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Genervt schob sie sich vom Sofa. Es klingelte Sturm und sie hatte überhaupt keine Ahnung, wer sie denn so dringend sehen wollte. Nick hatte sie für den heutigen Abend abgesagt. Emmy war unterwegs mit ihrem Freund. Flo mit Anna in Stuttgart. Alle anderen waren auf einer der großen Silvesterpartys, auf die sie auch mit Niklas gehen sollte. Nur war ihr nicht danach, sich mit der Tanzclique unter Fremde zu mischen und dort das neue Jahr zu begrüßen.

Sie konnte sich also partout nicht vorstellen, wer sie jetzt so dringend sehen wollte. Während sie in den Flur schlurfte, spürte sie, wie sich der Kloß in ihrem Hals erneut verdickte und verbot sich abermals, in Tränen auszubrechen. Sie würde diesen Abend durchstehen. Allein. Ohne jemanden ihre Laune aufzubürden. Mit einem Ruck riss sie die Tür auf und zuckte reflexartig zurück, als auch die Person vor dem Haus einen Satz machte. „Nick?"

„Hi." Er schien sich schnell wieder zu fassen, während Gretel siedendheiß einfiel, dass sie alles andere als vorzeigbar war. Hastig hob sie ihren Blick zurück zu seinem Gesicht, schlang ihre Arme um sich, da sie plötzlich fröstelte und schluckte, weil sein Silberblick so besorgt wirkte. „Du hast abgesagt. Ich wollte sehen, wie es dir geht. Ob du krank bist."

Der Kloß in ihrem Hals schwoll nochmal um ein Vielfaches an, ehe sie mit dem Kopf schüttelte. Sie bemerkte, wie sich seine Besorgnis in Irritation wandelte, die sich in seiner gerunzelten Stirn manifestierte. „Nein. Ich ... mir ist nur nicht ... nach Menschen."

„Oh – ok? Warum?" Sie wollte ihn einfach wegschicken. Der Knoten in ihrem Hals würde ihr wohl die Luft abdrücken, wollte sie nicht vor ihm in Tränen ausbrechen. Stattdessen wich sie seinem Blick aus und zuckte mit den Schultern. „Oh verstehe. Du badest in Selbstmitleid."

Jetzt zischten ihre Augen zurück zu seinem Gesicht und sie bemerkte, wie sich seine Stirn geglättet und er den Kopf schiefgelegt hatte. Reflexartig schob sich ihr Kinn vor. „Ich bade nicht in Selbstmitleid!"

Nachdem er seine Brauen nur abschätzig hob, schluckte sie. „Vielleicht ein bisschen."

„Hm. Und wie?"

Sie brauchte einen Moment, bis sie verstand, was er meinte. Dann seufzte sie und wich seinem Blick aus. Plötzlich schämte sie sich dafür, dass sie heute nicht mehr Elan aufbringen konnte. „Mit einer Schnulze und Wein. Viel Wein."

„Klingt super." Bevor sie dazu Stellung beziehen konnte, trat er einen Schritt vor. Sie wich automatisch zurück. Nick nutzte die Gelegenheit, um sich an ihr vorbei ins Hausinnere zu schieben. Irritiert verfolgte ihr Kopf seine Bewegung und sie merkte, wie ein warmer Schauer durch sie rieselte, den sie nicht verstand.

„Äh ... aber ... ich hab nur einen Pyjama an!" Sie bemerkte, wie seine Augen nun an ihrer Gestalt hinunterwanderte, ehe er ihr wieder ins Gesicht sah.

„Ja, seh ich. Und?" Reflexartig runzelte sie die Stirn und fragte sich, was sie jetzt erwidern sollte. Doch offenbar schien eine Antwort gar nicht nötig zu sein. Denn Nick hatte schon die Schuhe von den Füßen gestreift und machte Anstalten, sich aus seiner Jacke zu schälen. „Schön hast du es hier."

„Hm." Er unterbrach sich, seinen Parka auszuziehen und lächelte leicht, als sein Blick an dem großen Porträt hängenblieb, das sie heute nicht anschauen wollte, um sich nicht endgültig ihren Emotionen ergeben zu müssen.

Obwohl sie die Augen zu Boden gesenkt hatte, meinte sie zu spüren, wie seine zu ihr wanderten und er sie stumm musterte. Zumindest prickelte sein Blick auf ihren eingesackten Schultern. Plötzlich ließ das Gefühl nach und sie hörte, dass er offenbar dazu übergegangen war, seine Jacke weiter abzustreifen. Eine Bewegung im Augenwinkel bewies, dass er sie an die Garderobe hängte und Gretel traute sich wieder, ihn anzusehen. „Wollen wir dann?"

Gretel - Das bin ichWhere stories live. Discover now