58| Das Leben ist kein Geschäftsvertrag

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Killian

Manche Sachen schienen sich nie zu ändern. Mr. Montgomery, der zwei Häuser weiter wohnte, roch immer noch nach Essiggurken und Abgasen. Misses Winston- nein, Jane, wie ich sie nennen sollte- kniff mir immer noch in die Wangen, als wäre ich der kleine Junger, der mit zerrissenen Hosen nach Süßigkeiten vor ihrer Tür bettelte. Miss Houston brachte, wie jedes Jahr, einen Kartoffelsalat, der auch als Zement durchgehen könnte. Und Ezra's Augen, die mir eine Gänsehaut über den Rücken jagten.

Die Party war im vollen Gange und die Straße war lebendiger den je. Angefangen hatte alles mit einem bescheidenen Gartenfest, als ich noch klein war. Im Jahr darauf kamen mehr Leute und heute, war die halbe Nachbarschaft in unserem Garten. Ich beobachtete wie der Schein der Lampen, mit dem Verschwinden der Sonne immer heller wurde, während die Stimmung, wegen des Alkohols immer besser wurde.

Reid stand am Grill und erklärte Silas wie man das Fleisch richtig bratet. Ich schloss die Augen und ließ zu, wie mich die Szene in meine Kindheit beförderte. Dad hatte mir damals dasselbe gezeigt. Das war eine der wenig guten Erinnerungen, die ich an ihn hatte. Es war einer der Tage, an der er nüchtern war. Es war Sommer gewesen und er hatte mit einem stolzen Blick dabei zugesehen, wie ich ein Stück Steak gewendet habe. Zwei Wochen später hat er fast unser halbes Vermögen in einer dämlichen Wette verloren.

Ich lehnte an der Veranda und ließ den Blick über meine Familie wandern, über unsere Nachbarn, die für einen Abend das Leben feierten. Ich liebte dieses Fest, es war der eine Abend, in dem alles möglich schien.

Lizzy hockte an einem der Tische und redete mit einem Jungen an ihrem Alter. An der Art, wie sie sich eine Haarsträhne um die Haare wickelte, konnte ich davon ausgehen, dass es sich bei dem Typen um einen gewissen Simon handeln musste. Simon aus dem Bio-Kurs. Ich umklammerte den Hals meiner Bierflasche ein wenig zu fest und zwang meinen Blick weiter wandern zu lassen.

Sadie war gerade dabei, Joey Graham mit Miss Siventi bekannt zu machen. Die ältere Dame sagte etwas und Ezra's Chauffeur schien doch tatsächlich zu erröten. Süß.

Moe spielte mit den Kindern irgendein Spiel, dessen Regeln für mich keinen Sinn ergaben, und Lily schien sicher zu gehen, dass Moe in Anwesenheit der Kinder nichts Falsches sagte.

Und dann erkannte ich ihn. Er stand neben Mister Montgomery, der wahrscheinlich gerade dabei war seine Angelstory zu erzählen. So wie jedes Jahr. Aber Ezra schien tapfer zu sein und lächelte höflich. Ich spielte mit dem Gedanken rüber zu gehen und ihn zu retten, ertränkte den Gedanken dann aber in einem kräftigen Schluck Bier.

Gott ich brauchte einen stärkeren Drink.

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Ezra

Gott, ich brauche einen stärkeren Drink. Draußen war die Sonne schon fast komplett untergegangen und die Party war im vollen Gange. Ich hatte es irgendwie geschafft mich von Mr. Montgomery's fesselnden Gesichter davonzustehlen und versteckte mich nun in der Küche.

Ich lehnte mich an den Kühlschrank und schloss die Augen, während durch die offene Tür die Geräusche der Party hereindrangen. Es klang so anders, wie die Geräusche auf den Gala-Partys meines Vaters. Das Lachen hier klang echt und die Luft war gefüllt mit einer Unbeschwertheit. Es war wundervoll.

„Na? Haben sie dir schon das Ohr abgekaut?", riss mich Sadie aus meinen Gedanken. Ich öffnete die Augen und beobachtete wie sie die Küche betrat. Sie hatte die Ärmel ihres Hemdes nach oben gerollt und sich die Haare aus dem Nacken gebunden. Sie sah mich aus den Augenwinkeln an, bevor sie zur Spüle ging und von dort aus, aus dem Fenster auf die Feier nach draußen spähte.

Wir schwiegen eine Weile, während sie das Geschehen draußen beobachtete und ich sie. „Sie wäre stolz auf dich, weißt du?", sagte ich und Sadie sah zu mir. Auf ihre Lippen huschte ein kleines Lächeln. „Ich weiß." Und für einen einzigen Augenblick huschten so etwas wie Zweifel durch ihre Züge. „Weißt du, meine Mom hat diese Partys für uns organisiert. Wir haben immer gejammert, und genörgelt. Wir hätten keine Lust alles vorzubereiten und die Geschichten der Nachbarn waren sowieso immer dieselben. Aber am Ende des Tages saßen wir trotzdem am Feuer, ein Lächeln im Gesicht, und lauschten Lees wirklich schlechten Gruselgeschichten." Sie seufzte und drehte sich zu mir um, lehnte sich mit dem Rücken an die Spüle.

„Sie wusste, dass wir das hier brauchen. Eine Gemeinschaft. Eine Gruppe von Leuten, die uns immer willkommen hieß. Denn wir hatten nie wirklich viel, aber das hier würde uns immer bleiben." Ein Zuhause.

Ich senkte den Blick auf meine Schuhe und schwieg. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Ich weiß, was du aufgegeben hast.", sagte sie und ich sah verwirrt auf. Sie nickte mit einem Kopfnicken Richtung Garten. Ich folgte der Bewegung und erspähte Lee, er lehnte an einem Baum und kippte sich eine Flüssigkeit in einem Pappbecher hinter. Neben ihm eine ältere Dame, die ihn zuzutexten schien.

Für uns.", sie seufzte. „Aber manchmal", sie nahm einen Lappen in die Hand und wedelte damit, wie um einen Punkt zu unterstreichen. „Manchmal muss man nichts aufgeben, um etwas anderes zu gewinnen, weißt du?" Ich sah sie an, blinzelte, schwieg. Sie lächelte wissend.

„Das Leben ist kein Geschäftsvertrag, Ezra. Nicht alles steht im Kleingedruckten. Manchmal muss man einfach mal miteinander reden." Sadie hatte diese Angewohnheit, alles zu sagen, aber im selben Moment auch nichts. Es war, als wäre sie ein Orakel, das einem tief in die Seele sah und dann die richtigen Worte fand. Nur um dich 2 Sekunden später in die Seite zu boxen und dir Vorwürfe zu machen, dass du zu wenig Gemüse isst.

„Ich hab keine Ahnung wovon du redest.", log ich glatt und sie begann zu lächeln. Natürlich wusste ich, wovon sie redete. Ich hatte die vergangene Woche über nichts anderes nach gedacht. Das war auch der Grund, warum ich schreckliche Panik hatte Lee wieder gegenüberzutreten. Warum ich ihm schon den ganzen Abend aus dem Weg ging.

Denn in mir brannte das Bedürfnis, ihm am Kragen zu packen und ihn anzuschreien. Ich wollte ihm entgegen brüllen, warum ich nicht mehr in seiner Nähe sein konnte. Dass ich ihn mochte, verdammt! Und das mehr als ich jemals dachte, dass ich in der Lage wäre!

Aber unsere ganze Beziehung, der Grund warum er mich akzeptiert hatte, war die Tatsache, dass alles auf einer großen Lüge basierte. Etwas Unechtes, was uns beiden nicht würde weh tun können, wenn es endet. Aber für mich war es bereits zu spät. Aber er... wenn ich ihm sage, dass er für mich real ist, würde er wahrscheinlich Panik kriegen und die Kluft, die zwischen uns war, würde mich endgültig verschlingen.

Also würde er mein Freund sein, damit ich wenigstens noch einen Teil von ihm in meinem Leben haben konnte.

„Weißt du, ich glaube Mrs Bennet versucht gerade einen Ehemann für Lee zu finden.", kicherte Sadie und ich richtete mich auf. Sie spähte zu mir hinüber. „Was meinst du, soll ich dich empfehlen?" Ich antwortete nicht, sondern trat neben sie ans Fenster.

Mrs Bennet - die ältere Dame neben Lee- schien mit einem strahlenden Gesicht ohne Punkt und Kommerz zu reden. Lee nickte und lächelte höflich, um im nächsten Moment einen kräftigen Schluck zu nehmen.

„Du meine Güte, sein wievielter Drink ist das?", flüsterte Sadie besorgt. „Ich denke, er kann das verkraften.", antworte ich ohne den Blick von ihm abzuwenden. Sie schnaubte: „Wir sind mit einem Vater aufgewachsen, der öfter betrunken war, als Zuhause. Lee trinkt nie mehr als ein Bier, wenn überhaupt. Ich glaube, ich habe ihn noch nie betrunken gesehen."

Ich beobachtete besorgt, wie er sich den letzten Rest hinter kippte. „Es gibt für alles ein erstes Mal."

Bad Influence [BxB]Where stories live. Discover now