41. ASHER

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Die beiden Kunststunden am Nachmittag hatte ich ausgelassen und war früher nachhause gefahren. Isaac sollte Ashley mitnehmen und wenn er es nicht tat, war es mir auch recht. Ich war sauer auf sie und ich würde ihr bestimmt nicht mehr hinterherrennen. Ich hatte immer mein Bestes für unsere Familie gegeben. Was dachte sie denn, warum ich bis ins gesetzlich legale Alter, um arbeiten zu gehen, immer gestohlen hatte? Weil unser Vater kein Geld angeschafft hatte. Wir hatten nichts zu essen gehabt und als uns der Strom und das Wasser abgeschalten wurden, weil Dad es nicht mehr bezahlt hatte, hatten wir auch das nicht mehr gehabt. Also hatte ich zu stehlen und zu betteln begonnen, Straßenmusik zu machen. Ich hatte jeden Cent zusammen gekratzt, den ich bekommen hatte können, hatte auf so vieles verzichtet und das war der Dank dafür? Ein Vater, der nie da war. Wenn er kam, beleidigte, schlug er mich und nahm mein Geld mit. Eine Schwester, für die ich alles tat, doch die das nicht sah, mich als abstoßend und kontrollsüchtig sah. Ja, vielleicht war ich das, aber es war mir egal.

Ich wollte nicht mehr versuchen, es immer allen recht zu machen. Ich wollte nicht mehr die Person sein, die alle in mir sahen.
Alle dachten, sie kannten mich ach so gut, aber niemand hatte eine Ahnung, wie ich wirklich war. Ganz tief in mir. Nur Gray wusste das.
Deshalb wollte ich zu ihm und mit ihm reden, mich entschuldigen, weil ich mich so benommen hatte, aber als Isaac nachhause kam und mir sagte, Gray würde am Nachmittag vorbeikommen, beschloss ich zu warten. 

Ich ging immer wieder passende Worte durch, fand sie aber nicht. Schließlich entschied ich mich dazu, dass ein ich liebe dich und ein Kuss ausreichen mussten.

Als es dann an der Tür  klingelte und ich glücklich losstürmte, um sie zu öffnen, war ich total aufgeregt, doch, was ich dann sah, brach mit das Herz.
Gray stand vor der Tür. Seine Nase blutete, sein Kiefer war angeschwollen, sein Auge aufgeplatzt. Er hatte Tränen in den Augen, wankte hin und her, vor und zurück, presste die Lippen zusammen.
„Was ist passiert?“, fragte ich alarmiert.

Plötzlich verlor er den Halt, sank einfach zu Boden und begann laut zu schluchzen, während er das Gesicht in den Händen vergrub. Sein Körper bebte, ich zog ihn auf die Beine und auf das Sofa.
Er saß einfach da, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte sich die Seele aus dem Leib. Ich stand hilflos vor ihm. Dass er Prügel eingesteckt hatte, war klar sowie er zugerichtet war, aber was war diesmal anders?
Ich setzte mich zu ihm auf das Sofa, zog ihn an mich. Er schlang sofort seine Arme um mich und klammerte sich in meinem Shirt fest, während er weiter weinte. Ich strich über seinen Rücken und durch sein Haar und ich schwöre, müsste ich nicht der Starke in dieser Situation sein, würde ich ebenfalls heulen, nur wegen seinem Anblick.

Von der einen Minute auf die andere aber, war er dann ganz still, ließ mich los, lehnte sich im Sofa zurück und starrte gerade aus. Er wirkte wie ein Roboter im Ruhemodus. Er blinzelte nicht einmal.
„Gray, was ist passiert?“, fragte ich wieder. Ich setze mich weiter auf das Sofa, sodass ich ihn erreichen konnte und strich ihm die Tränen von den Wangen.
Er schien es gar nicht zu bemerken, er schien mich nicht zu bemerken. Er saß weiterhin stumm und regungslos da, starrte an die Wand und ich sah ihm dabei zu.

So verging eine ganze Zeit, bis Isaac die Treppen runterkam. Natürlich entdeckte er uns sofort auf dem Sofa und kam zu uns. „Was ist denn mit dem los?“ Zunächst belustigt, doch dann immer ernster, kam er auf uns zu.
Er wedelte mit der Hand vor Grays Gesicht herum, doch dieser zeigte keine Reaktion. „Scheiße, das ist gruselig“, hauchte er, während er Gray ansah als sei er ein Alien.
Ich stand auf, lies ihn los und zog Isaac mit mir in die Küche. „Ich weiß nicht, was passiert ist, oder wieso er aufeinmal nur noch dasitzt, als sei er ein heruntergefahrener Terminator.“, flüsterte ich. Isaac und ich ließen Gray nicht aus den Augen, doch der bewegte sich nicht.
„Vielleicht ist was passiert“, meinte Isaac dann. Ich sah ihn mit einem ist-das-dein-scheiß-ernst-Blick an, er hob die Schultern. „Sorry, keine Ahnung, er macht mir Angst“
Ich hatte auch keine Ahnung, was passiert war, aber ich wusste wie ich es herausfinden konnte. „Isaac, bitte pass auf Gray auf. Er wird nichts machen, er ist in einem Schockzustand. Ich werde zu ihm nachhause gehen und anschauen, was da los ist“ Bevor Isaac widersprechen konnte, war ich bereits aus dem Haus gegangen und auf meine Davidson gestiegen.
Der Weg zu Grays Haus dauerte zwar nicht lange, aber ich wollte ihn nicht rennen.

Als ich meine Maschine in der Auffahrt parkte, machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Die Haustür stand weit offen, also klopfte ich an, doch keiner reagierte. Ich musste aber herausfinden, was passiert war, also ging ich einfach rein. Ich sah mich zu allen Seiten um, aber bis auf die normale Unordnung in diesem Haus war nichts zu erkennen.Ich
Nur ein seltsamer Geruch, ein noch stinkenderer als beim letzten Mal störte mich, also folgte ich dem Gestank. Er schien aus der Küche zu kommen. Ich ging hinein und schrecke zurück, als ich auf den Boden sah. Ja, ich musste sogar kurz kreischen.

Am Boden lag eine riesige Blutlache und in deren Mitte Grays Mutter. Sie bewegte sich nicht, sah ganz blass aus und hatte ihre Augen weit aufgerissen. Es steckte ein Fleischmesser in ihrem Hals, doch die Wunde blutete nicht mehr.
Nachdem ich mich einigermaßen an den Anblick und den Gestank gewöhnt hatte, ging ich langsam auf sie zu. Ich zitterte am ganzen Körper, mir war unglaublich schlecht, aber ich überwand mich und versuchte bei der Frau einen Puls zu tasten. Wie befürchtet, war sie tot.

Ich zog mit zitternden Händen mein Handy aus der Hosentasche und rief einen Krankenwagen, die meinten, ich sollte am Tatort blieben, die Polizei würde alarmiert werden.
Und da saß ich jetzt auf dem Fußboden in der Küche des Hauses meines Freundes, seine tote Mutter vor mir und ich hatte keine Ahnung, wie ich in diese Situation kommen konnte.

Ich starrte die Frau einfach an. Sie war einmal so schön gewesen. Sie war die beste Freundin meiner Mutter gewesen, aber jetzt war sie tot.

Irgendwann traten Polizisten in den Raum und Sanitäter. Sie sprachen mit mir, aber ich bekam alles nur wie durch eine dichte Wattesschicht mit. Ich stand unter Schock, das wusste ich, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich konzentrierte mich einfach aufs Atmen, bis die Stimme des Sanitäters plötzlich zu mir durchdrang. Er wollte wissen, was passiert war, genauso wie die Polizisten. Der Sanitäter erklärte ihnen, ich würde unter Schock stehen. Ich fuhr mir einmal mit den Händen über das Gesicht und durch die Haare, ehe ich versuchte mich hinzustellen. Der Sanitäter half mir dabei. Die Leiche war bereits abtransportiert worden, aber das Blut war noch immer da.

Irgendwann begann ich zu reden. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Mein Freund stand aufeinmal vor meiner Tür und ist in Tränen ausgebrochen. Dann war er wie in Schockstarre, er hat mir nichts erzählt, also bin ich hierher gefahren und hab seine Mutter so gefunden. Ich kann nicht sagen, was vorgefallen ist, aber ich habe eine Vermutung“
Die Polzisten hörten mir aufmerksam zu, während ich erzählte, dass Grays Steifvater gewalttätig war und er selbst wieder so schlimm zugerichtet war und ich vermutete, dass er dafür verantwortlich war. Wer denn auch sonst? Gray würde seiner Mutter so etwas nicht antun und sie sich selbst auch nicht.
Außerdem konnte nur Spasti für sein zugerichtetes Gesicht verantwortlich sein, weil er sich in der Schule nicht geprügelt hatte.

Nachdem ich fertig war, meinten die Polizisten, sie wollten zu mir nachhause, um Gray zu befragen, ich stimmte zu und auch die Sanitäter kamen mit.

Als ich in meiner Einfahrt geparkt hatte, genauso wie die Polzisten und der Krankenwagen, hörten wir von drinnen jemanden schreien, lautes Krachen und Poltern. Ich stürmte in das Haus und sah Gray, der gerade dabei war, unsere Inneneinrichtung zu zerstören.
Ich rief seinen Namen, doch er hörte mich nicht.
Issac versuchte, ihn zu beruhigen, doch er schlug ihn weg.
Ich bahnte mir einen Weg zu Gray, obwohl er eine Lampe auf mich schmiss. Er schrie und weinte gleichzeitig, er sah so wütend und gleichzeitig verzweifelt aus, wie ich es noch nie gesehen hatte.

„Gray! Das reicht!“, schrie ich, als ich direkt vor ihm stand und sein Gesicht in die Hände nahm. Er sah mich direkt an, sein Gesichtsausdruck veränderte sich sofort zu einem weicheren.
Dann klammerte er sich wieder an mich und begann zu weinen. Er drückte so fest zu, dass ich fast keine Luft mehr bekam, aber wenn ich ihm dadurch irgendwie helfen konnte, würde ich freiwillig aufhören zu atmen.

Irgendwann tauchte einer der Sanitäter hinter Gray auf und gab ihm irgendeine Spritze. Ich wusste nicht, was darin war, aber kurz nachdem er sie bekommen hatte, wurde er um einiges ruhiger und schwerer.
Er schien eingeschlafen zu sein, also legte ich ihn auf dem Sofa ab und strich ihm die Haare aus dem Gesicht, während ich ihm einen Kuss auf die Stirn drückte.

Danach ging ich zurück zu den Polzisten, um alles weitere mit ihnen zu besprechen.

Niemand kennt uns wirklich (BoyxBoy)Where stories live. Discover now