II - 12

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„Er würde sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn er heute bei dir und Anna wäre", flüsterte Gretel und Florians Lächeln vertiefte sich, ehe er eine Hand von ihrem Rücken nahm, sich durch sein Haar strich und dabei automatisch einen Schritt zurücktrat.
„Ja, ich glaube, er hätte Anna gemocht." Gretel schüttelte hastig mit dem Kopf und sie registrierte, wie ihr Sohn die Stirn runzelte.
„Er hätte sie geliebt." Jetzt strahlten die Augen ihres Sohnes wieder und sie spürte, wie ihr Herz abermals einen Schlag verpasste. Dann wurde sein Gesicht ernst und er umarmte sie nochmal.
„Alles, was ich über die Liebe weiß, hab ich von euch gelernt, Mama. Ich glaube, er wäre schon allein deswegen glücklich, weil er dich hätte."
Sofort sammelten sich wieder Tränen in ihren Augen und sie gab sich Mühe, sie zurückzudrängen. Stattdessen grinste sie ihren Sohn an und erklärte: „Du hast zumindest seine Art gelernt, mit Worten umzugehen und Süßholz zu raspeln. Jetzt sollten wir zurückgehen. Anna vermisst ihren Mann bestimmt schon."
„Einverstanden. Du reservierst mir aber nachher einen Tanz, oder?" Gretel stimmte augenblicklich zu. Gerührt verschlang sie ihre Finger mit seinen, als er ihr seine Hand bot. Während sie zurück in den Saal gingen, erinnerte sie sich daran, dass dann die Sonne wieder aufgegangen war.

„Boah, Ma! Das ist soooo unrealistisch!" Schnell verkniff sie sich ein Kichern, während ihr Sohn auf den Fernseher deutete und sich darüber beschwerte, dass Matthew seine Mary jetzt doch bekam. Sie wusste, dass er es sich nur wegen ihr antat, mit ihr „Downtown Abbey" anzusehen. Und seine Reaktionen glichen jedes Mal genau dieser, die sich gerade auf seinem Gesicht spiegelte.

Als Flo bemerkte, dass sie schon wieder ein Lachen unterdrückte, griff er in die Popcorn-Schüssel und warf ein paar der aufgeploppten Maiskörner nach ihr. Was sie erst recht lachen ließ. Wie sie die Abende mit ihm genoss, wenn sie neben ihm saß und sich diese Serien anschauten. Oder einen Film.

Sie wusste, dass er gleich darauf bestehen würde, nach dieser Folge einen Horrorstreifen zu gucken, und freute sich jetzt schon. „Du kannst mir doch nicht sagen, dass Liebe so funktioniert."

Nun wurde sie doch ernst und schaute ihren Sohn an, der plötzlich etwas beschämt wirkte. War er etwa verliebt? Er war jetzt immerhin fast 17 und bis jetzt hatte er noch kein Mädchen mitgebracht. Allerdings hatte er erst vor kurzem wieder damit begonnen, mehr mit seinem Freundeskreis abzuhängen. Nachdem er sich davon erholt hatte, eine Klasse wiederholen zu müssen, weil seine Aufholjagd seine Noten zu verbessern, nicht von Erfolg gekrönt gewesen war.

Das war nochmal kritisch gewesen, erinnerte sie sich und gebot sich, die richtigen Worte für ihren Sohn zu finden, der sie weiterhin peinlich berührt und doch abwartend anschaute. „Für manche funktioniert die Liebe wahrscheinlich so. Aber ja, es ist natürlich eine Serie, wo es auch künstlerische Freiheit gibt."

„Hat sie für Papa und dich so funktioniert?" Sie schluckte hart, als wie immer ein Stich durch sie fuhr. Noch immer schmerzte der Gedanke daran, was sie verloren hatte. WEN sie verloren hatte. Offenbar merkte Florian das, denn er griff nach ihrer Hand und drückte ihre Finger.

„Ich weiß nicht. Es war ... manchmal furchtbar kompliziert. Ich glaube, die Tatsache, dass wir so jung waren, als wir ein Paar wurden, hat manches schwieriger gemacht. Wir sind sozusagen zusammen erwachsen geworden. Es hat etwas gedauert, bis wir durch all die Veränderungen wieder auf einer Welle geschwommen sind." Sie beobachtete, wie Florian nickte, während sie mit den Schultern zuckte.

„Aber diese Probleme, die wir zwischendurch hatten, sie haben uns noch enger zusammengeschweißt, weißt du? Die Liebe will gepflegt werden wie jede andere Beziehung auch. Doch wenn sich zwei Menschen lieben, können sie alles überstehen. Das macht sie magisch. Und deswegen ist alles möglich und nichts unrealistisch." Da Flo jetzt zweifelnd die Augenbrauen und einen Mundwinkel anhob, kehrte ihr Grinsen zurück. „Das ist nur meine Meinung. Die musst du nicht teilen."

Jetzt stimmte Florian mit einem kurzangebundenen Nicken zu und wirkte etwas abwesend. Sie zog seine Aufmerksamkeit zurück auf sich, indem nun sie seine Finger drückte. Als er sie wieder anschaute, fragte sie: „Gibt es denn einen Jemand oder wieso fragst du?"

Sie zwang sich, zu ignorieren, dass sich verräterische Röte auf seinen Wangen sammelte und sein Adamsapfel plötzlich hektisch auf und ab sprang. Obwohl Freude sie sofort flutete, hallte der Wunsch durch sie, dass Florian sich mit seinem Vater darüber austauschen könnte. Sie hatte nur eine weibliche Sicht der Dinge und die kam ihr so ungenügend vor. „Ja, weiß nicht. Möglich. Mal schauen. Sie ist schon hübsch. Geht in meine neue Klasse. Kann sein, dass sie was von mir will."

„Hm, ich verstehe." Jetzt erlaubte sie sich doch, zu lächeln. Denn trotz seiner nüchternen Äußerungen leuchteten nun seine Augen. „Dann wünsche ich dir Glück, Raupe. Die Liebe ist etwas Wunderbares, auch, wenn sie manchmal schmerzt."

Hastig biss sie sich auf die Unterlippe, weil ihre Stimme gefährlich gekippt war, und wich Florians Blick aus. Sie wollte die Stimmung nicht versauen, indem sie jetzt Trübsal blies. Doch Flo legte einfach nur den Arm um sie und lehnte seinen Kopf an ihren, während sie wieder auf den Fernseher sah. Sie war ihm dankbar dafür, dass er ihren schwachen Moment gerade nicht thematisierte. In stiller Einträchtigkeit schauten sie sich den Rest der Folge an, bis der Abspann über den Bildschirm flackerte. „Ich hab dich lieb, Ma."

„Ich dich auch." Sie spürte, wie er schlicht abermals nickte, sich dann aber losmachte und nach der Fernbedienung angelte. Mit einem diabolischen Grinsen schaute ihr Sohn sie an und sofort machte ihr Herz wieder einen Satz in ihrer Brust.

„Ok, dann bin ich jetzt dran. Ich hab mir was besonders Heftiges ausgesucht. Er ist etwas älter. Ich glaube aber nicht, dass du ihn schon kennst. Er ist der Beginn einer Reihe und die werden wir uns von nun an jeden Film-Freitag einen Teil davon geben: Wir gucken heute ‚Freitag, der 13.'." Gretel unterließ es, zu grinsen. Seine kindliche Vorfreude, seine Mutter zu schockieren, war einfach nur süß im Hinblick darauf, dass sie die gesamte Reihe schon mal gesehen hatte – mit seinem Vater.

Sie brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass diese Reise in die Vergangenheit kaum schockierend werden würde. „Oh, das klingt echt nach einem Horror-Schocker. Hoffentlich bekomm ich keinen Herzschlag." Jetzt vertiefte sich sein Lächeln noch. „Aber ich würde vorschlagen, wir machen uns nochmal Popcorn. Ich meine, irgendwo muss ich mich festhalten, wenn ich mich zu sehr grusle. Und die Schüssel ist schon mal ein Anfang."

Florians Augen leuchteten begeistert auf und er stimmte fröhlich zu, während sie sich vom Sofa schob und in der Küche verschwand. Als ihr Blick auf das Bild von Hendrik am Kühlschrank fiel, lächelte sie traurig, aber auch ein bisschen euphorisch. Er war hier. Heute würde sie zumindest wieder in Erinnerungen schwelgen, während Jasons Mutter dessen angeblichen Tod sühnte.

Ein Kopfschütteln entwischte ihr, als sie darüber nachdachte, dass sie den Hauptteil des Filmes damals nicht mitbekommen hatte. Mit Hendrik an ihrer Seite war er einfach irgendwann zur Nebensache geworden, da es viel interessanter gewesen war, mit ihm zu knutschen. Kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gesponnen, grinste sie wieder. Sie schob eine neue Tüte salziges Popcorn in die Mikrowelle und schloss seufzend die Augen, während sie meinte zu spüren, wie sich Hendriks Lippen auf ihre legten.

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Gretel - Das bin ichWhere stories live. Discover now