38| Krawatten und andere triviale Dinge

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Ezra

„Wollen Sie nicht reingehen?"
Ich starrte auf die Holztür, haderte, debattierte mit mir selbst. Aber es war, als wären meine Glieder verwachsen mit den Ledersitzen des Wagens. Ich konnte sie schon fast spüren, die Wurzeln, die sich um meine Haut schlangen. Ich konnte gar nicht aufstehen, selbst wenn ich wollte.

„Denken Sie, ich mache einen Fehler?", fragte ich, meine Stimme heißer und leise. Ich hatte so viel für diesen Abend investiert und doch fühlte es sich falsch an. „Was meinen sie?", Graham sah in den Rückspiegel und begegnete meinen Blick.
Vielleicht war das alles ein riesen Fehler. Mein Vater war ein gefährlicher Mann.

Ab heute Abend würde es kein zurück mehr geben. Konnte ich diese Menschen wirklich wegen meiner eigenen Rache in eine Höhle voller Löwen zerren?

Grahams Lippen formten ein sanftes Lächeln. „Was kann falsch daran sein, einen netten Abend mit ihrem Freund zu verbringen?" Die Wurzeln lösten sich, gaben meine Beine wieder frei, hinter ließen nur ein seltsames Kribbeln, als ich mich abschnallte.

Er hatte Recht. Ich konnte jetzt nicht aufgeben.
Ich öffnete die Wagentür, als mich Grahams Blick mich erneut aufhielt. Er sah zur Tür und wieder zu mir. „Sie sind gute Leute, Ezra." Mehr musste er nicht sagen. Ich verstand den Rest.

Ich richtete meine Krawatte und schritt auf die Tür zu. Jetzt oder nie.

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„Du meine Güte! Siehst gut aus, Ezra!", begrüßte mich Lily, an der Tür. Sie trug tatsächlich das schwarze Kleid und sie sah atemberaubend aus. Ihre roten Locken zusammen mit ihrem eleganten Make-Up, ließ sie mächtig aussehen. Wie eine alte Rachegöttin, die auferstanden war um feiern zu gehen.

Ich begrüßte sie und betrat das Haus. So wie immer, herrschte reges treiben. Das Chaos begrüßte mich und meine Schultern entspannten sich augenblicklich. Lizzy saß beleidigt auf der Chouch und meckerte irgendwas, von wegen wie unfair es doch sei, dass sie nicht mit durfte. Moe und Reid unterhielten sich gerade über irgend eine Sportveranstaltung, während Reid ihm die Krawatte richtete. Sadie stand in einem atemberaubenden roten Kleid in der Diele und erklärte Silas die üblichen Regeln, wenn sie außer Haus waren. Es war also alles wie immer. Ich grinste.

Als sie mich bemerkte, drehte sich Sadie grinsend zu mir um, „Schön dich zu sehen, Ezra."
„Ja, siehst heiß aus, Coldwell." , stieg Moe mit ein und kam auf uns zu. Er sah gut aus. Er hatte seine blauen Haare nach hinten gekämmt und der Anzug, den ich ihm geliehen hatte, passte perfekt. Wahrscheinlich stand er ihm sogar besser wie mir. Er legte einen Arm um meine Schulter und grinste mich breit an, „Aber warte erst bist du deinen Liebsten siehst.", er pfiff und schüttelte die Hand, als hätte er etwas heißes angefasst. „Du bist ein Mann mit Geschmack.", er ließ meine Schulter frei und augenblicklich wanderte mein Blick richtung Treppe.

Ich konnte Lee nirgendwo sehen.

„Wo ist er?"
„Oben", antworte Sadie und strich sich ihr Kleid glatt. Wenn Lily aussah wie eine Rachegöttin, war sie eine verschwundene Prinzessin, die ein verlorenes Königreich retten soll. Ich redete ein wenig mit ihnen, knipste ein paar Fotos , bevor sie sich verabschiedeten und sich auf den Weg machten. Als die drei das Haus verließen blieb nur eine Stille, die mich wieder daran erinnerte, das ich nicht auf dem Weg zu einer Spendengala war.

Ich atmete tief durch und drehte mich um. Lizzy saß immer noch auf der Couch, ihre Augenbrauen wissend gehoben.

„Es wird langsam Zeit, meinst du nicht?"

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Seine Tür war offen.
Unschlüssig blieb ich ein paar Schritte vor seinem Zimmer stehen. Was wenn er sich noch um zog? Schwachsinn, welcher Mensch zog sich denn bei offener Tür aus? Ich riss mich zusammen und ging die letzten paar Schritte.

Ich lehnte mich an den Türrahmen, wie damals vor dem Rennen, als mein Blick ihn endlich fand.
Mein Mund wurde trocken. Er ... war das wirklich Lee Green? Der Typ, dessen Klamotten meistens nur aus Öl beschmierten T Shirts bestand? Ich zog an meinem Kragen. Er sah gut aus. Ich räusperte mich. Mehr nicht.

Er stand am Spiegel, die Krawatte offen um seine Schultern gelegt. Das Hemd passte perfekt und brachte seine breiten Schultern perfekt zur Geltung. Seine Haare, waren nach hinten gekämmt, anstatt ihm wie sonst in die Stirn zu fallen. Seine Hände fieselten an dem Stoff der Krawatte herum, als ich endlich merkte, was er da tat.

Ich unterdrückte ein Grinsen und betrat den Raum. „Du kannst keine Krawatte binden?", fragte ich zur Begrüßung. Er zuckte kaum merklich zusammen, als wäre ihm meine Anwesenheit bis jetzt gar nicht aufgefallen. Sein Blick wurde zu einem altbekannten, wütenden Funkeln, und das seltsame Gefühl in meiner Brust beruhigte sich.
„Klappe Coldwell! Nicht jeder hatte private Lehrer, die einem sogar bei bringen, wie man sich den Hintern richtig abwischt!"

Er versuchte erneut, scheiterte aber kläglich. Wütend knurrend, löste er den Knoten wieder.
Ich vergrub meine Hände in meinen Hosentaschen und wanderte hinter ihn, sodass ich mich auch im Spiegel sehen konnte.
„Weißt du, du könntest auch einfach um Hilfe fragen." Er schnaubte abfällig, als würde er sagen wollen ... Greens fragen nicht um Hilfe.

Ich beobachtete ihn. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen, der konzentrierte Blick in seinen Augen, die Art wie seine schlanken Finger erneut anfingen mit dem Stoff zu hantieren. Seine zusammen gekniffenen Lippen... Ich wandte den Blick ab.

Als er wieder versagte, reichte es mir. „Nun stell dich nicht so an!" Ich legte meine Hände auf seine Schultern und drehte ihn zu mir um. Der Geruch von frischer Wäsche und After Shave schlug mir entgegen, als ich merkte wie nah wir uns gerade waren. Ich schluckte und zwang mich, mich auf seine Krawatte zu konzentrieren.

„Weißt du" begann ich und zog die Längen zurecht. „Heute Abend ist es wichtig, das wir authentisch wirken." Er schnaubte und ich spürte seinen Atem auf meiner Wange. „Kein Scheiß, war das nicht der Grund, warum du die letzten Wochen zu meiner persönlichen Hölle gemacht hast?" Ich legte den Stoff über den anderen. Vermied seinen Blick.

„Nicht nur authentisch im Sinne von den Sachen, die wir über uns wissen sollten." Ich zog die Krawatte zurecht. Ich hielt inne und sah ihn an. Seine braunen Augen lagen unumstößlich auf mir. Zwei Sekunden verstrichen, in dem mir der Atem fehlte, weiter zu sprechen. „Du wirst mich berühren müssen. Und ich dich. Also kannst du nicht zurückweichen, oder verweigern, wenn ich dir etwas so Triviales anbiete, wie deine Krawatte zu richten." Ich machte weiter, meine Hände zitterten ein wenig.

Ich richtete seinen Kragen, ließ meine Hände auf seiner Brust ruhen.

Er schwieg und ich wollte ihn schon fragen, ob er mich verstanden hatte, als ich plötzlich erstarrte. Kilians Hand lag auf meiner Hüfte. Ich konnte die Wärme seiner Berührung durch den Stoff spüren. Er zog mich an sich. Seine andere Hand schob sich an meine Halsbeuge und ich vergaß zu atmen. „Was...?", hauchte ich, und der Griff um meine Hüfte verstärkte sich. Er kam näher.

Was sollte das?

Soll ich ihn von mir stoßen? Fliehen? Mein Herz trommelte in meiner Brust, während meine Gedanken vernebelten. Sein Atem streifte mein Ohr. Setzte ein Kribbeln frei, das sich meine Wirbelsäule hinunter zog. „Trivial?", fragte er rau, aber ich hörte ihn kaum. „Weißt du eigentlich..." sein Atem wanderte zu meinem Hals und ich erschauderte.

Sein Körper presste gegen meinen, als ich ihn lachen spürte. Meine Muskeln schienen zu schmelzen, ich wurde wacklig, drohte zu verfließen, als er sich ein Stück zurück zog. Mein Gesicht, nur ein paar Zentimeter von seinem entfernt, und mein Blick huschte auf seine Lippen. Was zur Hölle tat ich da?

Sein Mundwinkel zuckte, als er sich mir endgültig entzog. Die fehlende Wärme, war der einzige Beweis dafür, dass das gerade wirklich passiert war. Verstört und immer noch ein wenig vernebelt, sah ich zu ihm auf. Doch er drehte sich einfach um und sah die Krawatte zufrieden an. „Meinst du etwa so?"
Die Farbe verließ mein Gesicht.

Er drehte sich teuflisch grinsend zu mir um. Als er die Hand hob, zuckte ich zurück, doch er strich lediglich eine Haarsträhne aus meiner Stirn. Dieser Wichser. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich weiß wofür du mich bezahlst."

Er strich sich ein letztes Mal über den Anzug.
„Wie sollten los, meinst du nicht?"

Bad Influence [BxB]Where stories live. Discover now