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Offenbar war dies das Ende seines Gelübdes, denn er drehte sich - jetzt doch etwas verunsichert – zu ihrem Trauredner um. Dieser nickte sanft lächelnd. „Gretel?"

Ein Ruck ging durch sie, als sie feststellte, dass sie plötzlich all die sorgsam zurechtgelegten Worte vergessen hatte. Die Blicke der Anwesenden brannten auf ihrer Haut und sie dachte, ihr Kleid müsse jeden Moment in Flammen aufgehen. Doch nichts geschah. Stattdessen machte sie einen zustimmenden Laut und konzentrierte sich auf den Mann vor sich.

„Babe, ich hab alles vergessen, was ich sagen wollte", gestand sie und sah, wie ein beruhigendes Lächeln über seinen Mund spielte. Sofort hatte sie das Gefühl, wieder Luft holen zu können. „Ich ... hm. Du bist mein Alpha und mein Omega. Seit dem Moment, als ich mich als Teenager in dich verguckt habe. Und daran hat sich nichts geändert, auch nicht in der Zeit, in der du so um uns gekämpft hast. Du warst immer mein Anfang und mein Ende. Du bist meine andere Hälfte, ohne die meine Seele nur noch existiert, statt zu leben."

Sie bemerkte, dass seine Hand jetzt wieder deutlicher zitterte und lächelte ihm zu. „Damals hab ich nicht geahnt, dass wir erneut zusammenwachsen würden. Ich wusste auch nicht, dass diese Krise uns als Paar nur stärken würde. Doch das hat es. Sind wir perfekt? Bestimmt nicht. Aber wir sind da angekommen, wo wir hingehören. Als du gesagt hast, du willst mich nochmal heiraten, dachte ich erst, du hast ein Rad ab..."

Kichern ertönte aus den Reihen der Gäste und ihr Mann grinste ebenfalls breit. „Aber ich habe nie bereut, zugestimmt zu haben. Denn du bist alles. Warst du zuvor und wirst es immer sein."

Nun beugte sie sich vor und strich ihm mit den Lippen über seine, ehe sie die Stirn an ihn lehnte. „Ich liebe dich, Hendrik. Heute mehr als jemals zuvor."

Eine Bewegung im Augenwinkel lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Umgebung und sie sah Flo auf sie zu kommen. Seine kleinen Hände zitterten sichtbar, während er mit stolzgeschwellter Brust und glänzenden Augen das Kissen mit den Ringen zu ihnen trug.

Kurz vor ihnen blieb er stehen und sie strich ihm automatisch durch sein Haar. Unterdessen verkündete der Redner: „Eine Liebe, die mit ihren Krisen gewachsen ist, kann so schnell nichts mehr trennen. Sie überstrahlt alles und ist geduldig. Besiegeln wir das, durch den Tausch der Ringe. Hendrik, sprich mir nach. Ich – Hendrik..."

Ihr Herz begann in ihrer Brust zu flattern, als ihr Mann sie anschaute und sie all die Liebe in seinem Gesicht wahrnahm, die sie ebenfalls erfüllte. Ein Zittern lief durch sie und fand ein Echo in seiner Hand, während er wiederholte: „Ich – Hendrik..."

„Gelobe feierlich, dich – Gretel..."

„Gelobe feierlich, dich – Gretel..." Sie blendete die leise Stimme des Trauredners aus und konzentrierte sich vollends auf Hendrik, der sie anstrahlte. Ihr Herz machte einen Hüpfer in ihrer Brust, weil es so offensichtlich war, dass er die folgenden Worte ernst meinte.

„Dich bis ans Ende meiner Tage..."

„Auf Händen zu tragen."

„Ich will dir..."

„Der Schutzraum in dunklen Zeiten..."

„Die Sonne an hellen..."

„Dein Dünger in kargen..." Gretel schmunzelte, als sie die Überraschung der Gäste wahrnahm und registrierte, dass auch Hendriks Augen belustigt aufleuchteten. Doch sofort fokussierten sich ihre Sinne zurück auf ihn, als er wieder ernst wurde. „Und deine Nahrung in guten sein."

„Ich will sehen,..."

„Wie der Garten unseres Lebens..."

„Unter meiner Pflege..."

„Ins Unermessliche wächst."

„Das gelobe ich feierlich."

„Nimm diesen Ring als Zeichen unserer Liebe..." Sie schluckte hart, als er ihr den schmalen Fingerreif auf den Finger schob, der sich sogleich an den schmiegte, den er ihr bei ihrer ersten Trauung geschenkt hatte. Automatisch senkte sich ihr Blick auf ihren Ringfinger und sie strahlte Hendrik an, der ihr Lächeln erwiderte. Er hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen und sie schloss reflexartig die Augen, weil sie sich danach sehnte, die Berührung wäre nicht so schnell vorbei. Doch schon schaltete sich der Redner ein und bat sie ebenfalls seine Worte zu wiederholen.

Sie hatte sich immer gefragt, wieso die Leute nicht einfach die Zeilen auswendig lernten und sie aufsagten. Aber in diesem Moment begriff sie es. Anders als beim ersten Mal, wo sie viel zu aufgeregt gewesen war, um den Blickkontakt zu Hendrik zu halten, versank sie nun in seinen Augen und war froh, den Text vorgesagt zu bekommen.

Sie würde sich wirklich wünschen, ihre Stimme würde nicht so zittern, doch als sie ihm seinen Ring überstreifte, legte sich das Beben allmählich. Spätestens als der Trauredner verkündete, sie dürften sich jetzt küssen, verflog ihre Anspannung endgültig.

Sanft wanderte seine Rechte in ihren Nacken und zog sie näher, um seine Lippen zärtlich auf ihre zu drücken. Wie immer schien die Welt für einen Moment stillzustehen, während die Anwesenden begeistert klatschten. Doch wieder war die Berührung für ihren Geschmack zu kurz. Noch ehe sie es sich versah, wurde die Hand in ihrem Nacken schlaffer und er trat einen Schritt zurück.

Weiterhin applaudierten ihre Gäste und ihr Blick wanderte zu David, der ihr mit einem breiten Lächeln zunickte. Sie wusste, was er ihr damit sagen wollte: Denn seine Freude darüber, dass sein Kumpel und Kollege wieder zu sich selbst - und zu seiner Familie - gefunden hatte, leuchtete in seinem Gesicht wie eine Neonreklame.

Ein Kichern entwich ihr jedoch, als es an ihrem Kleid zupfte und sie Florian anschaute, der fragte: „Seid ihr jetzt wieder verliebt?"

„Oh, kleiner Mann, sieh dir deine Eltern an, sie sind sehr verliebt und haben das auch euch allen gezeigt...", polterte der Trauredner daraufhin und sie nickte nur. Genauso wie Hendrik sofort bejahte. Sie nahm ihren Sohn auf den Arm und spürte im gleichen Moment, wie ihr Mann seinen um sie schlang, während der Redner verkündete, er wolle ihnen „die Grubers 2.0" vorstellen.

Doch das interessierte Gretel nicht wirklich. Nur der kleine blonde Haarschopf, der sich an ihre Brust schmiegte und die Wärme des Mannes, der wiederum sie im Arm hielt, spielten eine Rolle. Automatisch schloss sie die Augen und atmete tief das Gemisch von Flos Duft und Hendriks Aftershave ein. Diese Mischung machte sie immer wieder schwindlig.

So wie jetzt. Ihre Bauchmuskeln zogen sich zusammen und das Summen in ihrem Bauch verstärkte sich, je länger sie diese einzigartigen Geruchsnuancen in ihre Lunge zog. Plötzlich merkte sie, wie sich dieses Gefühl nach Ankommen wieder in ihr einstellte. All die Jahre, wo die Sonne nur selten durch die Wolken gebrochen war, verpufften zu einem unwichtigen Einheitsbrei, während die Zukunft in den hellsten Farben schillerte.

Da Flo nun zu zappeln begann, ließ sie ihn schweren Herzens los und lächelte, als Hendrik sie im gleichen Moment näher zog. Sie schaute ihn an und strich automatisch über die feinen Linien, die ihre Krise in sein Gesicht gegraben hatte. Jetzt vertieften sie sich noch, weil er grinste und anschließend mit der Schulter zuckte.

Eine Hand legte sich auf ihren Arm und Gretel schaute verwirrt darauf, ehe ihr Blick zur Besitzerin der Gliedmaße schwirrte, nachdem sie sich am Tisch des Brautpaares neben Florians Stuhl niedergelassen hatte. Ihre Mutter sah sie aus ihren braunen Augen besorgt an und runzelte die Stirn. „Ist alles ok, Gretchen? Du warst so still, als wir hierhergefahren sind."

Sie beeilte sich, eine Zustimmung zu murmeln, obwohl sie sich innerlich krümmte. Zuzugeben, wie zerrissen sie sich heute fühlte, kam nicht in Frage. Also setzte sie schnell wieder ein Lächeln auf. Wahrscheinlich durchschaute ihre Mutter das sofort. Doch einen anderen Weg mit ihren Emotionen umzugehen, wusste sie gerade nicht. Diese bittersüßen Erinnerungen hatten sie vollkommen gefangen genommen. Wie ein Echo hallten sie durch sie und machten es ihr schwer, einfach in der Gegenwart zu bleiben. Zum Glück wurde ihre Mutter abgelenkt, als sich ein Kellner näherte und nach ihrer Getränkebestellung fragte. Sie lauschte, wie ihre Mama ein Wasser und einen Kaffee orderte, und machte es ihr nach, als sie gefragt wurde. Plötzlich brandete Applaus von den Plätzen auf, die schon besetzt waren und sie sah, wie das Brautpaar den Saal betrat. Schön, jung und strahlend.

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Gretel - Das bin ichWhere stories live. Discover now