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Wie hypnotisiert schaute sie auf den regenbogenfarbenen Lichtreflex, den ihre Sektflöte auf der weißen Wand des Landgasthofes zeichnete. Jeden Moment würden sie ihn betreten und sie fragte sich, ob sie bereit dazu war. Noch immer hing sie in der Vergangenheit fest. Sie sollte sich darüber freuen, dass Florian heute wieder aus ganzem Herzen strahlen konnte. Dank seiner Frau. Die Liebe bewirkte wirklich die größten Wunder. Sie wusste es, sie hatte es erlebt. Und sie verloren. Wieso Hendrik gerade am heutigen Tag so tief in ihr verankert war, begriff sie nicht. Sie hatte sich doch auf ihr Leben ohne ihn eingelassen. Hatte Schritt für Schritt wieder laufen gelernt. In Schuhen, die ihr erst zu groß waren und die sie hatte anpassen müssen. Aber das war erst das Ende dieser Phase gewesen, pfiff sie sich zurück. Begonnen hatte es anders...

Verschlafen hob sie ein Augenlid und sah sich nach der Quelle des Geräusches um, das sie aus ihren Träumen gerissen hatte. Sie entdeckte Hendrik vor dem Schrank stehen, wie er ein Hemd nach dem nächsten hervorzog und dabei die Kleiderbügel aneinanderschlugen. Irritiert runzelte Gretel die Stirn und versuchte, ihrem umnebelten Hirn abzuringen, warum ihr Mann so nervös war.

Plötzlich spürte sie, wie ein Zahnrad in das nächste griff, und der Grund für seine Unruhe drang in ihr Bewusstsein. Seinem erbosten Murmeln nach, war ihr Mann überhaupt nicht begeistert davon, dass er zu zittrig war, um keine Geräusche zu machen. Sie musste automatisch grinsen und schob sich, nachdem sie sich etwas gereckt hatte, lautlos aus dem Bett. Sie schlich auf ihn zu und umarmte ihn von hinten. Ein Zucken ging durch ihn, ehe er zu ihr herumfuhr. „Tut mir leid, Liebling. Ich wollte dich nicht wecken. Du hast Urlaub."

„Ach sei es drum, Babe. Ich wollte sowieso mit dir aufstehen. Es ist immerhin dein erster Arbeitstag nach deiner Auszeit, da wollte ich dir höchstpersönlich deinen Morgen-Kaffee machen." Sie unterbrach sich und schnüffelte an ihm, als sein Duft ihre Lungen füllte. „Du hast schon geduscht. Flo ist demnach im Kindergarten."

„Ja, ist er. Und jap, ich hab ohne dich geduscht. Du hast noch so friedlich geschlafen und ich wollte das Risiko nicht eingehen, dass ich nicht rechtzeitig zur Arbeit komme, wenn ich dich mit unter die Dusche nehme..." Hendrik zwinkerte ihr zu und Gretel versuchte krampfhaft, ernst zu bleiben und nicht loszukichern.

Die letzten Wochen, seit Florian und sie wieder eingezogen waren, waren sie wie Frischverliebte bei jeder sich bietenden Gelegenheit übereinanderhergefallen und sie musste ihm deshalb zugestehen, dass der Gedanke nicht ganz so abwegig war. Trotzdem hob sie gespielt entrüstet eine ihrer Augenbrauen. „Ach ja? Und wer ist hier der Nimmersatt in dieser Beziehung?"

„Liebling, ich glaube, in der Hinsicht geben wir uns beide nicht viel. Wundert mich, dass er noch nicht wund ist." Jetzt konnte sie ihr Grinsen nicht mehr verbergen und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.

Als sie sich schweren Herzens wieder von ihm löste, pikste sie ihm den Zeigefinger in die Brust. „Hände vom Hintern weg, Mr. Da beschwerst du dich in einem Moment und ihm nächsten gehen deine Finger auf Wanderschaft. So wird hier aber nicht gespielt."

„Ich bin machtlos gegen deinen Sexappeal. Alles deine Schuld." Sie schnaubte geräuschvoll, grinste ihn aber wieder an, ehe sie sich von ihm löste und aus dem Schlafzimmer spazierte.

Kurz bevor sie die Tür erreichte, wandte sie sich nochmal zu ihm um und wartete, bis sein Blick bei ihrem Gesicht angekommen war. „Nimm das dunkelblaue Hemd. Das steht dir wirklich gut." Dann verließ sie den Raum lächelnd und stieg die Treppe hinunter, um Hendrik seinen morgendlichen Koffeinschub zuzubereiten.

Während sie die Küche betrat, dachte sie an die bevorstehende zweite Trauung. Die Einladungskarten waren verschickt, der Trauredner gebucht, genauso wie die Liveband und das Zelt für den Garten. Heute trafen sie sich nach seiner Schicht in dem Restaurant, wo sie vielleicht das Essen bestellen wollten, denn sie boten einen Cateringservice an.

Gretel - Das bin ichWhere stories live. Discover now