Tag 211

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»Los rote Nacht! Du schaffst das! Gib alles!« feuerte kaltes Herz den schmächtigen Jungen lauthals an.
Vor ihnen wälzte er sich mit gebrochener Stein im Sand.
Die beiden hatten einander fest umschlungen und versuchten sich gegenseitig auf den Boden zu heften.
In den letzten Wochen war rote Nacht kräftiger geworden und besser. Sie hatten jeden Tag mit ihm trainiert und die viele Bewegung und die frische Luft hatten ihm gut getan. Er war nicht mehr so ängstlich, wie am Anfang und wirkte lebendig.
Robin musste immer wieder an ihr Gespräch über die Wiedergeburt nach denken.
Mittlerweile hatte er begriffen, dass rote Nacht ihn nicht leiden konnte.
Nur ungern nahm er Hilfestellungen und Tipps von ihm an und blieb oft stur.
Befehle erteilte Robin ihm deshalb nicht. Er wollte ihn nicht noch mehr vergraulen. Dafür hatte rote Nacht sich mit blauer Himmel arrangiert, sehr zum Missfallen aller Beteiligten.
Blauer Himmel genoss geradezu den Hass in seinem Nacken und ging in letzter Zeit noch aufrechter, als sonst. Auch kommandierte er gerne den Jungen herum und gab meist überflüssige Tipps oder redete über Dinge, die rote Nacht gar nicht verstehen konnte.
Robin hörte manchmal mit halbem Ohr zu und konnte darüber nur die Augen verdrehen.
Gerade aber lag der Fokus auf dem Kampf und nicht auf blauer Himmel der schon wieder unnötige Kommentare von sich ab.
Senfautomat, dachte Robin und beobachtete, wie rote Nacht es schaffte seinen Gegner für mindestens drei Sekunden an den Boden zu heften.
Dann aber befreite sich gebrochener Stein mit einer seltsamen Verrenkung und stieß den Jungen von sich. Rote Nacht wurde fast zwei Meter weit zurück geschleudert und blieb für einen Moment keuchend liegen. Direkt vor Robins Füßen.
Aufmunternd stupste er ihn an. Rote Nacht sah fast verlegen zu ihm auf und geradeso dem wütenden gebrochener Stein entkommen, der sich im nächsten Moment auf ihn stürzte. Die Schreie wurden lauter und Robin entfernte sich ein paar Schritte.

»Er macht sich gut, der Junge.« sagte plötzlich Schwarzmesser zu ihm. Überrascht blieb Robin stehen. »Er hat viele von deinen Tricks drauf, hab ich gesehen. Du bist ein guter Trainer.«
Robin zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatten die anderen sich seine Tricks abgeschaut und sie rote Nacht beigebracht.
Er beteiligte sich nicht beim Kampftraining und kümmerte sich mehr ums Schießen und durchs Minenfeld laufen. Da konnte man nicht so viel falsch machen und ohne Worte war es ohnehin schwierig.
»Hab ich dir schon gesagt, dass ich stolz auf dich bin?« fragte Schwarzmesser. Robin sah ihn verwirrt an. »Ja wirklich. Das bin ich. Ich stolz darauf, wie du dich entwickelt hast in der ganzen Zeit. Und jetzt, als wahrer Feuerjunge und Champion solltest du auch stolz auf dich sein. Nicht alle schaffen es in so kurzer Zeit, so weit nach oben. Da gehört schon eine ordentliche Portion Mut und natürlich Talent dazu und dass du Talent hast, das wusste ich schon am ersten Tag.«
Robin senkte den Blick. Für ihn war der erste Tag nicht mehr viel, als ein paar grauenhafte Bilder und schreckliche Gefühle in seinem Körper. Die Vergangenheit war nur noch ein Schatten und so ungreifbar, dass Robin nicht daran denken wollte.
»Es gibt keinen Grund sich für irgendetwas zu schämen.« interpretierte Schwarzmesser seine Miene falsch »Du warst schon immer stark, indem du dich nie hast von uns beeinflussen lassen und immer versucht hast dir selbst treu zu bleiben. Du musst wissen, dass ich das sehr bewundere, auch wenn du es uns nicht immer leicht gemacht hast. Jetzt kann ich zumindest zufrieden sein und, wie gesagt, stolz.«
Robin sah ihn an. In seinem Blick so etwas wie Trauer und Freude. Schwarzmesser verzog das Gesicht bis es einen mitleidigen Ausdruck hatte.
»Am besten du gehst zurück zu den anderen. Ich habe schon wieder zu viel gesagt.« murmelte Schwarzmesser plötzlich leicht beschämt.
Ohne eine weitere Geste drehte Robin sich um und ging zurück.
Gebrochener Stein hatte schlussendlich gewonnen, aber das spielte keine Rolle. Es ging nur um die Fortschritte und Erfahrungen, die rote Nacht machte.

»Ich hätte ihn geschlagen, wäre ich nicht auf einmal weggerutscht und wäre umgeknickt.« erzählte rote Nacht später und die Jungen lachten.
»Das glaubst aber auch nur du.« höhnte gebrochener Stein. Rote Nacht sah mit vermutlich roten Ohren zu Boden.
Die anderen störte es nicht gerade. Sie waren ausgelassen und fröhlich, wie schon lange nicht mehr.
Robin saß unter ihnen, aber er konnte keine Freude empfinden. Nicht nach dem, was Schwarzmesser gesagt hatte.
Es rief in ihm all diese negativen Emotionen aus, die er seit dem Tod seiner Eltern gefühlt hatte und in letzter Zeit versuchte zu vertreiben.
Ohne Erfolg, dank Schwarzmesser.
Auf einmal verspürte er eine ungeheure Wut auf diesen Mann und die kleinen Sandsteine, die er in der Hand gehalten hatte, zerbröselten.
Er wollte nicht wütend oder unvernünftig sein, aber etwas in seinem Inneren zwang ihn dazu.
Er stand auf und durchquerte das Lager.
Schwarzmesser saß auf einem Campingstuhl im Schatten unter einem Vorzelt und döste vor sich hin. Robin stellte sich vor ihn und mit einem Mal fand er seine Idee völlig verrückt. Er wollte wieder gehen, als Schwarzmesser die Augen öffnete.
»Weißer Tiger? Was gibt es?« fragte er überrascht. Robin sah sich suchend und ein wenig verzweifelt um. Jetzt kam ihm die Idee noch blöder vor. Schwarzmesser stand auf und überragte den Jungen wieder um gut zwei Köpfe.
Robin sah zu Boden. Jetzt schämte er sich für seine Dummheit.
Schwarzmesser betrachtete ihn seelenruhig.
»Dich bedrückt etwas.« stellte er schließlich fest. Robin nickte und wusste nicht einmal warum.
»Ich wünschte du könntest es mir sagen, dann könnte ich dir vielleicht helfen, aber manche von uns sind dazu verdammt ihre Kämpfe alleine auszufechten.« sagte er und legte Robin eine Hand auf die Schulter.
»Was immer es ist. Du wirst damit fertig werden, das weiß ich.«
Robin blickte auf.
Werde ich auch mit dir fertig?
Vielleicht verriet sein Blick ihn oder Schwarzmesser ahnte es auf andere Weise, aber er sah ihn bedauernd an und Robin konnte nicht anders, als wegzurennen.
Mitleid war das, was er auf der Welt am meisten hasste.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now