III - 2

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Sie starrte auf die blühenden Pflanzen in ihrem Garten und lauschte dem fröhlichen Geplapper, das von der Stelle zu ihr drang, wo die Kinder ihre Sandburgen bauten. Heute war nicht ihr Tag. Nicht mal der Anblick der Kids konnte sie aufbauen – oder ihr Garten. Automatisch biss sie sich auf die Lippen, wandte sich ihrem Teller zu und versuchte, ihre Torte zu genießen, die zartschmelzend mit leichten Vanillenoten auf ihrer Zunge zerging.

Trotzdem konnte sie den bitteren Geschmack der Einsamkeit nicht vertreiben, der im Moment besonders vorherrschend war. Schon seit vier Monaten hatte sie ihren Mann nicht mehr gesehen, ihn gesprochen oder ein Lebenszeichen von ihm erhalten. Immerhin musste er am Leben sein. Sonst hätte längst einer der Kollegen bei ihr geklingelt und ihre Welt noch mehr ins Wanken gebracht.

„Schmeckt sie dir nicht?" Hastig hob sie ihren Blick und schaute ihrer besten Freundin Emmy zu, die sie aus ihren grünen Augen besorgt musterte. Die ihr zuliebe ihre Geburtstagstorte gebacken hatte. Schnell schüttelte sie den Kopf und schluckte den Bissen hinunter.

„Doch, doch. Sie ist dir echt gut gelungen, Emmy."

„Da bin ich aber erleichtert. Ich habe nicht dein Talent zu backen. Es erklärt trotzdem nicht, warum du hier sitzt und vor dich hinstarrst wie sieben Tage Regenwetter. Ist alles ok?" Sie war Emelie wirklich dankbar dafür, dass sie die Stimme gesenkt hatte, sodass die anderen am Tisch ihr Gespräch nicht bemerkten. Unwillkürlich zuckte sie mit den Schultern.

Die Besorgnis im Blick ihrer Freundin verstärkte sich noch und sie musterte deren hübsches Gesicht: Zwischen den grünen Augen saß eine gerade, wohlgeformte Nase inmitten von hohen Wangenknochen und über vollen Lippen, die im Moment leicht gen Süden zeigten. Umrahmt wurde die bleichrosige Haut mit den zahllosen Sommersprossen von kupferfarbenen Wellen und schmalen Brauen, die hochgezogen unter einer sanft gerunzelten Stirn ruhten. Automatisch zuckte sie mit den Schultern und legte die Gabel beiseite, weil sich ihr Magen zusammenknotete. „Ich vermisse Hendrik."

Jetzt schob Emmy ihre Hand auf ihre und Gretel bemerkte, dass ihre offenbar schon wieder eiskalt war, denn die plötzliche Wärme, die von Emelies Fingern ausging, strahlte auf ihre Haut aus. Die Empfindung fraß sich langsam ihren Arm hinauf in ihre Brust und statt sich getröstet zu fühlen, zog sich ihre Kehle zusätzlich zusammen. „Wie lange ist er noch weg?"

„Keine Ahnung." Weil sie sich nicht mehr stillhalten konnte, erhob sie sich und setzte ein Lächeln auf, während sie die leergegessenen Teller der anderen aufeinanderstapelte. Dabei wich sie dem Anblick von Diana und Jo aus, die sich frischverliebt anstrahlten. Dennoch bemerkte sie die kleinen, unwillkürlichen Berührungen ihrer Hände. Wird das zwischen Hendrik und mir je wieder so sein?

Sie spürte, dass sich Emmys Stirn noch mehr in Falten gelegt haben musste, denn ihr Blick ätzte sich in ihren Rücken. Gretel ignorierte es, als sie ihren Eltern die Teller abnahm, die sie ihr automatisch reichten, obwohl sie in ein angeregtes Gespräch mit Melanie vertieft waren. Sie schaute Emmy entschuldigend an, als sie auch ihren Teller obenauf legte und sich abwandte, um den Geschirrspüler zu füllen. Wahrscheinlich ist es gut, kurz ein bisschen Abstand zu bekommen.

Mit weitausholenden Schritten durchquerte sie den großen Wohnraum und wich dabei den Bauklötzen aus, die Florian auf dessen Boden verteilt und die sie noch nicht aufgeräumt hatten. Trotzdem nahm sie sich etwas Zeit, sie zumindest mit dem Fuß auf einen Haufen zu schieben.

Es war alles wieder neu, seit er angefangen hatte zu krabbeln. Sie hatte sich stundenlang gequält, die vermaledeiten Tür- und Treppenschutzgitter anzubringen, um Flo einen gesicherten Raum zur freien Entfaltung geben zu können. Etwas, das Hendrik und ich gemeinsam machen wollten.

Automatisch zuckte sie mit den Schultern. Das war nichts, woran sie irgendwas ändern konnte, da mochte sich noch so sehr alles in ihr zu einem Knoten zusammenzurren. Seufzend balancierte sie die Teller in ihrer Rechten und versuchte, trotzdem das Schutzgitter zur Küche zu öffnen. Der leise Fluch erstarb auf ihren Lippen, als plötzlich Emmy mit der Kaffeekanne neben ihr stand. „Darf ich dir helfen oder flüchtest du dann in ein anderes Bundesland?"

Unwillkürlich zuckte Gretel unter dem leisen Vorwurf zusammen und biss sich auf die Unterlippe, ehe sie nickte. Emelie drückte ihr die Kanne in die Hand und öffnete das Gitter für sie, was sie mit einem kaum hörbaren Dank quittierte. Wie jeden Tag fiel ihr Blick auf die Fotos, die am Kühlschrank prangten. Obwohl sich da jetzt auch Florians erste Malergüsse befanden, konnte sie die Bilder von Hendrik und ihr weiterhin ausmachen. Wie immer zog sich ihr Herz dabei noch mehr zusammen.

„Ist dir bewusst, dass es schwerwiegende gesundheitliche Folgen hat, wenn man den Kummer dauerhaft schluckt?" Ihre Augen flogen zu Emmy, die lässig am Türrahmen lehnte und sie beobachtete. Hastig unterdrückte sie ein Augenrollen und zuckte stattdessen mit den Schultern.

„Lass es, Emelie." Heftiger als nötig stieß sie die Tür des Geschirrspülers auf und die Teller klirrten, während sie sie einräumte. Sie hatte sich fassen wollen. Doch ihre Flucht brachte nicht die ersehnte Erleichterung, sondern ihre Brust hatte sich noch mehr zugezurrt, sodass jetzt das Luftholen fast zu schwer geworden war.

Trotzdem versuchte sie es. Sie war umgeben von Menschen, die sie liebten, und sollte glücklich sein. Denn sie war nicht allein. Das Gefühl der Isolation trügte sie nur. Sie wusste es, aber nichts schien durch dieses Dickicht dringen zu können. Als hätte er ein Stück meiner Hoffnung mit sich genommen, als er gegangen ist.

Ihre Gäste sie waren gekommen, um sie aufzuheitern, und sie war unfassbar undankbar. Reue flutete sie und sie bemerkte, wie das Geschirr zwischen ihren Fingern noch mehr bebte. Reiß dich jetzt zusammen, Margarethe! Wenn schon nicht für dich, dann für Florian! Hendrik wird zurückkommen und du wirst diesen Geburtstag vergessen. Er wird nur noch eine verblasste Erinnerung an einen Regentag sein, während die Sonne dich wieder mit ihrem Licht flutet. Du musst es nur zulassen.

Wirklich? Der Gedanke blitzte durch ihr Gehirn, ehe sie es verhindern konnte, und sie griff entschlossen nach dem letzten Teller. Doch plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter und er entglitt ihr. Wie in Zeitlupe schien er auf den Metallkorb der Geschirrspülmaschine zu prallen, von dort abzuspringen, ehe er auf dem Fliesenboden zerschellte. Wie hypnotisiert schaute sie auf die Scherben und merkte, wie der Kloß in ihrem Hals platzte.

Typisch, Emmy. Das kommt davon, wenn die beste Freundin Psychotherapeutin ist. Reflexartig lächelte Gretel und sie rollte mit den Augen. Obwohl sie sich daran erinnern konnte, dass sie das damals nicht so amüsant gefunden hatte. Stattdessen hatte sich ihre Brust noch enger zusammengezogen und der Druck hatte sich entladen, nachdem das Geschirrstück auf dem Boden aufgetroffen war. Es war einer der Teller gewesen, die sie zur Hochzeit bekommen hatten und die sie nur auf den Tisch brachten, wenn entweder ein besonderer Anlass anstand.Oder ich seine Nähe gesucht habe. Sie mühte sich, eine weitere Gabel ihres Bratens in ihrem Mund verschwinden zu lassen. Sofort löste sich ein Seufzen aus ihrer Brust. Es schmeckte so köstlich. Trotzdem war es, als würde jeder Bissen in ihrer Kehle steckenbleiben, ehe er weiterrutschte, egal, wie gut sie ihn kaute.


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Gretel - Das bin ichΌπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα