94| So einfach ist das nicht

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Love Is Gone - Acoustic
SLANDER

Ezra

„Ezra?", fragte er verschlafen und sah blinzelnd zu mir auf. Ich ließ mich auf den Stuhl neben ihm sinken. „Hey, Kiddo.", begrüßte ich ihn. Ich wollte ihn eigentlich nicht wecken, nur sehen wie es ihm ging. Ich wollte ihn besuchen, seit dem Sadie mir von seinem Zustand auf der Damentoilette berichtet hatte. Es war 5 Uhr morgens und eigentlich durfte nur Familie außerhalb der Besucherzeiten zu ihm. Ich hatte es aber geschafft, mich in einem unbeobachteten Moment vorbeizuschleichen.

Silas sah nicht gut aus. Seine sonst so lebhaften Augen sahen nun trübe und müde zu mir auf. Sein Haar klebte verschwitzt in seiner Stirn. Vorsichtig strich ich es ihm zurück. Er war glühend heiß. „Was machst du hier?", krächzte er. Laut den Ärzten hatte sich seine Lage rapide verbessert. Wie musste also die Situation gestern gewesen sein? Kein Wunder, dass Lee so verzweifelt war.

Ich rang mir ein Lächeln ab. „Mich verabschieden.", gestand ich und er sah mich fragend an. „Verabschieden? Gehst du weg?" Ich sah ihn eine Weile an. Er sah Lee so verdammt ähnlich. Die Locken, die Grübchen, das Braun der Augen.

„Für eine Weile.", antwortete ich und er nickte verstehend. Als ich das Polizeirevier verließ, wurden mir ein paar Sachen klar. Ich hatte diese Dinge getan, um sie zu beschützen. Und auch wenn ich einen guten Grund dafür hatte, war der Schmerz, den sie alle deswegen hatten, echt und real.

Ich tat ihnen weh. Selbst wenn die Greens das Beste waren, was mir jemals passiert ist, war ich einfach nicht gut für diese Familie.

Manche Dinge konnte man nicht rückgängig machen. Ich verstand ihre Gefühle, aber ich konnte nicht ertragen, mich ihnen zu stellen. Ich ertrug den Hass in ihren Blicken nicht mehr. Und ich wollte es ihnen nicht zumuten, mir zu verzeihen. Sie verdienten besseres. Sie verdienten es loszulassen und zu vergessen.

Sie brauchten Zeit. Genauso wie ich. Ich brauchte Zeit, um über alles nachzudenken. Um damit fertig zu werden. Nur eine Weile, bis der Schmerz verblast war und die Wahrheit nicht allzu große Wellen warf.

Lee hat einen sauberen Cut gefordert. Vielleicht war es genau das, was ich auch brauchte.

„Kommst du wieder?", fragte er leise. „Ich weiß es nicht.", antwortete ich und er legte den Kopf schief. Ich hatte heute Nacht bereits alles geregelt.

Ich hatte meinem Vater endlich den beschissenen Ordner vor die Nase geknallt. Und da er praktisch gestanden hatte, versucht zu haben, Lee umzubringen, hatte ich endgültig die Oberhand. Ich war endlich frei. Er gab auf, aber nicht ohne mir noch ein paar Beleidigungen um die Ohren zu hauen, als ich das Coldwell Haus ein letztes Mal verließ.

Das Geld wurde vor einer Stunde auf meine Konten überwiesen und meine Koffer waren gepackt. Ich hatte die ganze Welt offen. Über die Schule machte ich mir auch keine Sorgen.

Ich konnte überall hin. Aber wenn ich ehrlich war, gab es nur einen Ort, wo ich wirklich hin wollte.

Ich hatte alle Harken meiner Liste abgehakt. Bis auf einen. Mich zu verabschieden. Aber da gab es nur ein Problem. Ich war ein Feigling.

Moe hatte wahrscheinlich recht. Sie würden mir das niemals verzeihen können. Also war es vielleicht besser, einfach leise zu verschwinden. Aber ich konnte nicht, ohne wenigstens irgendjemand zu sagen, was ich vorhatte. Zudem musste ich sichergehen, dass es Silas gut ging.

Ich hatte seine Arztrechnung bezahlt, auch wenn ich wusste, dass mich Lee wahrscheinlich dafür verprügeln würde, wenn er davon wüsste.

Aber wenn er es erfährt, wäre ich schon weg.

„Ist es, weil sie sauer auf dich sind?", fragte er und ich musste schlucken. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. „Teilweise. Es ... Es gibt hier einfach keinen Platz mehr für mich." Silas verzog das Gesicht. „Kannst du dich nicht entschuldigen und alles ist wieder gut?"
„So einfach ist das nicht."
„Wieso nicht?"

Ich sah in seine großen Augen und seufzte. „Manche Sachen sollte man nicht vergeben. Und ich habe auch kein Recht, um Vergebung zu bitten." Silas rümpfte die Nase. „Das klingt dumm." Ich lachte kurz auf. Rutschte an den Rand des Stuhls.

„Die Wahrheit ist", begann ich und atmete tief durch. „Ich habe Angst." Angst davor, dass sie mich danach trotzdem noch hassten. Oder noch schlimmer, dass sie mir verziehen und ich es nochmal vermasselte. Ihnen nochmal weh tat. Oder sie das erkannten, was mein Vater schon längst wusste. Dass ich es nicht wert war, dazuzugehören.

Silas schwieg eine Weile. „Das musst du nicht. Lee beschützt uns." Ich schloss gequält die Augen. „Ich weiß."

„Ich glaube sie sind dir nicht wirklich sauer.", murmelte er und schloss die Augen. „Ich glaube, sie vermissen dich eher." Ich deckte ihn vorsichtig zu. „Meinst du?"

Er kuschelte sich tiefer in die Decken. „Mhm.", murmelte er zustimmend und ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Ich glaube, wenn du dich entschuldigst, darfst du auch wieder zum Taco Abend kommen.", brabbelte er in sein Kissen. „Willst du denn, dass ich komme?"

Er zuckte mit den Schultern. „Es war schöner, als du da warst.", flüsterte er, bevor seine Atemzüge zu einem tiefen gleichmäßigen Rhythmus wurden. Vorsichtig stand ich auf und sah hinab auf den schlafenden Jungen. „Gute Nacht, Silas."

Ich stand eine Weile in dem Raum, in dem ich nichts zu suchen hatte, hörte zu, wie die Geräte piepten. Was tat ich hier eigentlich? Ich sollte nicht hier sein. Ich sah an mir hinab. Fuhr über den Stoff meiner Lederjacke. Ein sauberer Cut.

Meine Brust schmerzte, als ich sie über meine Schultern zog und sauber auf den Stuhl hing, auf dem ich vor kurzem noch saß.

Ich verließ den Raum und zog die Tür leise hinter mir zu.

Ich sollte zurückgeben, was mir nicht gehörte.

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Heyo!
Bin nur hier um euch mitzuteilen das sich das Buch langsam dem Ende nähert!
Schönes Wochenende euch!

-Nini

Bad Influence [BxB]Where stories live. Discover now