III - 17

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Applaus brandete auf und Gretel biss sich auf die Unterlippe. Hatte sie sich nicht geschworen, jetzt aufmerksamer zu sein? Aber offenbar wollten alle Emotionen, die ihre große Liebe betrafen, heute nochmal an die Oberfläche gespült werden. Was nicht richtig war, denn es war der Tag des Brautpaares. Mit denen sie nicht mal nur entfernt verwandt war, sondern das zu ihrem engsten Kreis gehörte.Demnach war es einfach unverzeihlich, dass sie sich nicht zusammennehmen konnte. Doch als sie den Blick bemerkte, den ihr Sohn Anna zuwarf, pochte ihr Herz schneller. Sie waren sich genug und sie durfte noch vom Spielfeldrand zusehen. Anders als früher baute sich nicht sofort Schmerz deswegen in ihr auf. Stattdessen musste sie daran denken, wie Hendrik sie an diesem Tag angesehen hatte...

Wohlig seufzend streckte sich Gretel und schmiegte sich zurück in Hendriks Arme, die sie warm und sicher geborgen hielten. Sein amüsierter Blick streichelte sie förmlich und sie zog eine Augenbraue hoch. „Was?"

„Nichts. Ich hatte nur nicht gedacht, dass ich irgendwann wieder in deinem ehemaligen Kinderzimmer liege und du dich in diesem schmalen Bett so wunderschön nackt in meinen Armen räkelst. Da überkommt mich direkt Nostalgie." Obwohl er einen lockeren Ton anschlug, verrieten seine Augen sein Bedauern.

Sie unterdrückte den Impuls, nach der Decke zu greifen, die sie um ihre Hüften gelegt hatten und sich in sie einzuwickeln. Stattdessen stützte sie sich auf ihren Ellbogen auf und schaute ihm ins Gesicht. „Bereust du, dass wir miteinander geschlafen haben?"

„Was? Nein! Liebling, bitte, denk sowas nicht mal." Sein fassungsloses Kopfschütteln unterstrich seine Aussage und plötzlich konnte ihr Atem entweichen, was er mit einem Zischlaut tat. „Bereust du es?"

„Hab ich so gewirkt, als hätte ich irgendwas davon nur widerwillig getan?" Sie freute sich, als wieder ein Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte und grinste, als er nochmals hastig mit dem Kopf schüttelte. Zufrieden kuschelte sie sich zurück auf seine Brust und merkte, wie er anfing, sanft durch ihre Haare zu streicheln.

„Früher hab ich immer eine Leiter an den Balkon beim Flieder gelehnt, damit wir hier so liegen konnten." Wieder hob sie den Kopf und bemerkte, dass er nachdenklich die Unterlippe zwischen seine Zähne gezogen hatte. Seine Gedanken rasen offenbar gerade.

Sie schmiegte die Hand an seine Wange und wartete, bis seine Augen sie fixierten. Dann legte sie einen Finger auf seine Lippe und zog sie zwischen seinen Zähnen hervor, ehe sie sich vorbeugte und einen Kuss darauf hauchte. „Jetzt wirst du die Tür benutzen müssen. Der Balkon ist morsch geworden über die Jahre und darf nicht mehr betreten werden. Aber keine Angst, ich denke, meine Eltern ahnen mittlerweile, dass wir mehr machen, als Händchenhalten, Babe."

„Gemacht haben, Liebling. Bist du denn schon bereit, dass wir ... dass alle erfahren, dass wir ... tun wir?" Ihr Herz verkrampfte sich etwas und sie schob ihren Unterkiefer vor, während sie ernsthaft über die Frage nachdachte. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass sein Adamsapfel wieder auf seinem Hals herumhüpfte und zuckte schließlich mit den Schultern.

Sein Blick wechselte zu Verunsicherung und sie schluckte hart, ehe sie den Kopf wieder auf seine Brust legte. Sie spürte sein Herz heftig unter ihrer Wange pochen und nahm sich trotzdem nochmal einen Moment, um sich zu entscheiden. „Was macht eigentlich mein Garten?"

Sie bemerkte, wie seine Hand sich kurz unterbrach, ehe er weiter durch ihr Haar streichelte. „Hm, also, ja. Ich habe mein Möglichstes getan, um ihn zum Blühen zu bringen. Aber ... äh ... ich befürchte, er liegt brach?"

Sie nickte. Sowas hatte sie sich schon gedacht. Ihr Mann konnte vieles, doch Pflanzen am Leben erhalten konnte er nicht. Sie hob den Kopf erneut und schaute ihm direkt in die Augen, während sie hoffte, dass er die folgenden Worte so verstand, wie sie es sich erhoffte. „Dann werde ich ihn wohl neu anlegen müssen. Damit er spätestens im Herbst wieder voll blühen kann..."

Gretel - Das bin ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt