96| Bestellung für Green

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[5 Monate später]

Killian

„Bestellung für Green.", säuselte Moe und stellte den Blaubeermuffin vor uns auf den Tisch. Annie legte den Kopf schief. „Weißt du, vielleicht ist es die gelbe Schürze, aber du wirkst wie ein komplett neuer Mensch." Mein bester Freund stemmte seine Hände in die Hüften. „Vielleicht liegt es daran, dass ich kein Drogendealer mehr bin." Lily musterte ihn. „Nein, ich denke, es ist die neue Schürze."

Er verdrehte die Augen. Heute war in der kleinen Bäckerei ziemlich viel los, und Moe hatte eigentlich keine Zeit, mit uns zu plaudern. Er tat es trotzdem. Das Klingeln der Tür kündigte einen neuen Kunden an. „Sorry Leute. Ich hatte einen kleinen Patienten, der-", Sadie ließ sich atemlos auf den Stuhl neben mir fallen. Sie trug immer noch die blauen Kittel und hatte ihre Haare zu einem lockeren Knoten hoch gebunden. Der Krankenschwester Look passte perfekt zur ihr, auch wenn sie erst in der Ausbildung war.

„Jaja, spar dir deine Ausreden, Green. Wofür treffen wir uns den jeden Mittwoch, wenn ihr es nie schafft pünktlich zu kommen!", beschwere sich Lily und stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch.

Seit dem Abschluss hatte sich viel verändert. Moe hatte wie geplant einen Nebenjob, während er nebenbei tätowierte. Er schien richtig aufzugehen in dem, was er tat. Auch wenn er es leugnete, Backwaren waren definitiv sein Ding. Und Sadie... Sie hatte ihre Ausbildung angefangen. Ohne weitere Drogenzwischenfälle.

Annie und Lily waren nun seit 3 Monaten fest zusammen. Und sie waren wirklich Brechreiz-süß zusammen. Lily gründete gerade ihre eigene Wohltätigkeitsorganisation und Annie schrieb darüber ein paar Artikel. Sie arbeitete nämlich nun schon seit ein paar Wochen für eine seriöse Zeitschrift. Sie planten sogar mittlerweile zusammenzuziehen.

Was mich angeht... bei mir hatte sich nicht viel verändert. Ich brachte Lizzy zu ihrem Training, spielte mit Silas Mario Kart. Aber nun war ich es, der Moe auf der Arbeit nervte. Als Sadie ihren Job im Diner kündigte, brauchten wir einen neuen Green, den wir auf der Arbeit belästigen konnten.

Und so waren wir irgendwann dazu übergegangen, uns jeden Mittwoch in der Mittagspause hier zu treffen.

Unsere Probleme waren in den letzten Monaten auch leichter geworden. Silas hatte sich von seiner Lungenentzündung erholt. Das hielt Sadie aber nicht davon ab, bei jedem kleinsten Huster totale Panik zu schieben. Cash wurde an jenem Abend tatsächlich aus dem Weg geräumt. Er konnte nun zusammen mit meinem Vater hinter Gittern schmoren.

Es lief also alles gerade super, wäre da nicht eine Sache...

Moe schwang sich neben Sadie, und erntete damit ein paar düstere Blicke von der älteren Dame, die den Laden hier leitete. Es schien ihn nicht wirklich zu bedrücken. „Ich hab euch doch von Dean erzählt.", begann er und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.

„Warte", warf Annie ein. „Wer war Dean nochmal?" Moe seufzte und Sadie kramte ihr Handy aus der Tasche. „Ich hab ein Foto von ihm." Annie beugte sich zu ihr und musterte den Typen auf ihrem Bildschirm. „Ouh, ist das ein Foto vom Abschlussball?"
„Ja, tatsächlich-"
Leute", rief Moe. „Ihr schweift ab! Wollt ihr es nun wissen oder nicht?"

Lily sah ihn skeptisch an und sippte an ihrem Kaffee. „Hat er dich jetzt endlich auf ein Date eingeladen?", fragte sie und Moe lehnte sich triumphierend zurück. „Besser."

Lily seufzte ergeben. „Willst du nicht auch langsam was Ernstes, Moe? Immer nur One-Night-Stands sind nicht gut für dich." Er verzog das Gesicht. „Damit ich mich verliebe und dann Ewigkeiten meiner verlorene Liebe hinterher heule, wie der Kerl hier?", sagte er und meinte damit wahrscheinlich mich. Ich kräuselte lediglich die Stirn. „Nein, danke!"

Ezra Coldwell war wie vom Erdboden verschluckt. Keine Zeitschrift berichtete mehr über ihn. Seine Nummer war nicht mehr in Betrieb, und seine sozialen Medien waren gelöscht. Es war, als hätte er nie existiert.

Aber das tat er. Er war da noch irgendwo da draußen. Und ich konnte warten.

Auch wenn sie mich deswegen aufzogen, hatten sie mir die vergangenen Monate bei meiner Suche geholfen. Als ich ihnen von der ganzen Sache berichtete, wollte Sadie praktisch einen ganzen Suchtrupp organisieren. Moe hatte mehr sorry-Plätzchen gebacken, als dass sie ein menschliches Wesen jemals essen könnte.

Aber so sehr wie wir uns auch umhörten, ihn suchten, er war nicht aufzufinden. Und das schlechte Gewissen zerrte an jedem von uns. Wir machten uns Vorwürfe, Sorgen und Hoffnungen.

Wir warteten alle darauf, dass Ezra wieder nach Hause kam.

Alles, was von ihm übrig geblieben war, war meine Jacke und die Worte, die er einem schläfrigen 8-Jährigen gesagt hatte. Ich strich gedankenverloren über das Leder.

Annie schlug Moe mit einer Zeitschrift über Schuhe auf den Arm. „Such dir doch mal jemanden der dir guttut.", schlug sie vor und Moe lachte auf. „So einen gibt es nicht." Ich lehnte mich grinsend vor. „Bist du sicher?"
Moe sah mich böse an. „Halt du dich da raus, Green. Du konntest Cinderella ja nicht mal in der gleichen Stadt behalten, also geb du mir keine Beziehungstipps!" Ergebend hob ich meine Hände.

„Ich mein ja nur."
„Ach Moe! Übrigens!", meinte Lily, mit einem Mund voller Apfelkuchen. „Die Dekoration sieht super aus." Er tippte sich an seinen imaginären Hut. „Man nennt mich nicht umsonst den Bastel-König."
„Niemand nennt dich so."
„Klappe, Sadie."

Ich ließ mich in meinem Stuhl zurückfallen und sah mich in dem Laden um. So wie jeder Laden zu dieser Zeit war er geschmückt mit Kürbissen und anderweitiger herbstlicher Deko. Ich erkannte Girlanden mit Deko-Blättern und unzählige Kerzen so wie Fake-Spinnennetze. „Ich bin so gespannt auf übermorgen!", rief Sadie und trommelte auf der Tischplatte.

Seit einer Woche plante sie nämlich eine riesige Halloween-Party. Das wäre ja ganz okay, würde sie nicht in unserem Haus stattfinden. Statt mich an meinem Geburtstag also in meinem Zimmer zu verziehen, um mir ein paar Horrorfilme reinzuziehen, wäre mein Haus nun gefüllt mit maskierten Fremden und lauter Musik.

Ein Fingerschnippen gegen die Stirn riss mich aus meinen Gedanken. „Schau nicht so, du Geburtstags-Muffel! Du hast mir verboten eine Party für dich zu veranstalten, also lass uns wenigstens Halloween feiern.", meckerte Sadie und ich rieb mir über die Stirn.

„Ja ja, wie auch immer. Ich helfe dir jedenfalls nicht beim Aufräumen."

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Moe überreichte mir den Beutel mit Minimuffins. „Deine Bestellung für Coldwell. Sag Kathrine schöne Grüße von mir, und das nächste Mal schau ich auch mal wieder vorbei." Ich drückte ihm das Geld in die Hand. „Sag ich ihr. Und Moe", er sah hinter der Kasse auf. „Gelb steht dir wirklich." Er grinste schief. „Drecksack."
„Wichser."

Ich verließ den Laden und kalte Oktoberluft schlug mir entgegen. Ich blieb stehen und beobachtete eine Weile die Menschen, die an der Bäckerei vorbeigingen.

Es war ein seltsames Gefühl, dass das Leben für den Rest der Welt weiterzugehen schien, während meins in jener Nacht vor 5 Monaten stehen geblieben war. Als hätte jemand auf Pause gedrückt.

Als wäre es nicht mehr ganz vollständig. Als würde etwas fehlen. Oder jemand.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und genoss die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres.

Und während ich den Gehweg entlang ging, wanderten meine Gedanken, wie so oft zu der einen Person, die nie wirklich ganz verschwunden war.

Bad Influence [BxB]Where stories live. Discover now