2.14. ASHER

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Mein Bett hatte irgendwie einen seltsamen Geruch.
Es war ein bekannter Geruch, aber ich wusste nicht welcher, doch ich mochte ihn irgendwie.
Alles in meinem Leben fühlte sich plötzlich fremd an für mich, aber dieser Geruch versicherte mir, dass ich hier zuhause war.

Ich konnte nicht fassen, dass ich 4 Jahre meiner Erinnerungen eingebüßt hatte. Dass ich 20 Jahre alt war. Ich meine, ich sah es, wenn ich in den Spiegel schaute, aber es war so surreal.
Und dann war da noch die Sache, dass Isaak bei uns wohnte, dass ich Graysons Freundin vielleicht geschwängert hatte und dass Grayson höchstpersönlich angeblich mit mir verlobt war.
Das mit seiner Mum tat mir wirklich leid, aber irgendwie war es ja klar, dass sie irgendwann hatte sterben müssen bei den ganzen Drogen, die die sich reingepfiffen hatte.

Wie auch immer, irgendwann schaffte ich es, mich aus dem Bett zu quälen und ging zu meinem Kleiderschrank. Da hingen doch eiskalt Hemden und Sakkos darin.
Wo waren meine Bandshirts?
Nirvana?
Guns N Roses?
Wo seid ihr?

Ich durchsuchte meinen Schrank, fand aber nur fremdaussehende Klamotten. Also ging ich in Boxer in die Küche, wo Isaak stand.
Dass Grayson mich mit einem seltsamen Blick ansah, ignorierte ich, genauso wie alles andere, das mit ihm zu um hatte.

„Wo sind meine Klamotten?“, fragte ich Isaak.
Er sah mich verwundert an. „Ehm vermutlich in deinem Schrank“, riet er.
Ich schüttelte den Kopf. „Da sind Klamotten drin, aber das sind nicht meine. Wo sind meine Klamotten?“, wiederholte ich.
Er seufzte. „Ash, das sind deine und Graysons Sachen“ ER kam auf mich zu, ich schüttle den Kopf. Irgendwie überforderte mich das alles.
„Ich will meine Klamotten haben, verdammt!“, schrie ich ihn an.
Isaak zuckte zusammen. „Okay, wir suchen sie im Abstellraum.“
Ich nickte beruhigter und folgte Isaak in den Abstellraum. Was dieser Abstellraum war? Das alte Zimmer meiner Eltern, das diese ja nicht mehr nutzten. Hier stapelten sich haufenweise Kisten und Gegenstände.

Isaak bahnte sich seinen Weg durch, ich sah ihm dabei zu. Dann hörte ich eine Stimme hinter uns.
„Braucht ihr Hilfe?“, kam von Grayson.
Ich drehte mich zu ihm um. „Von dir ganz bestimmt nicht. Lass uns in Ruhe“ Dann trat ich in den Raum und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Der Typ machte mich einfach aggressiv, kein Wunder, das wir uns jeden Tag prügelten.

„Ich hab hier was“
Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich begonnen hatte, die Tür anzustarren, bis Isaak mich aus meinen Gedanken holte und mit meinem Lieblingsshirt vor meiner Nase herumwedelte.
Ich ergriff es glücklich und zog es über. Es war zwar ziemlich eng, aber als ich an mir herunter blickte und endlich mal etwas sah, das mir bekannt vorkam war, war ich glücklich.

Ich umarmte Isaak dankbar, vergaß dabei, dass ich immernoch keine Hose trug.
„Schon gut, Buddy. Wenn du was brauchst, kannst du immer zu mir kommen“, meinte er und klopfte mir auf den Rücken. Ich bedankte mich, wir gingen wieder raus.

Grayson stand immernoch vor der Tür, doch ich ging einfach wortlos an ihm vorbei, spürte seine Blicke in meinem Rücken, versuchte, es kalt an mir vorüber gehen zu lassen.
Als ich in meinem Zimmer ankam und die Tür hinter mir schloss, lehnte ich mich dagegen und atmete erschöpft aus.
Irgendetwas machte dieser Typ mit mir und das gefiel mir gar nicht.
Trotzdem zog ich mir sicherheitshalber mal eine Hose an, warf mich dann auf das Bett und zog mir Footballvideos rein.

Irgendwann klopfte es, ich sagte herein und Grayson stand in meinem Zimmer.
Ich stöhnte genervt, doch ich ahnte schon, ihn rauszuschicken war sinnlos.

„Können wir bitte reden?“ ER setzte sich auf meine Bettkante  und sah mich flehend an.
„Worüber willst du reden?“, fragte ich kalt.
„Uns“
„Es gibt kein uns“
Gray schloss leidend die Augen. „Doch es gibt ein uns. Für mich gibt es nur das. Du bist das wichtigste in meinem Leben, ich habe nur noch dich. Du hast mir versprochen, mich nicht zu verlassen...“
Ich spürte, wie er nach meiner Hand griff und etwas hineinlegte, während ich ihm in die Augen sah.
„...Du hast versprochen, mich immer zu lieben und ich weiß, dass du das tust. Du musst dich nur erinnern“  Er sah mich so ehrlich an, dass ich ihm fast glaubte. Aber nur fast.

„Ich habe keine Lust auf deine Spielchen, Grayson. Geh Jules nerven oder so“, meinte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Ich bin seit fast zwei Jahren nicht mehr mit ihr zusammen. Ash, ich verstehe, dass du Zeit brauchst, um das alles zu verarbeiten, aber lass mich dir wenigstens helfen“
„Wieso? Wieso ist dir das so wichtig?“ Ich verstand es nicht. Was hatte er davon? Was tat er überhaupt hier?
„Weil ich dich nicht aufgeben kann. Dafür hab ich mich zu sehr an dich gewöhnt. Dafür liebe ich dich zu sehr. Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber gib mir doch eine Chance, es zu beweisen“
Ich schüttelte den Kopf „Ich kann das nicht. Grayson, für mich bist du jemand, der mir das Leben zur Hölle macht. Ich erinnere mich an letzte Woche, als du mir die Schulter ausgerenkt hast. Aber sie tut jetzt gar nicht mehr weh. Weil es 4 Jahre her ist. Aber nicht für mich. Ihr lebt alle in einer komplett anderen Zeit als ich, in einer anderen Welt und ich kann nicht mit leben, weil ich sie nicht kenne.“ Ich lachte ironisch. „Ich erkenne mich selbst nicht mal, wenn ich in den Spiegel schaue. Wo zum Teufel hab ich den Bartwuchs her? Wo sind meine Haare hin? Woher hab ich die ganzen Muskeln? Seit wann bin ich so groß? Wieso ist mein Gesicht zu kantig?
Grayson, ich stehe vor dem Spiegel und erwarte mich zu sehen, aber mir blickt jemand Fremdes entgegen. Ich weiß, dass ich das bin, aber ich... Ich hab Angst davor. Ich bin verdammte 20 Jahre alt. Ich habe einen Führerschein, eine Davidson, ich darf saufen so viel ich will, mir Zigaretten kaufen, ich hab einen Schulabschluss.
Ich bin nicht mehr ich, aber keiner versteht das.
Denkt ihr denn, ich finde mich einfach so damit ab, dass ich von heute auf morgen vier Jahre älter bin? Dass ich ein komplett anderes Leben habe? Dass ich angeblich schwul bin? Wie soll das denn gehen?“
Ich bemerkte, wie meine Augen glasig wurden, also hörte ich auf zu reden, hörte auf, ihn ansehen, wollte aufhören etwas zu fühlen.
Aber stattdessen brach die komplette Verzweiflung meiner Situation über mich herein und ich begann zu schluchzen. Ich fühle mich so hilflos, so fremd in mir selbst, so einsam.

Ich wusste, Isaak und Ashley waren für mich da, aber plötzlich war meine kleine Schwester, die eigentlich 14 sein sollte, 18 und mein bester Freund, der immer ein kleiner verschmitzter, schmächtiger Junge war, stand mir als Mann gegenüber und erzählte mir all diese verwirrenden Sachen.
Er erzähle mir von einem fremden Mann, der angeblich ich war und von einem fremden Leben, das angeblich meines war und ich wusste, ich hatte 4 Jahre meines Lebens verloren.

Niemand kennt uns wirklich (BoyxBoy)Where stories live. Discover now