5. ASHER

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Nachdem Grayson gegangen war, musste ich erstmal runterkommen, mich beruhigen, mich zwingen, mir nicht zu wünschen, dass er zurückkehren würde, denn das tat er nicht und das war auch gut so.

Wie konnte er es schaffen, dass meine Gedanken plötzlich nur noch im ihn kreisten? Seine Strähnchen- oh Verzeihung: seine paar gefärbten Parteien in den Haaren-, seine blauen Augen, sein Geruch, sein Körper, ja, sogar seine Lippen.
Seit wann wusste ich denn, dass er herzförmige Lippen hatte?
Verdammt. Dann war da noch sein Lachen. Der Klang dabei. Dieses Gefühl.

Früher hatte ich auch oft an ihn gedacht, aber das war eher, wie ich ihm das Leben zur Hölle machen konnte.
Ich hatte ihn gehasst, weil sein Dad mit meiner Mum abgehauen war, gab ihm die Schuld daran.
Ich hasste ihn noch immer. Oder? Ich wusste es nicht.

Eigentlich war mir bewusst, dass es nicht seine Schuld war, dass unsere Elternteile uns verlassen hatten, aber, dass er meiner Schwester das Herz gebrochen hatte, war definitiv seine Schuld. Und seine Entscheidung.

Okay, ich war was Frauen anging auch nicht viel anders, ließ nie etwas anbrennen, aber es ging um meine Schwester. Meine Schwester.
Ich hatte sie aufgezogen, nachdem unser Dad ein Alki geworden war, obwohl ich damals erst 7 gewesen war.
Ich musste so früh erwachsen werden, damit ich ihr ein Leben bieten konnte.
Ich passte immer auf sie auf und ja, sie war das Wichtigste in meinem Leben.
Und er hatte ihr verdammt nochmal das Herz gebrochen, wodurch sie noch depressiver geworden war.
Mittlerweile ging es ihr wieder besser, aber das machte es nicht ungeschehen.

„Brudi?“, hörte ich ihre Stimme fragen. Erst da bemerkte ich, dass sie schon die ganze Zeit vor mir gestanden war. „Ehm ja?“ Ich war noch immer in Gedanken versunken, vermied den Blick auf die Treppe und drängte die Erinnerung zurück. Ich hatte verdammt noch mal versucht Grayson Clade scharf zu machen. Wie dumm war ich eigentlich? Oh Gott, wenn er das seinem Basketballteam erzählen würde, dachte gleich die ganze Schule, ich wäre schwul.

„Ash, ich mache mir Sorgen, was ist los?“ Meine Schwester winkte vor meinem Gesicht herum und ich zwang meine Aufmerksamkeit auf sie. „Ähm gar nichts, alles super.“ Ich versuchte sie anzugrinsen, doch es schien mir nicht zu gelingen.

„Alles super?“ Isaac stand plötzlich neben mir und sah mich misstrauisch an. „Wo warst du den ganzen Tag, wenn alles super ist? Wieso riskierst du schon am ersten Tag zu fliegen?“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll.
Ich wusste, dass er und meine Schwester nur das Beste für mich wollten, aber ich war schon so verwirrt genug, ohne mich rechtfertigen zu müssen.
Ich meine, was sollte ich denn sagen? Dass die neue Lehrerin Grayson und mich erpresst hatte, einen Dreier mit ihr zu starten, wenn wir auf der Schule bleiben wollten? Dass ich davon völlig angewidert war, aber nicht, von Grayson, sondern von der Frau? Dass ich ihn danach befummelt hatte und mich das auch noch angemacht hatte?
Nein, das würde ich definitiv mit ins Grab nehmen.

Ich klopfte Isaac auf die Schulter und setze mich zwischen ihm und meiner Schwester in Bewegung, während ich auch einen Arm um sie legte, jedoch zu meinem Freund sprach. „Wie du schon gesagt hast: Ich bin zwei Tage ungefickt und bekomme miese Laune.“ Ashley warf mir einen angewiderten Blick zu.

Isaac schüttelte den Kopf. „Halt einfach die Fresse, statt mich anzulügen, Asher.“ Er schüttelte meinen Arm ab, bog zu seinem Auto ab und fuhr schon davon, ehe ich etwas zurückgeben konnte. Ja, er war sensibel was sowas anging, aber er war auch der einzige von meinen Freunden, der immer bemerkte, wenn ich log. Tja und eben hatte ich es getan.

Als wir bei meiner Harley ankamen, stieg meine Schwester nicht auf, sondern blieb stur stehen. „Was ist los, Ash? Isaac hat recht, du solltest dein Glück an dieser Schule nicht überstrapazieren.“ Ich verdrehte genervt die Augen und stieg auf meine Maschine, ohne darauf einzugehen. Sie blieb stehen und sah mich weiterhin ernst an. „Also entweder du steigst jetzt auf, oder du kannst nachhause laufen“
Wir wussten beide, dass ich sie nicht nachhause laufen lassen würde, doch sie wusste, wenn ich ihr drohte, war es mir ernst. Also seufzte sie, setzte den Helm auf, klammerte sich an meinem Rücken fest und ich fuhr nachhause.

Als wir in der Küche saßen und das geholte Essen von Burger King auspackten, versuchte sie es wieder. „Ash, ich kann mir das nicht mitansehen. Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin. Sag mir schon, was los ist.“ Ja, ich wusste, dass sie immer für mich da war, aber ich konnte nicht mit ihr darüber reden.
Ich konnte ihr doch nicht sagen, dass ich einen Typen nicht mehr aus dem Kopf bekam, der ihr das Herz gebrochen hatte.
Außerdem war es wahrscheinlich eh nur eine Phase. Ich war neugierig geworden, das war alles. Ja, das musste es sein. Das Angebot von Frau keine-Ahnung-wie-sie-hieß hatte mich neugierig darauf gemacht, wie es war, einem Jungen näherzukommen, Grayson näherzukommen.
Andere Jungs interessierten mich nicht.

„Ich bin nur müde“, meinte ich ablehnend und wechselte dann gekonnt das Thema. „Muss ich dich heute irgendwo hinfahren?“ Sie schüttelte den Kopf, während sie kaute wie eine Kuh, um den großen Bissen von ihrem Burger zu verarbeiten.
„Mit dir zu essen ist so ekelhaft, Ashley“, lachte ich, weil sie die Hälfte ihres Mundinhalts wieder verlor. Sie zog eine Grimasse, wodurch noch mehr herausfiel.
Ich schmiss meinen Burger auf den Tisch und lachte aus tiefster Seele, weil sie so lustig dabei aussah.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich abreagiert hatte und sie dann entschuldigend ansah. „Ich wollte dich echt nicht beleidigen, aber du isst wie ein Nilpferd“ Sie lächelte und widmete sich konzentrierter ihrem Essen. „Wenigstens hast du gelacht. Dann hat mein widerliches Essverhalten etwas Gutes“ Ich grinste sie noch einmal an, nahm meinen Burger ebenfalls in die Hand und dachte dann daran, wie es wohl wäre, mit Grayson lovely Clade zu essen. Ehm... fucking, ja Grayson fucking Clade.

Niemand kennt uns wirklich (BoyxBoy)Where stories live. Discover now