Prolog

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Triggerwarnung

Diese Story spricht heikle Themen wie Depression, Selbstverletzung, Drogenkonsum, Essstörungen und sexuelle Übergriffe an. Fühl dich gewarnt und von mir umarmt, wenn du eines dieser Themen leider zu gut kennst. Du bist nicht allein. <3

 <3

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05.12.2009

«Noè, warte hier draußen und spiel doch ein wenig mit Tante Tony.» Papa drehte mich von dem komisch aussehenden Haus weg und Tante Tony langte nach meiner Hand. Ich wollte aber nicht. «Komm, Mäuschen. Das ist doch alles langweilig da hinten.» Sie zeigte zu Paps, der mit einer Frau neben einem großen, blinkenden Auto stand. War das ein Krankenwagen? «Wo hast du deine Jacke? Es ist ganz kalt.» Mama tauchte neben Papa auf und sie stand sehr traurig dort. Ihre Arme waren auf ihrer Brust verschränkt und sie schüttelte ihren Kopf. Mama machte das nur, wenn sie unzufrieden mit mir war oder sie etwas supertraurig machte.

«Ist deine Jacke im Auto von Papa?» Ich nickte, aber ich brauchte keine Jacke. Ich wollte zu Mama und Papa. Ich musste ihnen helfen. Das tat ich immer. Ich half ihnen immer bei der Arbeit. Tante Tony zog mich aber einfach weg und ich fiel auf meine Knie, als ich den Randstein zum Parkplatz übersehen hatte. «Oh Gott, das tut mir leid, Noè. Hast du dir wehgetan?» Meine Hose hatte ein Loch. Am liebsten hätte ich geweint, doch lautes Schreien kam aus dem gruseligen Haus und die Polizei rannte rein. «Stopp! Mich lassen! Nicht anfassen! Fermati! Maiali! Lasciatemi andare!» Mama und Papa waren dort. Ich musste sie beschützen. Tante Tony versuchte mich zu halten, doch ich konnte ihren Armen entkommen. «Mama!»

Mein Knie tat weh, meine Augen tränten, doch das war egal. «Noè! Was machst du hier?! Geh! Hier ist es gefährlich.» Tante Tony wollte wieder nach mir greifen, doch das interessierte mich nicht. Papa langte nach mir und ich klammerte mich an ihm fest, als er mich hochhob und fest an sich gepresst hielt. «Ich bringe sie ins Auto, okay?» «Gut, danke. Ich kümmere mich um Samantha.» Wild schüttelte ich meinen Kopf. «Nein! Ich will hierbleiben und helfen!» «Schätzchen, heute brauchen wir keine Hilfe.» Mama streichelte meine Wange und strich eine Träne weg. «Fiona, es stimmt.» Mama drehte sich weg und schaute die Frau, die sie angesprochen hatte, an. «Tatsächlich?» «Ja, sie hat den Kleinen vor uns versteckt. Wahrscheinlich aus Angst, ihn genauso wie Giorgia zu verlieren.» Mama seufzte und Paps blieb stehen, um mithören zu können. «Wie alt ist der Kleine?» Die Frau zuckte mit den Schultern und schaute kurz zum blinkenden Auto.

Da saß eine andere Frau mit langen roten Haaren, die mega dreckig aussahen. Sie sah aus als würde sie schlafen, aber ihre Augen waren irgendwie noch offen. «Wir schätzen höchstens so alt wie Noè, wenn nicht sogar jünger. Knappe drei, vier Jahre.» «Meine Güte.» Mama hielt sich den Mund und sah kurz zur Frau beim blinkenden Auto. «Sie konsumiert noch immer, nicht wahr?» «Ja, leider. Ist wirklich schade.» War diese Frau vielleicht krank? Vielleicht brauchte sie einfach etwas Suppe und Hustensaft. Das könnte ich sicher übernehmen. «Ist sie krank? Ich kann sie wieder gesundmachen.» Mama und Papa lachten leise. «Enttäuschenderweise kann man diese Krankheit nicht mit Medizin heilen, Mäuschen. Abe-» Mama stoppte, als ein Mann mit einem Jungen im Arm, genau gleich, wie Paps mich hielt, auf uns zukam. Ihr Lächeln war weg und sie sah so aus, als würde sie gleich zu weinen beginnen. «Frau Damaris, wir haben den kleinen Racker im Schrank von Frau Corrado gefunden. Könnten Sie ihn bitte übernehmen?»

Mama und Papa halfen Kinder, die kein schönes oder manchmal auch gar kein Zuhause haben. Das war alles, was ich wusste. Wahrscheinlich brauchte dieser Junge auch ein neues Zuhause. «Natürlich. Ist sein Name bekannt?» Sie nahm den Buben und lächelte liebevoll. «Hey, Kleiner. Wie heißt du denn?» Aber er sah sie nicht an, sondern schaute zum blinkenden Auto, wo diese schlafende Frau aufstand und zu uns kommen wollte. Sie lief ganz komisch, so als wäre sie auf einem gefrorenen See. «Meine Sohn! Geben her! Er nicht dir!» Mama hielt den Kopf des Buben und streichelte seine schwarzen Haare. «Samantha, es tut mir leid, aber ich kann dir deinen Sohn nicht geben. Du bist jetzt im Moment nicht dazu imstande, dich um ihn kümmern zu können. Ich bin dazu verpflichtet, ihn für mindestens diese Nacht mitzunehmen. Weiteres wird erst besprochen, wenn du wieder nüchtern bist.» Die rothaarige Frau schüttelte ihren Kopf ganz wild. Sie haute um sich und wollte auf Mama zu, doch ein Mann in Uniform hielt sie fest. «No! Puttana del cazzo! Dammi mio figlio! Hai già Giorgia!» Der Mann hob die Frau hoch und trug sie weg, doch sie begann zu schreien. «Dario! Tesoro! Mamma verrà a prenderti, te lo prometto! Non abbiate paura! Ti amo!»

Der Junge drehte seinen Kopf und sah zu seiner Mama. Ich denke, das war seine Mama. Er wollte von meiner Mama weg und begann an ihren Armen zu ziehen. «Hey, alles ist gut, okay?» Paps setzte mich auf den Boden und ging zu Mama, weil der Bub zu weinen begann und Mama haute. «Kleiner, wir sind nicht böse. Wir sind alle ganz lieb.» Aber er weinte immer noch. Vielleicht brauchte er etwas. Ihm könnte etwas wehtun. Ich könnte ihm bestimmt helfen. «Mamma!», weinte er und strampelte mit seinen Beinen. «Dario! Amore! Sto venendo a prenderti!» Er hörte die Stimme seiner Mama und weinte noch lauter. «Dario?», fragte Paps vorsichtig nach und der Junge reagierte auf diesen Namen. Er schaute Paps traurig an und Tränen liefen seine Wangen runter. «Du siehst deine Mama bald wieder, okay?» Keine Reaktion, er begann bloß wieder zu zappeln und Mama musste ihn etwas doller halten, damit er ihr nicht runterfiel. «Paps?» Ich schlich mich zögerlich an ihn heran und spielte mit dem Ende meines Zöpfchens, das mir Mama heute früh gemacht hatte. «Nicht jetzt, Noè. Habe ich dir nicht gesagt, dass du zu Tante Tony gehen sollst?» Ich ignorierte ihn und sah Dario an. «Ich denke, er versteht kein Englisch, Papa.» Mama sah mich nachdenklich an und seufzte auf. «Ich denke, sie hat recht, Schatz. Ein Moment, halt ihn mal kurz und nachher bringen wir euch beide-» Sie zeigte auch auf mich, «Ins Auto.» Paps nahm den Jungen entgegen und Mama zückte ihr Telefon.

«Er versteht wahrscheinlich nur Italienisch. Ich versuche ihn etwas zu beruhigen, damit wir nachher gehen können. Lass uns zum Auto gehen.» Ich hielt mich an Mamas Jacke fest und lief Dad hinterher zum Auto. «Okay. Dario, ascoltami.» Mama hörte sich ganz komisch an und sie zögerte ein bisschen, aber Dario schaute Mama das erste Mal in die Augen. «Sei al sicuro e domani rivedrai tua mamma.» Er hörte ihr zu, aber bewirken tat es nichts. Das war, denke ich, aber auch normal. Paps hatte mir mal erklärt, dass es für Kinder ganz, ganz schlimm sein kann, wenn sie weg von Mama oder Papa müssen. Aber manchmal sind Eltern halt einfach nicht dafür gemacht, Eltern zu sein. Das hat Paps mal gesagt.

«Okay, er weiß Bescheid. Den Rest werden wir auf der Station regeln.» Ich wusste, was das für mich bedeutete. Ich durfte nachher mit ihm spielen. Mama schnallte mich in meinen Kindersitz und Papa tat dasselbe bei Dario, der sich wehrte und quengelte. Als wir beide angeschnallt waren, schnallte er sich wieder ab und rutschte den Sitz hinunter in den Fußraum. «Ich denke, ich werde hinten mit ihm mitfahren. Fahr du ruhig.» Mama quetschte sich zwischen mich und Dario und hielt ihn fest, doch sein Geschrei und das hilflose Weinen füllten das ganze Auto. Ich sah um mich und wusste nicht, was ich machen sollte.

Normalerweise begannen die Kinder mit mir zu reden und spielen. Vielleicht würde ihn ein Geschenk aufmuntern. Ich fand im Fach vor mir meine Stifte und ein Mandala, das ich heute Morgen vor dem Kindergarten gemalt hatte, wieder. Mama umarmte Dario und hatte die Augen geschlossen, in der Hoffnung, ihn zu beruhigen. «Hier, möchtest du das haben?» Ich hielt ihm mein Mandala vor die Nase und er verstummte. «Du kannst auch selbst eins malen. Ich habe ein ganzes Heft.» Ich hielt ihm mein Heft hin und zeigte ihm verschiedene Seiten. Aber das Heft interessierte ihn nicht. Er langte nach meinem Mandala und sah es mit seinen verweinten, grünen Augen an.

 Er langte nach meinem Mandala und sah es mit seinen verweinten, grünen Augen an

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Mal ein anderer Start.
Hoffe, ich konnte euch packen.

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