IV - 4

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Gierig versuchte Gretel, dieses plötzliche Verlangen nach ihrem Mann zu stillen. Nicht nur nach ihm, sondern auch danach, sich wieder so vollkommen zu fühlen, wie sie es sonst in seiner Nähe getan hatte, erkannte sie. Hastig schob sie den Gedanken fort, während sie sich beide eilig auszogen. Sie wollte sich jetzt nicht mit den Schatten befassen, die sie überfallen und belagert hatten, seit sie wusste, dass sie im Grunde keine richtige Frau war.

Das Wissen, dass sie Kinder gebären konnte, war so lange selbstverständlich gewesen, sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass es nicht so sein könnte. Und jetzt fehlte ihr dieses Stück ihrer weiblichen Identität. Aber mehr noch marterte sie das Wissen, dass Hendrik nie Kinder gewollt hatte. Sie war ewig in ihn verschossen gewesen und hatte ihn aus der Ferne bewundert, während er seine Erfahrungen gemacht hatte. Sie hatte ihre auch gemacht, aber immer gewusst, es war der falsche Kerl an ihrer Seite.

Sie hatte nur keine Hoffnung darauf gehabt, dass ein Typ wie Hendrik sie überhaupt zur Kenntnis nehmen konnte. Und dann war es doch passiert und sie war so überglücklich gewesen, als er irgendwann gestanden hatte, er wolle das ganze Programm: Hochzeit, Haus, einen Haufen Kinder und das mit ihr, dem Mädchen mit dem bescheuerten Namen, an dem damals nichts wirklich außergewöhnlich war. Und doch waren sie hier gelandet. Und nun könnte alles zerbrechen, weil sie ihm das ganze Programm nicht mehr bieten konnte.

Automatisch schüttelte sie den Kopf, da sie den Gedanken daran loswerden wollte, was dieser Fakt für sie bedeutete. Sie merkte, wie Hendrik augenblicklich innehielt und sie verwirrt anschaute, doch sie zog ihn wieder zu sich und küsste ihn hungrig. Begierig darauf zu fühlen, dass sie falschlag. Sie war seine Frau, auch ohne ihm Kinder schenken zu können und sie gehörten zusammen. Wieso hatte sie dann das Gefühl, all das, woran sie nicht zu glauben gewagt und das sich doch erfüllt hatte, würde zu Staub zerfallen?

Sie musste sich in den Griff bekommen, genießen, was ihr Mann ihr gerade an Zärtlichkeit und Hitze bot. So wie sonst. Doch es fiel ihr schwer, sich daran festzuhalten, dass er dieses wundervolle Kribbeln in ihr auslöste, während er ihren Körper erkundete, als würde er ihn nicht schon in- und auswendig kennen. War es für ihn auch anders? Hatte sich für ihn doch etwas geändert? Dachte er insgeheim ebenfalls darüber nach, dass sie nicht fähig war, ihm seinen Traum nach einer großen Familie zu erfüllen?

‚Margarethe! Bekomm dich unter Kontrolle! Natürlich ist er verunsichert, wenn du ihm missverständliche Signale sendest!', schimpfte sie sich und zog Hendrik auf sich.

Sie würde garantiert abschalten können, wenn er sie ausfüllte, sagte sie sich und hob ihm ihr Becken entgegen, um ihm zu zeigen, wonach sie sich sehnte. Sie wollte eins mit ihm werden, sich nicht nur Körper, sondern auch Geist teilen, in dem Wissen, dass sie nur zusammen zwei Flügel hatten, um zu fliegen. So fühlte es sich für sie immer an. Zeit und Raum spielte keine Rolle mehr, nur noch der Mann, der sie sanft und zart oder hart und hitzig in den Wahnsinn treiben konnte. Sie keuchte automatisch, als er ihrem Wunsch nachkam und mit einem Stoß zu einem Teil von ihr wurde. So wie sie von ihm.

Genau das wollte sie. Wie zur Bestätigung wickelten sich ihre Beine um seine Hüfte und ihre Arme um seinen Nacken und ihre Augen suchten seinen Blick. Sie brauchte seine Nähe, wollte sich trotzdem auf ihn einlassen zu können, sodass er nichts vermisste, wenn sie wie zu einem Organismus geworden waren. Wenn sich ihr Atem mischte, so wie in diesem Augenblick, und ihre Herzen im selben Rhythmus gegen ihre Brustkörbe trommelten, während sie dem köstlichen Abgrund immer näher kamen.

„Liebling, ich kann nicht mit dir schlafen, wenn du weinst...", hörte sie an ihrem Ohr und biss sich auf die Unterlippe.

„Tut mir leid", wisperte sie und spürte, wie er seine Arme um sie schlang.

„Ist ok, Liebling."

Sie konnte nur stumm den Kopf schütteln und barg das Gesicht an seiner Halsbeuge, während nun der Knoten in ihrem Hals platzte und die zurückgehaltenen Schluchzer gewaltsam über ihre Lippen drangen. Sie war so enttäuscht von sich und ihrem Körper. Wie sollte sie dem Sturm in ihrem Innersten irgendwas entgegensetzen können?

„Sch. Schon ok. Ich liebe dich, Gretel. Daran kann nichts etwas ändern. Hörst du?"

‚Hab ich das laut gesagt?', fragte sie sich und merkte, wie er sich ein bisschen von ihr löste, um ihr ins Gesicht sehen zu können.

„Wir beide. Das hat sich nicht geändert, Liebling. Es gibt immer noch uns beide und gemeinsam werden wir das schaffen, richtig? Weil wir zu zweit alles bewältigen können."

Sie bemerkte grimmige Entschlossenheit in seinem Blick, aber erkannte auch, dass er es ehrlich meinte. Er würde sie nicht alleine in diesem Sturm lassen, sondern er würde mit ihr durch diese Unwägbarkeit des Lebens gehen. Es gab immer noch sie zwei und das würde so bleiben. Nichts konnte daran etwas ändern.

„Richtig", hauchte sie und spürte, wie eine Gerölllawine von ihrer Brust fiel, von der sie nicht geahnt hatte, dass sie ihr die Luft abdrückte.

Hendrik schaute sie ernst aus seinen kornblumenblauen Augen an, nickte und küsste ihr anschließend die Reste der Tränen von den Wangen. Jetzt war sie dafür bereit, worauf sie vorher nur gedrängt hatte, um die Leere in sich zu füllen, die sie empfunden hatte. Deswegen umfasste sie sein Gesicht und küsste ihn mit all der Bedächtigkeit, derer sie gerade fähig war. Offenbar erkannte ihr Mann, was sie ihm damit sagen wollte, denn er vertiefte die Berührung genauso achtsam und sie spürte, wie sich wieder das sachte Ziehen der Lust in ihr ausbreitete.

‚Hitze war das falsche Mittel der Wahl', begriff sie, als sie sich von Hendrik und seiner Zärtlichkeit wegführen ließ.

Von allem, das diesen Sturm in ihr in ein tosendes Ungeheuer verwandelt hatte. Stattdessen fühlte sie nun, wie ihre Herzen wieder im gleichen Takt schlugen, während sich ihre Atemzüge vermischten.

„Wir zwei beide", keuchte sie, als sie am Gipfel angelangt war und am Abgrund taumelte.

Sie nahm noch wahr, wie Hendrik eine Bestätigung murmelte und sie voll Liebe ansah, ehe sie fiel und spürte, wie er ihr Sekundenbruchteile folgte, um mit Engelschwingen vom Jetzt davongetragen zu werden.

Gretel grinste, als sie sich erinnerte, dass sie an diesem Tag nicht nur einmal der Sonne entgegengeflogen waren. Fast, als wären sie frischverliebt gewesen, hatten sie nicht die Hände voneinander lassen können, bis sie sich irgendwann am Abend das chinesische Essen vom Vorabend aufwärmten. Während sie nackt im Bett aßen, beschlossen sie, dass sie zusammen nochmal recherchieren würden, welche Optionen sie hatten. Hendrik bat sie auch, nochmal einen Termin mit ihrem Arzt zu machen. Diesmal hatte er dabei sein wollen.
‚Wir zwei beide', schoss ihr erneut durch den Kopf und sie erstarrte unwillkürlich, weil sie bemerkte, dass sie sich das mehr denn je wünschte. Ob es jemals wieder greifbar werden würde? Jetzt? Sie hoffte es und beobachtete, wie Annas Freundin Larissa sie anlächelte, ehe sie ihr zuzwinkerte und auf den DJ zulief.

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Gretel - Das bin ichМесто, где живут истории. Откройте их для себя