Tag 259

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Robins Kehle fühlte sich trocken an.
Ein pochender Schmerz erfüllte seinen Hals und ein seltsames Brummen erfüllte seinen Kopf.
Um ihn herum war die Welt verschwommen, doch die Farben. Grün, schwarz und braun waren klar zu sehen.
Er versuchte sich daran zu erinnern, was passiert war, aber sein Gedächtnis war lückenhaft.
Er spürte nur den Schmerz an seinem Hals. Er tastete vorsichtig danach und stieß auf etwas weiches, was eindeutig nicht Haut war.
Da mischten sich Stimmen zu dem Pochen und allmählich wurde das Bild klar.
Er befand sich in einem Zelt, wie er es von Schwarzmessers Lager kannte. Er lag auf einem Klappbett und um ihn herum standen drei Männer.
Einer davon war Venn und ein anderer Wolf.
Sie schauten mit ernsten Mienen auf ihn hinab.

»So. Und jetzt die Wahrheit.« sagte Venn. Die Wahrheit? Robin kannte keine Wahrheit.
In seinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Er konnte kaum klar genug denken, um zu verstehen, was die Männer sagten.
»Was ist passiert?« wollte Venn wissen. Robin konnte nur schwach mit den Schultern zucken.
»Ich fürchte er erinnert sich nicht.« sagte der dritte Mann »Außerdem ist es nutzlos ihn zu befragen. Er ist doch stumm.«
Venn ballte wütend die Fäuste.
»Deine Freunde sind abgehauen. Bürschchen. Nachdem drei starben. Dieser Akono, Ben und Ralf, der die Sprache der Waldmenschen sprach. Jetzt will ich von dir wissen, wie kam es dazu?«
Langsam kehrte die Erinnerung zurück.
Akono mit der Waffe. Erschoss den Mann, sprach mit ihm, erschoss sich selbst. Eine kalte Klinge an seinem Hals und ein weiterer Schuss.
Wie sollte er darstellen?
Wie in Zeitlupe setzte er sich auf und sah sich im Raum um. Es gab einen Klapptisch, auf dem ein paar Papiere lagen.
Er ging vorsichtig hinüber und malte vier Strichmännchen und ein Gewehr darauf.
Die Männer versammelten sich um ihn. Er deutete auf das Strichmännchen ganz rechts und dann auf sich.
»Das bist du, verstehe.« sagte Venn. Das Männchen daneben war Akono, das dahinter der Mann und das letzte Bijan. Die Männer verstanden. Zuerst schoss Robin auf den Baum, dann legte Akono an und erschoss den Mann, schließlich zielte er auf Robin, dann erschoss er sich selbst.
Wut und Trauer.
Das waren die Begriffe, die es zu vermitteln galt.
Robin malte ein sehr schlechtes wütendes Gesicht und ein Strichmännchen, das ein Kind sein sollte.

»Er ist sauer gewesen, weil wir sein Kind umgebracht haben?« fragte Wolf. Robin nickte.
»So eine Scheiße.« murmelte Venn »Und nun läuft sein Bruder mit meinen vermutlich besten Schützen durch die Pampa. Das kann einfach nicht wahr sein.«
»Aber den besten hast du noch.« meinte der Dritte. Venn knurrte nur irgendetwas.
»Robin hat viel Blut verloren. Ein Wunder, dass er noch stehen kann.«
Ein Wunder, dass ich nicht tot bin.
»Er sollte sich ausruhen, wenn du ihn lebend willst.« sagte der Mann. Venn nickte.
Alle, bis auf Robin, verließen das Zelt. Erleichtert ließ er sich wieder auf das Bett fallen.
Allein der Gedanke, dass die anderen entkommen waren, bereitete ihm Unbehagen.
Liebend gern wäre er mitgekommen. Hier gab es nichts für ihn.
Da draußen gab es zumindest eine kleine Chance diesem Albtraum zu entfliehen.
Denn das Leben bei Venn war ein Albtraum. Er spielte ein Spiel mit ihnen und war zudem unberechenbar. Ein Verrückter mit Führungsmacht war in Robins Augen sehr gefährlich.
Er wünschte sich Akono hätte das gewusst, dann würde der Junge noch leben.

Seine Trauer dauerte nicht lange. Schon bald war er eingeschlafen und vergaß für ein paar Stunden die schrecklichen Umstände in denen er sich befand.
Um die Mittagszeit brachte Wolf ihm etwas zu essen.
»Deine Freunde sind tot.« flüsterte er Robin zu. Er riss die Augen auf.
»Wenn Venn sie schnappt, sind sie tot aber da draußen gibt es auch kein Überleben. Sie sind nach Süden gelaufen. Da gibt es nur eine gigantische Wüste aus Stein. Kein Wasser, der Fluss fließt später nach Osten und vor allem nichts zu essen. Ein, zwei Tage, dann sterben sie, wie die Fliegen und ihre Leichen fressen die Tiere.« erklärte der Junge.
Robin glaubte nicht daran. Die Jungen waren schlau und standhaft. Sie würden einen Weg finden. Vielleicht folgten sie sogar dem Fluss und fanden eine Siedlung oder gar eine Stadt. Er glaubte nicht an ihren Tod.

Möglicherweise erzählte Wolf ihm das aber auch nur, um ihn zu brechen. Ihn in Trauer zu versetzen und leichter kontrollierbar zu machen.
Venn war zwar verrückt, aber nicht blöd.
Verzweifelt lag Robin auf dem Bett bis der Mann kam und seinen Verband am Hals untersuchte.
»Du hast unverschämtes Glück gehabt. Nur wenige Millimeter mehr und du wärst jetzt tot, ganz zu schweigen von dem hohen Blutverlust. Wie fühlst du dich.«
Robin zeigte so mittel.
»Einen Tag hast du noch, dann geht es weiter. Venn hat nicht vor aufzugeben. Kindersoldaten sind äußerst nützlich. Du besonders. Er hofft, dass du ihm treu bleibst. Dich zu töten würde ihm sehr schwer fallen, hat er mir gesagt.«
Robin verdrehte die Augen. Der Mann konnte gar nicht wissen, wie oft er ähnliche Sätze gehört hatte und er hasste sie. Trotzdem würde er solange seine Situation, in Sicherheit zu sein, ausnutzen, bis sich eine bessere Möglichkeit bot.
Als die Dunkelheit hereinbrach und das Zelt von einer kleinen Lampe erhellt wurde, fühlte sich Robin auf einmal sehr belebt. Er nahm die Geräusche um das Zelt ganz genau war und spürte jede Faser seines Körpers bei der winzigsten Bewegung zucken.
Sein ganzer Körper schien zu kribbeln, als würde er auf etwas warten. Mit Anspannung und Erwartung. Robin hatte keine Ahnung was das sein sollte. Hier im Lager gab es rein gar nichts, worauf er sich freuen konnte.
Aber hatte dieses Gefühl überhaupt etwas mit Freude zu tun?
Allmählich wurde ihm unbehaglich zur Mute, als draußen vor dem Zelt Tumult ausbrach.

»Wo willst denn hin, Wolf?« fragte eine unbekannte Männerstimme. »Nochmal. Nach dem Jungen sehen. Ob es ihm gut geht?« Wolf klang nervös und ertappt.
»Pff. Ich glaub dir kein Wort. Du steckst bestimmt mit diesen Mördern unter einer Decke.«
»Was? Warum sollte ich?«
»Weil du es leid bist, das Schoßhündchen von Venn zu spielen und denkst diese Typen könnten dir helfen dein Leben sinnvoller zu gestalten.« sagte eine andere Stimme.
»Das ist überhaupt nicht wahr! Ich will nur kurz sehen, wie es ihm geht.« Wolf klang verzweifelt.
»Na los. Geh schon. Erzähl deinem kleinen Freund von deinen Spionageaktionen.« höhnte jemand.
Mit wütender Miene stürmte Wolf das Zelt und sah Robin auf dem Bett sitzen.
»Ich nehme an du hast alles gehört.« sagte er. Robin nickte.
»Ich kann es nicht fassen, dass sie an mir zweifeln. Nichts gegen dich, aber ich war immer treu und Venn immer gut zu mir. Warum also sollte ich das alles hinwerfen für-Entschuldigung-ein paar Jungs mit Killerpotenzial?«
Der Junge setzte sich auf den Boden und wedelte ratlos mit den Armen.
Robin musterte ihn.
Er war ein eigenartiger Junge. Ein Mensch mit mehr Fassetten, als Robin es je für möglich gehalten hatte.
Unterwürfig, loyal, aber zugleich irgendwie stark und geschickt, intelligent sogar und clever. Ein Überlebenskünstler in einer Welt des Todes.
Robin fragte sich, was Wolf davon hätte sich den Jungen anzuschließen und abzuhauen. Er kannte das Gelände und wusste sicherlich auch, wo eine Siedlung sich befand.
Völlig aufgeschmissen wäre er da draußen nicht. Er konnte schießen und Feuer machen. Essen fand er bestimmt auch.
Aber die eigentliche Frage war, warum blieb er hier? Was ließ ihn an diesem Leben festhalten, wo es doch nichts für ihn bereit hielt?

Jeder lebt das Leben, was ihm gegeben wurde und nur wenige kommen auf die Idee, es selbst in die Hand zu nehmen.

Der weiße TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt