2.11. GRAYSON

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Ash stand schon seit geraumer Zeit direkt vor mir, sah mich an, doch wirkte ganz wo anders.
Das passierte manchmal bei ihm, ich nahm ihm das nicht übel, weil ich wusste, dass das seine Denker-Momente waren. Außerdem liebte ich diesen Gesichtsausdruck an ihm. So stand ich nun also vor ihm und bewunderte ihn, während er nachdachte.

Dies ging eine ganze Zeit so, bis ich hörte, wie jemand meinen Namen rief.
„Clade!“
Ich wandte mein Gesicht in die Richtung und erkannte Nico, der mit 4 anderen Leuten zu uns kam. Er grinste, doch es war kein freundliches Grinsen. Dass er seinen Gips loswar, machte ihn nur noch bedrohlicher.

Ich sah von ihm zu Ash und wieder zurück. Ash schien mit dem Denken fertig zu sein, er erwachte aus seiner Art Trance und sah mich verwirrt an.
„Das ist Nico.“, sagte ich nur schnell.
Ash drehte sich zu ihm um und zog die Augenbrauen hoch.

Als er dann bei uns angekommen war, hielt er an, seine 4 Hundchen hinter ihm.
„Du bist doch der, der die Drogen bei Gray im Spind versteckt hat“, begann Ash das Gespräch. Nico grinste und nickte.

Schneller als irgendjemand reagieren konnte, flog sein Kopf zur Seite, er taumelte nach hinten, verursacht durch einen Faustschlag von Ash.
Mein Mund klappte auf. Das hätte er nicht tun dürfen.

Nicos Grinsen verging, er wischte sich Blut aus dem Mundwinkel und richtete sich wieder auf.
„Und du bist seine Schlampe oder sein Bodyguard?“, fragte Nico grimmig.
„Beides“, gab Ash gespielt freundlich zurück, doch man sah ihm seine Wut an. Er hatte sich seine impulsive Art die letzten Monate abgewöhnt, doch gerade schien es mit ihm durchzugehen.

„Was willst du hier, Nico?“, schritt ich in das Gespräch ein.
Als Nico sich mir zuwandte, ahnte ich es schon. „Du warst nicht mehr da. Ich soll dich zurückholen und du weißt, dass ich es tun muss. Entweder bekomme ich Schwierigkeiten oder du, aber ich werde es sicher nicht sein. Also komm einfach mit, mach deinen Job und heute Abend kannst du zurück zu deinem Babyboy“
Bevor ich etwas tun oder sagen konnte, griff Ash nach meiner Hand. „Einen scheiß wird er tun.“
Ich schluckte und sah zu ihm, wie er Nico gefährlich musterte.
Ich sah in seinem Blick, dass er wild entschlossen war, mich nicht mitgehen zu lassen und ehrlich gesagt war ich ihm dankbar.
Ich wollte diese Dinge nicht mehr tun und Ash gab mir die Kraft, einfach hier stehen zu bleiben, dort, wo ich hingehörte. An seiner Seite.

Nicos Maske fiel langsam, er versuchte es sich aber nicht anmerken zu lassen. Doch ich kannte diesen Blick. Es war mein eigener, wenn ich etwas tun musste, das ich nicht wollte.
„Es tut mir leid, Clade, aber du wurdest gewarnt. Ich kann dich echt gut leiden, aber nur weil du deinen Job nicht machen willst, kann ich nicht riskieren bestraft zu werden.“ Er sah mir ehrlich in die Augen, ich ahnte, dass mir der Ausgang dieses Gespräches nicht gefallen würde.
Und noch mehr ahnte ich es, als die vier Männer hinter ihm vor Ash und mich zukamen und uns voneinander losrissen. Wir versuchten uns zu wehren, doch es half nichts. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, weil meine Hände fixiert worden waren, ich kniete auf dem Boden und sah zu Ash. Er war in der gleichen Pose wie ich und schaute mich an, aber Nico stellte sich in sein Blickfeld.

„Wenn du ihm nur ein Haar krümmst, bringe ich dich um, hast du mich verstanden?!“, fauchte Ash zu Nico hoch.
Ich sah, wie Nico den Kopf schüttelte. „Er ist nicht der, der gleich verletzt werden wird“ und dann folgte der erste Schlag. Direkt in Ashs Gesicht. Es flog zur Seite, doch er riss ich zusammen und drehte es zurück, doch es ging weiter.

Es ging immer weiter und weiter, bis seine rechte Gesichtshälfte voller Blut und angeschwollen war. Selbst an Nicos Fingerknöcheln sah ich das Blut kleben, doch ich wusste nicht, ob es seines war oder Ashs. Vermutlich beides. Ash konnte schon gar nicht mehr aufrecht knien, er wurde von den zwei Männern hinter sich in Position gehalten, sodass Nico auf ihn einschlagen konnte.

Als er bemerkte, dass Ash dabei war, sein Bewusstsein zu verlieren, reagierte er endlich auf meine Schreie. Er drehte sich zu mir um, ich sah die Reue in seinem Blick, aber auch die Entschlossenheit. „Es hätte niemals so weit kommen müssen. Du bist dafür verantwortlich, Clade, nicht ich. Ich muss meine Familie auch irgendwie beschützen, das weißt du. Deshalb tut es mir leid, das alles machen zu müssen.“
Ich starrte ihn mit einem hasserfüllten Blick an. Natürlich verstand ich ihn, vermutlich hätte ich nicht anders gehandelt, wenn ich noch eine Familie hätte, aber es war Ash, auf den er da einschlug und das konnte ich nicht ertragen.
Ich versuchte mich loszureißen, doch es gelang mir nicht. Nico war dabei, sich wieder umzudrehen, doch ich schrie: „Warte!“
Also bekam ich seine Aufmerksamkeit zurück. „Ich steig wieder ein. Ich mache alles ohne wiederworte, aber lass ihn in Ruhe“

Nico sah mich leidend an. „Es tut mir leid, Clade. Meine Befehle waren eindeutig. Wenn du nochmal widersprichst, soll ich es tun“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nein, du musst es nicht tun, vergiss einfach das Gespräch davor. Komm schon, Nico, bitte“ Ich flehte ihn an, ich bettelte, ich kniete buchstäblich vor ihm.

Doch er sah mich mit einem verschlossenen Blick an und ich wusste, was gleich passieren würde. Ich sah mich hilfesuchend um, doch hier war keiner. Wir befanden uns zwar mitten in der Stadt, aber um diese Uhrzeit war alles totenstill. Wie passend.Ich

Nico ging vor Ash auf die Knie und griff grob in seine Haare. Ash versuchte, die Augen offen zu halten, doch es gelang ihm nicht wirklich. Dann wurden seine Arme losgelassen, Ash fiel zur Seite und Nico riss seinen Kopf auf den geteerten Boden.
Er schlug immer wieder damit auf den harten Asphalt ein, ich schrie, aber niemand schien mich zu hören.
Oder es wollte einfach keiner.
Und dann als Nico Ash irgendwann wieder losließ, er aufstand und den Männern deutete, mich loszulassen, starrte ich nur auf Ash, wie er dort lag, Blut überströmt.

Er bewegte sich nicht, kein bisschen. „Es hätte nicht so weit kommen müssen.“, meinte Nico und sah mich leidend an. Ihm machte dieser Job genauso wenig spaß wie mir, aber er war länger dabei und er machte nicht die Fehler wie ich. Er widersetzte sich keinen Befehlen. Er setzte seine Liebsten nicht der Gefahr aus. Ich sah hoch zu Nico, machte ihm all meine Verzweiflung deutlich.
Man sah ihm noch für einen Moment an, wie sehr er es bereute, er sagte: "Ruf einen Krankenwagen. Vielleicht hilft es noch was." Doch dann wechselte sein Blick zu einer kalten Maske und er ging mit den anderen einfach weg.

Ich sah ihnen hinterher, obwohl keiner mich mehr fixierte, konnte ich mich nicht bewegen. Dann sah ich zurück zu Ash, er lag noch immer in der gleichen Position da.

Ich fand meine Kraft wieder, eilte zu ihm, nahm seinen Kopf in die Hände.
Ich fasste Blut, alles an ihm war voller Blut.
„Ash bitte“, hauchte ich.
Ich wollte doch nur seine Augen sehen.
Ich hörte mich selbst schluchzen.
In diesem Moment spürte ich auch die Tränen in meinem Gesicht, die doch schon lange brannten.
Ich strich Ash die blutig verklebten Haare nach hinten, zitterte, meine Tränen tropften in sein Gesicht. Aber er reagierte nicht.

Noch immer zitternd, griff ich dann in meine Hosentasche, holte mein Handy raus und rief den Rettungsdienst. Allerdings wusste ich nicht, ob es überhaupt noch etwas zu retten gab.
Ash lag hier leblos in meinen Armen, bedeckt von seinem Blut und ich wusste, in diesem Moment hatte ich ihn verloren.

Niemand kennt uns wirklich (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt