IV - 10

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„Was tust du denn hier draußen, Baby? Ich dachte, ich geh mit Feli frühstücken, damit du gleich ins Bett kannst, wenn du von der Nachtschicht nach Hause kommst und jetzt sitzt du hier. Hast du schon ausgeschlafen?", fragte sie verwundert und trat zu Hendrik auf die Terrasse, um ihm einen Kuss ins Haar zu hauchen.

„Ich war noch gar nicht im Bett."

Ihr Blick fiel auf die Bierflasche, die er auf der Armlehne des Stuhls abgestellt hatte, und sie runzelte die Stirn. Davon abgesehen, dass es erst elf Uhr vormittags war, trank er selten. Mal zum Grillen, doch er setzte sich nicht auf die Terrasse und genehmigte sich eine Halbe.

Sie ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen, legte aus Gewohnheit ihre Füße auf seinem Schoß und erklärte: „Dann schieß mal los, was dich vom Schlafen abhält."

„Wir sind beim dritten Versuch."

„Ja, ist mir bewusst. Und was willst du mir damit sagen?"

„Da hinten würde sich ein Spielehaus wirklich gut machen. Aber wir sind beim letzten Behandlungszyklus und die Chance, dass ich da einen Spielturm aufbaue, ist gering."

„Ist mir auch bewusst, Hendrik. Kommst du bitte zum Punkt? Wenn du so stammelst, bekomm ich wieder Angst, dass du gehst, weil ich vielleicht..."

„Wir sollten doch über Adoption nachdenken." Sie holte zischend Luft und sah, wie Hendrik sich übers Gesicht fuhr. Das hatte sie jetzt definitiv nicht erwartet. Ihr Mann sah sie entschuldigend an und erklärte: „Ich weiß, du wünschst dir, dass unser Kind in dir heranwächst, aber ... ich würde so gerne sehen, wie du ein Baby auf dem Arm hast, das zu uns gehört. Wenn ich eins gemerkt hab, während du die ganze Prozedur über dich hast ergehen lassen, dann, dass ich Vater werden möchte. Ich ..."

„Schon verstanden. Du zweifelst, ob es noch klappen kann..."

„Nein ... ja. Ich weiß es nicht, Liebling. Ich würde so gerne glauben, dass die Strapazen dazu führen, dass du schwanger wirst. Aber mit der reduzierten Hormondosis..."

„Auf die du bestanden hast...", erinnerte sie ihn und er nickte.

„Auf die ich bestanden habe, weil es dir so beschissen ging, sind die Chancen geringer als zuvor."

„Was ich dir gesagt hatte."

„Das ist richtig. Ich komm auch nur drauf, weil ... ach, vergiss es."

Er wich ihrem Blick aus und knippelte am Etikett seiner Bierflasche herum. Alles an seiner Körperhaltung verriet ihr, dass es ihm wichtig war. Aber offenbar fehlte ihm der Mut, seine Überlegungen auch auszusprechen. Sie unterdrückte ein Seufzen. Sie wollte nicht, dass er unglücklich war. Schon gar nicht, wenn es ihre Schuld war.

„Nein, Hendrik, jetzt will ich es wissen", entschied sie und versuchte Ruhe in ihre Stimme zu legen, obwohl es sie trotzdem verletzte, dass er nicht mehr an ihr Vorhaben glaubte.

Er musterte ihr Gesicht, zuckte mit den Schultern und erzählte: „Eine Informantin von mir ist schwanger. Ich war letzte Nacht bei ihr, um sie zu einem Fall zu befragen, da hab ich zufällig das Ultraschallbild gesehen. Ich hab sie gefragt, was sie vorhat und sie meinte, sie gibt es weg."

„Und jetzt willst du das Kind einer Hure großziehen?"

„Ja, nein, also eigentlich doch. Sie gehört zu denen da draußen, die sauber geblieben sind: Nimmt keine Drogen, verhütet und so. Vor ein paar Wochen ist wohl was schiefgelaufen, äh ... Sie hat mich gefragt, ob ich vielleicht ein bisschen ein Auge drauf haben könnte, wohin ihr Baby kommt. Sie könne es nicht behalten, das wäre in ihrem Job schwierig und sie käme selbst grade so über die Runden. Ich musste ihr sagen, dass ich das nicht kann, weil ich darauf keinen Einfluss nehmen kann. Aber sie tut mir leid, Liebling. Na ja, ich hab gemerkt, dass sie wirklich nur das Beste für ihr Kind will, und dann hab ich ... kannst du dir echt keine Adoption vorstellen?"

„Im Grunde hatten wir das ausgeschlossen."

„Ich weiß. Na ja, das ist nicht so ganz richtig. DU hattest es abgetan, ich hab gesagt, wir sollten uns die Option offenlassen."

„Ich erinnere mich." Sie merkte, wie wichtig es ihm war, sah es im Flehen seines Blickes. Aber so ganz konnte sie sich noch nicht durchringen. Es schmerzte, dass er nicht mehr an sie glaubte. „Was ist, wenn ich doch schwanger werde?"

„Dann hätten wir eben ein Kind mehr, Liebling. Wir wollten ohnehin mehrere, oder?"

„Dir ist schon klar, dass Mehrlingsschwangerschaften nicht ausgeschlossen werden können?"

„Umso besser. Dann haben wir unsere Kinderplanung danach gleich abgeschlossen."

„Du magst die Informantin."

„Ja, ich mag sie. Aber nicht, wie du jetzt denkst. Ich bewundere, dass sie trotz der Härte ihres Gewerbes sauber bleibt und respektiere, dass sie das Beste für ihr Kind im Sinn hat, mehr nicht. Außerdem ist sie wirklich eine gute Quelle."

„Darf ich sie wenigstens kennenlernen, bevor ich zustimme?"

Jetzt zog Erleichterung auf seine Züge und er fragte: „Du stimmst zu?"

„Das kann ich noch nicht abschließend sagen. Ich möchte sie erst kennenlernen. Kannst du das arrangieren?"

„Ja, das könnte ich bestimmt."

„Dann haben wir einen Deal."

Nun strahlte Hendrik sie an und sie musste automatisch lächeln, weil er so glücklich wirkte. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Aber wenn es Hendrik so wichtig war, würde sie dem wenigstens eine Chance geben, sagte sie sich.

„Du wirst es nicht bereuen, Liebling. Ich verspreche es dir. Wir werden eine Familie sein wie jede andere."

„Hm, das hoffe ich. Ist in deinem Bier noch ein Schluck für mich?"

Sie sollte keinen Alkohol trinken. Das wusste auch Hendrik, weswegen er sie musterte und ihr nur zögerlich die Flasche reichte, als sie die Hand danach ausstreckte.

Sie nahm einen kleinen Schluck und erklärte: „Hauptsache wir werden Eltern, oder?"

„Wir werden die besten", entschied Hendrik und sie nickte, obwohl sie das nur hoffen konnte.

Während ihr Mann anfing, sanft ihre nackten Füße zu massieren, lehnte sie sich zurück und dachte an Kinderlachen, das ihren geliebten Garten füllen würde. Vielleicht war es ok. Sie würde den Rückschlag verkraften.

„Hier bist du!" Sie zuckte zusammen und wandte den Kopf in die Richtung, aus der Annas Stimme kam. Schnell nickte sie und versuchte, das Zwicken auszublenden, das ihre Erinnerung heraufbeschworen hatte. Sie unterließ es, zu lächeln. Ihre Schwiegertochter hatte feinere Antennen als Flo und würde ihre Maskerade sofort durchschauen.
Genau das spiegelte sich gerade auch in Annas Augen, als sie sich neben sie stellte und kurz die Lider schloss. „Ist das eine Hitze da drin. Ich musste mich jetzt einfach davonstehlen."
„Ja, es tut gut, wie schön es inzwischen abgekühlt hat. Trotzdem ist es nicht wirklich kalt." Sie beobachtete, wie Anna nickte, nachdem sie die Augenlider wieder geöffnet hatte und ein Seufzen aus ihrem Mund gedrungen war.
„Es ist eine wunderschöne Nacht. Ein wundervoller Tag. Die Erfüllung meiner geheimsten Träume. Das konnte Flo schon immer. Mich bedächtig so lange auf seine Abenteuer mitnehmen, bis ich erkenne, dass es genau das ist, was ich immer wollte. Egal." Unwillkürlich lächelte Gretel. Auch Hendrik hatte das gekonnt. Meistens. „Gibt es eigentlich jemand Neues in deinem Leben?"
Die Frage erwischte sie kalt und Gretel riss die Augen auf. Im Blick ihrer Schwiegertochter war nur Interesse zu lesen. Dennoch klopfte ihr Herz wie wild gegen ihre Rippen. „Wieso?"
„Keine Ahnung. Einfach so. Irgendwie macht mich der Gedanke traurig, dass Flos Papa deine letzte Chance auf Liebesglück sein soll. Du hast beim Abschluss gesagt, dass du dich wieder mit Männern treffen willst. Könnte ja sein, dass da jemand interessant war."
Gretel überlegte, was sie darauf erwidern sollte. Doch sie wurde einer Antwort enthoben, weil sich plötzlich alle Gäste in den Garten drückten. „Oh Shit. Das Feuerwerk. Das war es mit der Ruhe. Auf ins nächste Abenteuer. Oder sowas. Egal."

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Gretel - Das bin ichWhere stories live. Discover now