42. GRAYSON\ASHER

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GRAYSON:
Als ich meine Augen aufschlug, blickte ich an Ashs Zimmerdecke. Zuerst war ich glücklich hier zu sein, doch dann prasselten alle Erinnerungen auf mich ein und plötzlich fühlte ich gar nichts mehr.
Ich spürte wie ein Tag nach dem anderen an mir vorbeizog, wie ich einschlief und wieder aufwachte. Ich bekam mit, dass Ash die ganze Zeit bei mir war, dass er mich fütterte, weil ich keine Kraft hatte selbst zu essen. Ja, sogar das Kauen fiel mir schwer. Er putzte mir jeden Tag die Zähne, duschte mich alle zwei Tage ab, zog mir täglich frische Klamotten an, doch das alles bemerkte ich nur am Rande. Ich hatte die ganze Zeit diese Szene vor meinen Augen.

Gut gelaunt schließe ich die Haustüre auf. Ich will nach meiner Mum sehen und danach zu Ash, um mich mit ihm auszusprechen. Ich bin seit fast vier Wochen nicht mehr hier gewesen und irgendwie fühlt es sich fremd an. Seit mein Vater gegangen ist, ist das hier nicht mehr mein Zuhause. Trotzdem lebe ich hier, um bei meiner Mutter zu sein. Ich will gerade meine Schuhe im Flur ausziehen, als ich Mum in der Küche schreien höre. Ich stürme in den Raum und reiße sofort meinen Stiefvater zurück, der auf meine Mutter einschlägt. Heute ist Freitag, was bedeutet, er ist früher zuhause. Schlimmer ist aber, dass meine Mutter zugerichtet ist, als hätte sie gegen Mike Tyson gekämpft. Ich schlage wütend auf meinen  Stiefvater ein, weil er meiner Mutter das angetan hat, aber sie bittet mich aufzuhören, also tue ich das. Mein Stiefvater nutzt die Gelegenheit, in mein Gesicht zu prügeln. Er greift nach dem langen Messer, das auf der Ablage liegt und holt aus, um mich damit abzustechen. Ich schließe die Augen, weil ich hoffe, es wird nicht so schlimm, aber der Schmerz, den ich erwarte, bleibt aus. Stattdessen höre ich wie mein Stiefvater schreit und meine Mutter einen undefinierbaren Laut von sich gibt. Ich öffne die Augen, mein Stiefvater ist weg. Ich will mich freuen, aber dann spüre ich, dass irgendetwas an meinen Schuhen klebt. Ich sehe zu Boden. Meine Mutter liegt dort, das Messer steck in ihrem Hals. Sie versucht zu sprechen, doch es gelingt ihr nicht. Das Blut zwingt sich aus ihrer Wunde. Ich lasse mich auf die Knie fallen und will ihr helfen, aber weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich das Messer herausziehe, mache ich es womöglich einfach nur noch schlimmer. Ich sitze da und denke nach, während meine Mutter stirbt. Als ich bemerkte, dass sie nicht mehr atmet, fühle ich ihren Puls, doch da ist nichts.

Sie war gestorben, um mein erbärmliches Leben zu retten und ich hatte dabei zugesehen. Scheiße beschrieb nicht Mal annährend wie es mir ging.
Ich starrte also einfach nur nach vorne, vermied jeglichen Augenkontakt zu anderen Personen. Die einzigen Momente, in denen ich etwas spürte, war, während Ash mit mir sprach und sich um mich kümmerte. Er erzählte mir, dass ich stark sein müsse, dass er für mich da wäre und wir das gemeinsam schaffen würden, er sagte mir jeden Tag, dass er mich liebte und so sehr ich es auch wollte, ich konnte einfach nicht antworten. Ich konnte einfach nichts tun.
Nach einigen Tagen, brachte Ash mich nach draußen, ich wusste nicht wohin, bis ich in einer Kirche stand und danach auf dem Friedhof. Das war die Beerdigung meiner Mutter. Ich wusste nicht, wer sie organisiert hatte, aber jetzt fühlte ich mich noch schlechter. Das war meine Aufgabe gewesen. Ich war ihr einziges Kind, ihre einzige Familie, ich hätte das tun müssen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte gar nichts mehr.

Ich wollte weinen, schreien, um mich schlagen, stattdessen bewegte ich mich nicht ein Stück, sogar das Atmen kostete mich eine ungeheure Anstrengung.

Nicht einmal auf Toilette ging ich selbstständig. Alle vier Stunden brachte Ash mich hin, wenn ich musste, dann kam es, wenn nicht, dann nicht. Ich wusste, was ich Ash da zumutete, ich wollte es ändern, ich wollte ja. Ich KONNTE aber nicht. Genauso wenig, wie ich den Tod meiner Mutter verhindern konnte.

Am Schlimmsten war es aber nachts, wenn ich die Augen schloss und sich die Szene immer und immer wieder von meinen Augen abspielte, wenn ich versuchte zu schlafen, aber nur Bilder sah, die mich quälten. Wenn ich dann schreiend und weinend aufwachte, war es die einzige Zeit, in der ich etwas anders tat als starr dazusitzen.

Niemand kennt uns wirklich (BoyxBoy)Where stories live. Discover now