98| Dedikationen

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Heart Like Yours
Willamette Stone

Erzähler

„Erzählst du uns noch eine Geschichte?", fragte ein kleines Mädchen und hielt das Märchenbuch in die Luft. Die anderen Kinder stiegen mit ein. Sadie rappelte sich auf und strich ihren Kittel glatt. „Sorry Leute, aber ich muss noch ganz viel lernen." Ein kleiner Junge zog eine Schnute. „Kannst du das nicht später machen?"
„Ja, spiel mit uns!", warf ein anderer ein.

Sie hatte gerade Pause und besuchte die Kinder auf ihrer Station. Sie wollte eigentlich verneinen, weil ihre Ausbilderin großen Wert auf Pünktlichkeit legte und sie gleich zur Übergabe mit musste. Aber sie hatte noch 5 Minuten und sie konnte den Kindern wirklich nichts abschlagen. „Okay, aber nur noch eine.", gab sie auf und das kleine Mädchen jubelte.

Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und schlug die ersten Seite auf. Sie laß die erste Seite und spürte die Blicke aus den großen neugierigen Augen der Kinder. Doch... Sie sah auf. Aber es waren wirklich nur die Kinder im Raum. Sie schüttelte das Gefühl ab, beobachtet zu werden und suchte den Satz, wo sie aufgehört hatte.

Sadie verstellte ihre Stimme, als der große Bär sprach und die Kinder lachten. Sie blätterte um, als eine Gestalt an dem Zimmer vorbeihuschte. Sadie runzelte die Stirn. War das...? Es war zu schnell, als dass sie etwas erkennen hätte können. „Miss Green?", das Mädchen zupfte an ihrem Ärmel. Sadie setzte schnell ein Lächeln auf und begann mit piepsiger Stimme die Worte der Maus vorzutragen.

Sie versuchte sich auf die Geschichte zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweiften immer wieder zu der Person. Sie hätte schwören können, dass sie blond gewesen war.

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„Haben Sie noch einen schönen Tag!", lächelte Moe freundlich und überreicht dem älteren Herren seinen Kaffee. Die Bäckerei war brechend voll. Es war Mittag und alle Angestellten hatten sich auf den Weg gemacht sich ihr Mittag essen und ihren Kaffee in der nächsten Bäckerei zu holen.

Es war so viel los, dass die Schlange sich bis hinaus vor die Tür zog und sie mit den Bestellungen kaum noch hinter kamen. „Haben wir noch Mohnbrötchen?" „Einen schwarzen Kaffee? Wer wollte den schwarzen Kaffee?" „Haben Sie noch einen schönen Tag. Und Happy Halloween!"

Moe warf sich ein Tuch, mit dem er gerade einen freigewordenen Tisch gewischt hatte, über die Schulter und schnaufte einen Moment durch. Es war ein herrlicher Herbsttag. Die Sonne war noch warm und golden und die ganze Natur blühte rot und Gold, so sehr, dass man sogar in der Mitte der Stadt was davon mit bekam.

Bald wären die Straßen voller Kinder, die auf Süßes oder Saures Tour gingen und die reichen Nachbarschaften nach den besten Schokoriegeln abklapperten.

Warme Strahlen brachen durch das Schaufenster. Moe machte sich wieder an die Arbeit. „Haben sie noch einen-" Das Trinkgeldglas klirrte und sein Blick fiel auf das alte Einmachglas, das sie umfunktioniert hatten. „Danke, Sir-" Aber die Person war schon in der Menge der anstehenden Menschen verschwunden.

Warte...
Panisch suchte er die Menge ab. Hatte er sich das gerade nur eingebildet? Und dann.. ein junger Mann verließ gerade den Laden, doch kurz bevor er sein Gesicht sah, wurde es erneut von neuen Kunden verdeckt. Aber von hinten könnte Moe schwören...

Er war die Szene damals auf dem Revier tausendmal durchgegangen. Er war zu weit gegangen und das zerrte an ihm. Der Gedanke, dass er schuld war, dass Ezra einfach verschwunden war... Dass er ihn vielleicht vertrieben hat... Nachdem alles enthüllt wurde, hätte er sich am liebsten eine geschmiert.

Er war so blind vor Wut gewesen. Aber, wenn er das wirklich das war... Wenn er gerade wirklich Ezra gesehen hatte...

Er könnte sich endlich entschuldigen.

„Moe, was-", rief Nadine, seine Arbeitskollegin, geschockt, als er sich über den Tresen schwang und sich durch die Menge quetschte. „Ezra!"

Frische Luft schlug ihm entgegen, als er mitten in einen Strom von Menschen geriet, die auf dem Gehweg gingen. Moe stellte sich auf seine Zehnspitzen, versuchte den Mann auszumachen, den er aus den Augenwinkeln gesehen hatte. Versuchte den blonden Haarschopf in der Menge von Fremden zu finden. „Ezra!"

Aber da war niemand mehr. Wie ein Geist hatte sich die mysteriöse Gestalt in Luft aufgelöst.

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Lee schwang sich gerade auf eine Box voller Ersatzteile, als sein Handy klingelte. Grinsend nahm er ab. Er konnte ahnen, warum sie anrief. „Morgen Kathrine.", begrüßte er die ältere Dame. Wahrscheinlich rief sie an, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren, oder ein Happy Halloween zu wünschen. Vielleicht wollte sie sich aber auch nur über die neuen Tabletten beschweren.

Aber auf der anderen Ende der Leitung war es still. „Kathrine?" Er rutschte nervös von der Kiste. „Alles okay?"

„Lee!", rief sie und er konnte nicht sagen, ob sie panisch oder euphorisch war. „Killian, du musst sofort hier herkommen!", forderte sie und sein Blut rannte kalt. Was? Was war passiert? „Ist-"
„Das musst du dir ansehen!"

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Er rannte in ihr Krankenzimmer, bereit für alles. Blut, Schmerz, Tod. Stattdessen fand er Ezra's Mutter in ihrem Bett sitzen. Sie wirkte lebendiger denn je. Als sie ihn sah, atemlos und völlig verschwitzt, musste sie lachen. „Oh du meine Güte, ich hätte dir vielleicht sagen sollen, dass es nichts Schlimmes ist." Ja, das wäre hilfreich gewesen.

Mit einem jugendlichen Grinsen klopfte sie auf den Stuhl neben sich. „Setzt dich. Setzt dich."
Er tat, wie ihm befohlen, aber sein Herz konnte sich nicht beruhigen. „Ich wollte dir eigentlich was anderes zum Geburtstag schenken, aber das hier ist viel besser."

Sie zog ein Buch hinter ihrem Rücken hervor und überreichte es ihm feierlich. „Happy Birthday." Fragend sah er auf das Buch hinab, und ... erstarrte. Sein Puls verdoppelte sich, als sein Blick auf den Namen des Autors fiel. Er fuhr sich über sein Kinn. „Oh shit..."

Kathrine nickte zustimmend und konnte kaum still sitzen. Sie wirkte praktisch 20 Jahre jünger und quick lebendig. Es war, als hätte dieses Buch den Tod aus ihrem Körper geholt. Und Lee konnte gut verstehen, wieso. Er fuhr über die ordentlich gedruckten Buchstaben am Rande des Covers.

William E. Green

„William ist der Name seines Großvaters", klärte sie ihn auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er fuhr den Namen mit meinem Daumen nach. Immer wieder.
„Und Green ... naja"

Er schlug sich eine Hand vor den Mund. Ezra hatte es geschafft. Er hatte es wirklich geschafft. Und Lee war unheimlich stolz auf ihn. Er sah zu ihr auf und erkannte in ihren Augen, dass da noch mehr war. „Öffne es."

Mit zitternden Händen schlug er die ersten Seiten auf. Der Geruch von frischer Tinte schlug ihm entgegen, als seine Augen über die geschwungenen Worte fielen. Die Buch Dedikation des Autors.

Für meine Mutter,
die in meinen Geschichten immer mehr sah.
Und für Lee.
Ich hab den Sternen von dir erzählt.

Fuck. Dieser Bastard. Lee schloss die Augen, hörte seine Worte, als würde er sie aussprechen. Er wusste, was diese Worte bedeuteten. Und Ezra tat es auch.

Wenn er jetzt vor ihm wäre, wüsste er nicht, ob er anbrüllen, weil er sie ihm nicht ins Gesicht gesagt hat, oder ihn küssen soll, weil er ihn noch nicht vergessen hatte.

„Das wurde heute Morgen für mich abgegeben, aber ich glaube, es war nicht wirklich für mich gedacht." Blinzelnd öffnete er die Augen. Lee hatte gar nicht gemerkt, wie fest er das Buch umklammert hatte. Kathrine rieb ihm aufmunternd über die Schulter. Anscheinend sah er so aus, als hätte er es nötig.

„Er ist wieder da, Lee", hauchte sie und seine Brust verzog sich in Anspannung. „Er ist wieder da." Er konnte nur hoffen, dass sie recht hatte.

Denn nach dem er diese Widmung gelesen hatte, wusste er nicht, wie lange er noch warten konnte.

„Ah", Kathrine schien etwas einzufallen. „Es wurde noch etwas abgegeben." Sie nahm seine Hand und legte etwas Schweres hinein.

Als er hinab sah, klappte ihm der Mund auf. Es war ein Autoschlüssel.

„Das ist definitiv für dich."

Bad Influence [BxB]Where stories live. Discover now