mir nicht antun. Nicht nach allem was ich durchmachen musste. Du bist mein Anker in dieser fremden Welt. Ich schaffe es nicht ohne dich!"
"Ich bin immer bei dir. Ich war es immer und ich werde es immer sein." Er hob die Hand und legte sie auf mein Herz. "Genau hier."
Ich lächelte durch meine Tränen und küsste ihn. Seine Lippen schmeckten metallisch nach Blut, aber das war nicht von Bedeutung. Nichts war es mehr, wenn ich Adrien jetzt verlieren würde.
Ganz leicht erwiderte er meinen Kuss und ich merkte, dass er immer schwächer wurde.
"Ich liebe dich!", flüsterte ich leise und küsste ihn auf die Stirn. "Verdammt ich liebe dich!" Aus meinem Flüstern war ein Schreien geworden und mir war es egal, dass Nassim hinter mir entsetzt aufschrie. Mir war es egal, dass meine Hände rot von seinem Blut waren. Mir war es egal, dass ich fast in dem Feuer umgekommen wäre. Mir war alles egal, nur Adrien nicht.
Er durfte mich jetzt nicht verlassen!
Adrien lächelte mich an und ich konnte Tränen in seinen Augen glänzen sehen. "Es klingt so schön wenn du es so sagst.", krächzte er und hustete wieder. "Würdest du es noch einmal sagen? Für mich?" Er griff nach meiner Hand und drückte sie aufmunternd.
Ich lachte und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. "Verdammt Adrien DeManincor ich liebe dich!"
Er lächelte zufrieden und schloss die Augen.
Sein Griff um meine Hand wurde lockerer und schließlich fiel sie reglos auf den Boden.
"Adrien?", fragte ich leise, obwohl ich wusste, dass er mich nicht mehr hören konnte. "Adrien!"
Ich schluchzte und hoffte so sehr, dass er nur scherzte und gleich aufstand.
"Nein!", heulte ich und wartete darauf, dass sein gewohntes Lächeln zurück auf seine wunderschönen Lippen kam.
Ich schrie auf, als jemand mich hochzog und von ihm wegführen wollte. Mit all meiner Kraft schlug ich um mich und rief immer wieder nach Adrien. Aber er würde nicht mehr aufstehen. Er würde nie wieder meinen Namen sagen und dabei sein typisches Lächeln zeigen. Er würde mich nie wieder in den Arm nehmen und mir versprechen, dass die Welt mir nichts anhaben würde. Nie wieder.
"Talia.", sagte Jake und legte seine Hände um mein Gesicht. So wie Adrien es auch getan hatte.
"Er kommt nicht mehr zurück, verstehst du? Er ist tot! Hörst du mich? ER IST TOT! Auch du kannst ihn nicht zurückholen! Das kann keiner von uns." Ich sah die Tränen in seinen Augen und ich wusste, dass er sich nur nicht erlaubte zu weinen, weil er mir gegenüber stark sein wollte.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein.", hauchte ich und wollte seine Worte nicht glauben.
"Er ist tot verdammt!", brüllte er und schaffte es nicht mehr die Tränen zurückzuhalten. "Begreif es einfach!"
Ich wich vor ihm zurück und weinte noch mehr. "Ich will es nicht begreifen!", schrie ich zurück und blickte hinter ihn. Der Mann, den ich liebte war nicht mehr als ein dunkler Schatten auf dem Boden. Ein Schatten ohne den kleinsten Funken Leben. Ich hatte meinen Anker in dieser Welt verloren. Der Anker durch den ich gelernt hatte, mich hier zurecht zu finden und zu überleben. Aber was sollte ich noch ohne ihn hier?
Ohne Adrien würde nichts mehr sein wie es einmal war.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now