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„Alles Liebe zum Geburtstag, Liebling", raunte Hendrik an ihr Ohr und sie musste grinsen.

Sie drehte sich in seinem Arm und streichelte über die Bartstoppeln, die über Nacht sein Gesicht bevölkert hatten, ehe sie ihm einen Kuss auf die Lippen drückte. Sie spürte, wie sich seine Hand unter ihr Nachthemd stahl und kicherte, bevor sie seine Finger festhielt. Augenblicklich schlich sich leise Enttäuschung auf sein Gesicht und ihr Grinsen vertiefte sich.

„Nicht so hastig, Herr Gruber. Ich hab mir noch nicht mal den Schlaf aus den Augen gekrümelt."

„Dann mach schneller, Frau Gruber. Weil wir heute nämlich eine Menge vorhaben."

„Ach ja?", fragte sie und runzelte die Stirn.

„Hm, ja. Ich hab dich überraschen wollen und hab mir deswegen einen Tag Urlaub eingetragen. Oder besser zwei. Damit wir das auch machen können, was ich geplant habe, bevor es ans Eingemachte geht."

Sofort machte sich wieder Angst in ihr breit. Sie dachte an die Massen von Untersuchungen, die sie über sich hatte ergehen lassen und die noch auf sie zukommen würden. Ab Montag würde sie sich jeden Tag eine Spritze in Bauch oder Oberschenkel jagen, damit ihr Wunsch nach einem Kind sich vielleicht doch erfüllte.

„Oh, nein. Jetzt habe ich die lockere Stimmung zerstört. Schau mich an."

Sie hob den Blick zu Hendriks Augen und bemerkte, dass er sie besorgt anschaute, ehe er sie küsste und murmelte: „Es wird alles gut werden. Du wirst die Hormontherapie super vertragen und keine Nebenwirkungen haben und genauso wirst du förmlich durch die Eizellenentnahme und das Einsetzen unserer Babys fliegen. Ich weiß es, Liebling."

„Hm. Ich weiß nicht. Die Chance..."

„Hör auf, in Statistiken zu denken, Gretel. Wenn die Chance so beschissen wäre, hätte die Krankenkasse den Versuch nicht bewilligt und nicht in Aussicht gestellt, noch zwei weitere zu bezahlen. Glaubst du wirklich, das würden sie, wenn es rausgeschmissenes Geld wäre?"

„Vermutlich nicht, aber..."

„Nichts aber, Liebling. Es wird alles gut."

„Sicher?"

„Ganz sicher, mit jeder Faser meines Herzens. Davon abgesehen, ist es ja nicht der einzige Weg, Mutter zu werden, stimmt's?"

Sie runzelte die Stirn und sah ihn lange an, ehe sie erwiderte: „Ich will nicht adoptieren und das weißt du."

„Ja, das weiß ich. Ich meinte damit nur, dass wir uns trotzdem diese Option offenhalten sollten. So als Plan Z, der wahrscheinlich nicht nötig wird, weil nämlich bald da in deinem Bauch mindestens ein Baby heranwächst."

„Die in einer Petrischale gezeugt wurden", grummelte sie automatisch und Hendrik hob die Augenbraue an.

„Macht das einen Unterschied? Letztlich zählt doch nur, dass unser Kind mit deinem Herzschlag einschläft und aufwacht, sobald es hören kann, und du das Treten spürst, lang bevor ich es spüren kann, oder nicht?"

„Ja, das stimmt schon", gab sie zu und seufzte, als Hendrik sie an sich zog.

„Na siehst du, Liebling. Ich wünschte auch, du würdest nicht all die Mühen über dich ergehen lassen müssen. Wenn du dich jetzt doch dagegen entscheidest, verstehe ich das. Für dich wird die nächste Zeit anstrengender als für mich. Ich steh ja nur daneben und halte Händchen und kaufe den ersten Strampler, sobald es geklappt hat."

Einen Teufel würde sie tun. Ja, er liebte sie und sie hatte sein Herz erobern können. Aber würde das wirklich so bleiben? Sie war sich nicht sicher, jetzt nicht mehr.

„Den Strampler in welcher Farbe?", wisperte sie, um sich abzulenken, und barg ihr Gesicht an seiner Halskuhle.

Sie schloss die Augen, als sie spürte, wie Hendrik ihr zart über ihren Rücken streichelte, ehe er flüsterte: „Gelb, denk ich. Oder grün, jedenfalls irgendwas Neutrales. Hauptsache, es steht drauf: ‚Daddys buddy' oder so. Und noch einen, wo abgedruckt ist: ‚Mummys heart'."

Sie nickte und ließ sich auf die Vorstellung ein. Es war ein schöner Gedanke. Sie wünschte nur, sie hätte die Prozeduren schon hinter sich.

„Du wirst eine tolle Mutter sein", versprach er. „Das musst du auch. Immerhin musst du alle Fehler ausmerzen, die ich so machen werde."

„Wer sagt, dass du die Fehler machen wirst?", stieg sie auf das Spielchen ein und hörte ihn seufzen.

„Weil du der beste Mensch bist, den ich kenne. Und genau deswegen musst du all die Dinge regeln, die ich verbocke. Sollte dir trotzdem mal ein Fauxpas passieren, werde ich versuchen, ihn im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten aufzuwiegen. Aber ich bin sicher, im Gegensatz zu mir, wirst du alle Hände voll zu tun haben."

„Heißt das, du wickelst nicht?", zog sie ihn auf und hörte ihn leise lachen.

„Oh doch. Ich gebe nur keine Garantie darauf, dass die Windel anfangs auch so sitzt, wie sie das soll."

„Ich denke, das ist ok", murmelte sie und holte tief Luft, um seinen Geruch einzuatmen, der sie bereits so oft beruhigt hatte.

„Ja, ich werde es schon lernen. Zusammen mit dir. Hab mit dir ja genauso erst gelernt, was Liebe wirklich heißt, oder?"

„Ich glaube, das wusstest du auch zuvor."

Nun löste sich Hendrik von ihr und sein Gesicht zeigte dieses jungenhafte Lächeln, bei dem ihm weiterhin ihr Herz zuflog und meinte: „Nein, so wirklich hab ich das erst mit dir kapiert. Aber das Üben war ganz ok."

Sie musste auch grinsen, weil sie spürte, dass seine Finger wieder unter ihr Schlafshirt schlüpften und federleicht über ihre empfindliche Haut an der Taille streichelten. Sofort breitete sich Wärme in ihr aus und sie hielt den Atem an, als ein Schauer durch ihren Körper rieselte.

„Ich dachte, wir hätten heute viel vor?", hauchte sie, als Hendrik nun außerdem ihre Schulter küsste.

„Das hat noch ein bisschen Zeit, Liebling. Einchecken ist eh erst ab 15 Uhr und jetzt ist es irgendwas mit 10. Also kann ich meiner Frau zeigen, wie glücklich ich bin, dass sie geboren wurde."

„Aha, ok. Dann, äh, ist es ja gut", erwiderte sie noch und merkte, wie sich ihr Kopf rasant leerte, weil sie Hendriks Zärtlichkeiten doch nicht mehr widerstehen konnte.

Sie lauschte der Gesangsdarbietung von Larissa, die sich ein Mikro vom DJ geholt hatte, und war so froh, dass ihre Schwiegertochter eine Freundin gefunden hatte, die sie nun schon so lange begleitete. Lari hatte einen großen Anteil daran, dass Anna wirklich aufgeblüht war in den letzten Jahren. Nicht zuletzt, weil sie ihre Schwiegertochter dazu gedrängt hatte, an sich und ihre Talente zu glauben.
Sie schlich sich von der Tanzfläche und ging zu ihrem Platz, wo sie einen Schluck ihres Weins nahm und darüber nachdachte, wie sehr Hendrik und sie die Auszeit in dem gebuchten Wellnesshotel genossen hatten. Wenn sie sich so daran entsann, war diese Zeit auch dringend nötig gewesen. Danach war es strapaziös geworden. Mehr als sie sich das hätten vorstellen können...

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Gretel - Das bin ichWhere stories live. Discover now