Tag 10

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Schwarzmessers Aufgabe wartete bis zum nächsten Tag. Die Geländewagen wurden mit Waffen und Männern beladen und die Jungen kletterten wieder in den Anhänger.

Robin war einer der letzten und wurde noch von Feuerfänger aufgehalten. Dieser hielt ihm einen Sack und eine Pistole hin.

»Feuer oder Gold?« fragte er. Robin zögerte, dann nahm er die Pistole. Feuerfänger riss sie ihm wieder aus der Hand und nickte nur. »Mach sie fertig.« er grinste und sprang auf einen der Wagen.

Irritiert kletterte Robin in den Hänger und einen Augenblick später hobbelten sie über die karge Graslandschaft.

~~~

In der Ferne stieg Rauch auf und unter ihnen lag ein weiteres Zeltlager. Sie lagen auf einen Hügel auf der Lauer und beobachteten das friedliche Treiben im Tal. Männer saßen vor Zelten und spielten Karten, unterhielten sich oder aßen etwas.

Nicht weit von dem Lager entfernt buddelten ein paar im staubigen Boden und legten akribisch Teile eines großen Gegenstandes frei.

Archäologen, schloss Robin und sah auf einen der Fahrzeuge. Es waren modernere Gefährte als die der Rebellen und sie besaßen allerlei Technischen Schnickschnack.

Hier würden Schwarzmessers Goldkinder einiges für ihre Säcke finden.

Robin hatte ein mulmiges Gefühl dabei gleich unschuldige Menschen über den Haufen schießen zu müssen.

Feuerfänger und Schwarzmesser standen noch bei den Autos und besprachen etwas.

»Glaubt ihr, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um zu fliehen?« fragte ein Junge, der nicht viel länger, als Robin dabei sein konnte.

»Nein.« antworteten rotes Blut und schwarzer Fluss gleichzeitig. Sie warfen dem Jungen einen missbilligten Blick zu. »Halt lieber die Klappe, ehe wir dich verpfeifen.« meinte rote Schlange und seine Waffe machte gefährlich Klick.

Der Junge schluckte unsicher und war still. Die Männer kamen und gaben ihre Befehle weiter.

Schreien und Schießen waren die Worte, auf die sie sich konzentrieren sollten.

Geschlossen machten die Gewehre Klick und die Ersten stürmten schreiend den Abhang hinunter. Staub wirbelte auf und die ersten Schüsse fielen.

Robin stand immer noch wie erstarrte oben auf dem Hügel und eine Mischung aus Angst und Panik stieg in ihm auf. Man hörte die Schreie der Männer, die rannten und starben.

Einer schaffte es den Hügel hinauf und stürzte wenige Meter vor ihm zu Boden. Aus seinem Bein schoss Blut und er schrie. Dabei versuchte er auf allen Vieren den Hang hinaufzukriechen und streckte den Arm nach Robin aus.

Dieser wich angewidert und entsetzt zurück.

Feuerfänger trat an seine Seite.
»Schieß.« befahl er und drückte Robin seine Waffe an den Kopf. Blind drückte Robin ab und verfehlte sein vor ihm liegendes Ziel. »Idiot!« schimpfte Feuerfänger und erschoss den Mann selbst, ohne mit der Wimper zu zucken.

Robin zitterte am ganzen Körper und starrte entgeistert auf die blutende Leiche vor ihm.

»Beim nächsten Mal triffst du.« meinte Feuerfänger und ging zurück zu Schwarzmesser.

Die Feuerkinder kamen zurück. Im Lager war es nun totenstill. Die Goldkinder rannten hinunter und plünderten die Zelte, Leichen und Autos.

In den Augen von Robins Freunden sah er einen seltsamen abwesenden Schein.

Toter Drache hatte fremdes Blut an Armen und Beinen und starrte fast schon hypnotisiert auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Rotes Blut stand wie erstarrt da und wandte den Blick zum Himmel. Robin wusste nicht genau, was er tat, aber für ihn sah es so aus, als würde er beten.

~~~

Die Dunkelheit brach über das Lager herein und Robin entfernte sich ein wenig von den anderen Jungen. Auf der Rückseite des Planenzeltes setzte er sich auf den Boden und schaute in den Sternenhimmel.

Waren Sterne wirklich tote Seelen? Und schauten seine Eltern gerade auf ihn heran und wünschten sie ihm alles Gute? Er wusste es nicht und er wusste auch nicht, ob er dran glauben sollte.

Zum einen war es ein kraftgebender Gedanke, zum anderen wäre das nur das Aufgeben der Hoffnung, dass seine Eltern vielleicht noch leben konnten.
Aber er hatte an jenem Abend mindestens fünf Schüsse gehört. Es war quasi unmöglich zu glauben, sie würden noch leben.

Die Sterne sind jetzt alles, was ich noch habe. dachte er und fixierte einen unscheinbaren Stern im Westen.

Er hatte ein eigenartiges Gefühl dabei, als er diesen Stern betrachtete. Ein Gefühl, als wäre da etwas. Etwas Unerklärliches.

Könnt ihr es sein? fragte er und stellte sich seine Eltern vor. Wenn sie lächelten. Zum Beispiel, als er eingeschult wurde. Sie waren damals so unendlich stolz auf ihn gewesen. Waren sie es jetzt auch?
Stolz darauf, dass er nicht aufgab und versuchte er selbst zu bleiben. Sich nicht in diese Gleichgültigkeit dieses grausamen Alltags abzusinken?

Er hoffte es und schickte ein Stoßgebet an den Himmel, dass er ihm wenigstens ein bisschen Glück und Hoffnung schicke, eines Tages, aus dieser Hölle zu entkommen.

Die Jungen unter der Plane redeten leise mit einander. Am Fluss standen ein paar Männer und stritten offenbar mit einander. Robin setzte sich zu toter Drache und beobachtete die Szene.

Unter den Männern war ein Mann namens Löwenbeißer, der dafür berüchtigt war, sich mit jedem und wegen allem anzulegen. Er war schon mindestens dreißig Jahre lang Soldat unter Schwarzmessers Befehl und wurde von den Jungen mehr gefürchtet, als Feuerfänger.

»Löwenbeißer macht mal wieder Ärger.« sagte rotes Blut und schüttelte den Kopf »Er kann es einfach nicht lassen. Immer muss er sich in alles einmischen und macht uns das Leben nicht gerade leichter.« Toter Drache stimmte ihm zu.

Robin starrte geistesabwesend zu den Männern, die sich mittlerweile an die Gurgel gingen.

Frieden kam von einem der Waffenzelte hinzu und brüllte herum. Die meisten Männer zogen die Köpfe ein und manche verdünnisierten sich. Nur Löwenbeißer bot ihm die Stirn und pöbelte den Zweimetermann provozierend an.

Frieden konnte das, als erster Offizier natürlich nicht durchgehen lassen und haute Löwenbeißer so heftig eine rein, dass dieser bewusstlos zu Boden ging.

Die Jungen zogen hörbar die Luft ein. Löwenbeißer kam wenige Sekunden später wieder zu sich und Frieden sagte noch etwas zu ihm, dann verschwand er. Der streitlustige Mann wischte sich das Blut aus dem Gesicht und verschwand ebenfalls.

Robin beobachtete angespannt die Szene. Wenn sich die Jungen stritten, mussten sie ihre Streitigkeiten selber regeln oder wurden dazu gezwungen, sich zu duellieren. Den Erwachsenen versuchte man offenbar ein besseres Verhalten beizubringen, aber wie sollte das gehen, wenn die meisten Männer, als Jungen zu Schwarzmesser kamen und kein anderes Verhalten kannten.

Robin sah durchaus ein paar Denkfehler in diesem Konzept und beschloss sich nicht sich mit anderen zu streiten.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now