2.1. GRAYSON

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Ich steckte vorsichtig den Schlüssel in das Schloss und drehte langsam um, um keine Geräusche zu machen, was mir mehr schlecht als recht gelang.
Trotzdem versuchte ich es weiter, öffnete die knarzende Tür, schlich mich in das Haus und schloss die Tür dann wieder vorsichtig.

Überprüfend sah ich mich um.
Keiner zu sehen.
Ich atmete erleichtert aus, legte meine große Tasche im Flur ab, sowie meine Jacke und Schuhe und spähte dann vorsichtig ins Wohnzimmer.
Keiner zu sehen.
Dasselbe zog ich bei der Küche ab, aber auch hier war niemand.

Ich grinste und steuerte Ashs Zimmer an, darauf bedacht, keinen Ton zu machen. Ich wollte ihn überraschen, doch als ich das Zimmer öffnete, laut „Überraschung!“, schrie und er nicht zu sehen war, ahnte ich, dass meine Aktion gerade umsonst gewesen war. Ich durchsuchte jeden Winkel seines Zimmers, aber er war nicht da, also ließ ich mich auf dem Bett nieder und überlegte, wo er wohl sein könnte. Da blieb eigentlich nur die Arbeit oder das Fitnessstudio. Bei beidem würde ich bis heute Abend auf ihn warten müssen, aber das musste ich wohl in Kauf nehmen, wenn ich ihn überraschen wollte.

Ich seufzte. Ich hatte Ash in den sechs Wochen im Baskettballcamp unglaublich vermisst und wollte ihn einfach nur in den Arm nehmen.
Nach unserem Abschluss hatte ich ein Angebot bekommen und spielte jetzt für die U21 in einem bekannten Team. Ich hatte es kaum glauben können, zumal ich die letzte Saison auf der Schule nicht wirklich in Form gewesen war, doch ich hatte erfahren, dass mein Coach ein gutes Wort für mich eingelegt hatte.
Daraufhin hatte ich mit Ash trainiert wie ein Irrer, um meine Chance zu nutzen, doch man hatte bemerkt, dass ich ziemlich eingerostet war. Tja, die Wochen, in denen ich mich kaum bewegt hatte, hatten an meinen Muskeln gezerrt, sowie an meiner Kondition, aber mit genügend Training war ich jetzt wieder auf meinem vorigen Level. Wenn nicht sogar besser.

In Wahrheit war jetzt einfach alles besser, mein ganzes Leben.
Ich wohnte bei Ash, er liebte mich, ich liebte ihn, seine Schwester hatte uns akzeptiert und sein bester Freund mochte mich endlich.
Ash hatte nach seinem Abschluss einen Job gefunden, bei dem er beweisen konnte, wie schlau er war. Er spielte kein Klavier mehr in dem Resteraunt, sondern war für irgendeine Forschungsabteilung tätig. So genau hatte ich das nicht kapiert, ich wusste nur, dass Ash endlich zeigte, was er konnte und ich war unglaublich stolz auf ihn. Ich konnte nicht glauben, dass er mich nicht verlassen und sich um mich gekümmert hatte, als ich nach dem Tod meiner Mum am Abgrund gestanden war, doch er hatte es tatsächlich getan und dafür liebte ich ihn noch mehr.

Wenn ich ehrlich war, fragte ich mich, wie überhaupt ein Mensch im Stande war, einen anderen so sehr zu leben wie ich es bei Ash tat. Aber ich tat es und das war die Hauptsache. Wir waren mittlerweile seit fast einem Jahr zusammen, doch noch immer hatte ich dieses Herzflattern, wenn ich ihn sah. Noch immer war ich aufgeregt, wenn ich wusste, dass er im selben Raum war. Noch immer zeigte ich mich vor ihm von meiner besten Seite und wollte ihm die Welt zu Füßen legen.
Eigentlich verliebte ich mich jeden Tag neu in ihn.

Trotzdem gab ich es nach einer Stunde warten in seinem Bett auf und ging ein Stockwerk weiter nach oben zu Isaak. Vor seiner Zimmertür angekommen klopfte ich, es ertönte ein herein und ich kam rein.
Isaak saß auf dem Bett und schaute fern, doch als er mich sah, wurden seine Augen ganz groß, er sprang auf und lief mir in die Arme.
„Hei, seit wann bist du denn wieder zurück?“, fragte er und umarmte mich.
Ich grinste. Vor einem Jahr noch hatte er mich so sehr gehasst, dass er mich bedroht hatte, jedes Mal, wenn ich sein Haus betreten hatte, doch jetzt war er sowas wie mein bester Freund. Nach Ash natürlich.

„Seit einer Stunde ungefähr. Ich hab in meinem Zimmer auf Ash gewartet, aber dann wurde es mir zu langweilig und ich dachte dann schau ich halt mal bei meinem Buddy vorbei“
Er ließ mich wieder los und musterte mich von oben bis unten. „Du sieht voll erholt aus. Ich dachte, ihr müsst da Sport machen“ Ich lachte. „Mussten wir auch, aber ich hab das tägliche Training genossen“
Isaak nickte, meinte die neuen Muskeln würden mir stehen und warf sich dann zurück auf sein Bett, ich mich neben ihn.

„Gibt’s was zu erzählen?“, fragte ich ihn dann, weil er so seltsam gut gelaunt war.
Isaak war kurz vor unserem Abschluss in ein tiefes Loch gefallen, weil Ashley ihm gesagt hatte, er würde ihr nichts bedeuteten und sei für sie nur zum ficken gut gewesen. Isaak liebte Ashley, für ihn war eine Welt zusammen gebrochen, weil er geglaubt hatte, sie würde ebenso empfinden wie er, immerhin waren die beiden wieder zusammen gewesen, doch irgendwie war Ashley immernoch ein kleines Miststück.
Jedenfalls war es Isaak nicht sehr gut gegangen und ich war noch immer in meiner Trauer gewesen und so hatten wir uns irgendwie gegenseitig geholfen, zumal Ash uns beiden kräftig in den Arsch getreten hatte, dass wir gefälligst etwas aus unserem Leben machen sollten, wenn wir nicht so enden wollten wie sein Vater. Tja und das hatte geholfen.

Isaak hatte einen guten Abschluss gemacht und sich an einer Uni eingeschrieben. Als ich in das Trainingscamp gefahren war, hatte er trotzdem miese Laune gehabt, doch jetzt wirkte er irgendwie glücklich.

Ich sah ihn fragend an, er grinste bloß. „Weißt du, ich hab mir meinen Campus angeschaut und eine alte Bekannte getroffen...“, meinte er geheimnisvoll, doch ich sah etwas in seinen Augen aufblitzen, das ich bisher nur gesehen hatte, wenn er von Ashley gesprochen hatte.
„So so“, meinte ich und grinste zurück.
Wenn Isaak darüber reden wollte, dann tat er das und solange würde ich ihn einfach weiter grinsen lassen.

„Wo ist das Biest eigentlich?“, fragte ich ihn dann.
Isaak zuckte mit den Schultern. „Irgendwie shoppen mit ihrer Clique oder so. Sie will unbedingt neue Klamotten für den ersten Tag in ihrem Abschlussjahr“
Isaak versuchte genervt zu wirken, doch das tat er nicht. Eher sehnsüchtig. Es tat mir leid für ihn, dass Ashley seine Gefühle nicht erwiderte, immerhin war Isaak mehr als korrekt, doch ich konnte es nicht ändern und mein eigenes Herz war schon vergeben.

„Oh man, wann kommt Ash endlich?“, jammerte ich schon beinahe verzweifelt.
Isaak lachte bloß und schüttelte den Kopf, bevor er mich aus dem Bett schmiss und in die untere Wohnung zerrte. „Bis er kommt, kannst du schon mal was kochen. Wir wissen ja beide was passiert, wenn ich den Herd auch nur anfasse“
Das wusste ich tatsächlich. Dann brannte die halbe Küche ab, sowie vor drei Monaten. Seitdem hatte Isaak Küchenverbot.

Ich sah mir also an, was es im Kühlschrank so gab, während Isaak wieder nach oben verschwand und entschied mich für einen Auflauf. Ich hatte mir ein paar Kochskills bei Ash angeeignet und so schaffte ich es, dass das Teil 15 Minuten später im Backofen stand.

Als wäre es Schicksal, öffnete sich in diesem Moment die Tür.

Niemand kennt uns wirklich (BoyxBoy)Where stories live. Discover now