Tag 223

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Es ist schon gefühlt solange her, dass Robins Tag mit einem atemberaubenden Sonnenaufgang beginnt.
Jeder Tag seit diesem einen Tag beginnt mit einem Sonnenaufgang und das ist das Einzige, woran Robin nicht müde wird.
Er könnte tausend Jahre lang jeden Morgen den Sonnenaufgang betrachten.
Leider lenken ihn immer wieder bestimmte Dinge von diesem zauberhaften Anblick ab.
Zum Beispiel, Feuerfänger und sein Training, Mörder und seine Aufträge, Schwarzmesser mit seinen Gefühlsduseleien und die Jungen mit ihren glorreichen Gesprächen.
Heute morgen, allerdings ist es noch ruhig im Lager.
Feuerfänger, Mörder und Schwarzmesser sind nirgends zu sehen, die Jungen liegen noch auf ihren Decken und Robin hockt auf einem Vorsprung über Mine und beobachtet einen der schönsten Sonnenaufgänge, die er je gesehen hat.
Erst ist es nur ein schwacher rosafarbener Streifen am Horizont, dann breitet er sich aus und färbt die Wolken, rosa, orange und schließlich gelb, während die Sonne in einem rotorangenen Ton aufsteigt, die Schatten der Nacht vertreibt und Robin wenig später warm ins Gesicht scheint.
Das alles dauerte nicht länger als zehn Minuten, aber Robin ist dankbar für diese unvergesslichen zehn Minuten.
»Ey. Was machst du da oben?« rief plötzlich eine Stimme. Es war Goldwolf, dessen Nachtwache nun beendet war. Robin seufzte und kletterte zu ihm herunter.
»Wolltest du abhauen oder was?« fragte er barsch. Robin schüttelte den Kopf und deutete Richtung Sonne. Goldwolf rümpfte abfällig die Nase und ging zu seinem Zelt.
Robin sah ihm nach und fragte sich, was dem Mann so schlechte Laune bereitete.
Nicht weit von ihm entfernt regte sich blutige Klinge. Der Junge stemmte sich hoch und blinzelte ins Morgenlicht. Als er Robin entdeckte, lächelte er.
»Guten Morgen.« sagte er. Robin wandte sich ab. Er hatte keine Lust auf blutige Klinge und seine Reden über glorreiche Wunden oder Narben, die Robin nicht besaß.

Die anderen Jungen waren ebenfalls wach, aber Feuerfänger ließ auf sich warten.
An der Feuerstelle kochten die Männer Kaffee. Der würzige, süßliche Geruch des Kaffees wehte zu ihnen hinüber.
Ihre Blicke lagen sehnsüchtig auf den dampfenden Tassen.
»Ich bin so müde. Ich würde töten für ne Tasse.« gähnte blauer Himmel. »Lass dich nicht aufhalten.« meinte kaltes Herz. »Aber bring mir was mit.« sagte gebrochener Stein. Blauer Himmel blickte alle verwirrt an und begriff erst ein paar Minuten später, als das Thema schon wieder gegessen war.
»Wo bleibt der dämliche Feuermann den endlich?« regte rote Nacht nach weiterer verstrichener Zeit auf. »Geh mal gucken, weißer Tiger. Dir hacken sie bestimmt nicht die Füße ab, wenn du durch den Tunnel gehst.« sagte blauer Himmel.
Überraschenderweise stand Robin auf und durchquerte das Lager. Als er durch den Tunnel trat erstarrte er.
Mindestens drei Duzend fremde Männer hatten sich positioniert und hielten Schwarzmesser und seine Männer in Schach.
Ihr Anführer war weiß.
Robin wusste nicht, was er denken sollte. Irgendetwas in ihm, sagte ihm, er solle weglaufen, der Rest ließ ihn erstarren.
Erschrocken drehte Schwarzmesser sich um, als er Robins Schritte hörte. Sofort richteten sich ein Haufen Gewehrmündungen auf ihn.
Geistesgegenwärtig hob Robin die Arme.
»Wen haben war denn da?« fragte der Weiße. Robin machte große Augen. »Wenn mich nicht alles täuscht bist du, Robin Collins, nicht wahr?«
Das Lächeln des Mannes war gefährlich freundlich und Robin antwortete nicht.
»Ist das der Jungen, den ihr aus der Safari-Logde entführt habt oder sind noch andere weiße Jungen unter eurer Fittiche?«
Schwarzmesser schüttelte den Kopf. Sein Blick war besorgt und ängstlich, aber er behielt Haltung.
»Gut Robin. Mein Name ist Jens Developer. Ich bin gekommen, um dich zu retten.« erklärte der Mann.
Robin wusste nicht warum, aber er glaubte ihm nicht so ganz.
»Vertrau ihm nicht.« bestätigte Schwarzmesser seine Zweifel »Ist ein genauso übler Killer, wie ich. Er ist nur organisierter und zivilisierter!« »Glaub nicht, was der böse, schwarze Mann dir erzählt. Er will mich nur ausstechen.«
Robin haderte mit sich selbst. Einerseits wollte er hier weg, andererseits wollte er auf keinen Fall zu jemandem, der noch schlimmer war, als Schwarzmesser, da Schwarzmesser überhaupt nicht schlimm war.
Hilfesuchend sah er zu Feuerfänger. Dieser blickte ihn nur angespannt an.
»Wie lange dauert das denn?« Robin erstarrte. Gebrochener Stein spazierte seelenruhig durch den Tunnel und blieb wie angewurzelt stehen.
»Scheiße.« murmelte er und wollte umdrehen, da löste sich ein Schuss und gebrochener Stein stürzte mit dem Gesicht nach unten in den Sand. Blut breitete sich um ihn aus und er regte sich nicht. Robin keuchte entsetzt, sagte sich aber nicht zu rühren.
»Gut gemacht, Dorian. Jetzt wissen die anderen Bescheid. Also. Lässt uns keine Zeit verlieren. Der Junge kommt mit uns.« Jens machte eine Handbewegung. Seine Männer lösten sich aus ihrer Formation. Einer packte Robin am Arm und schleifte ihn mit sich.
Robin begann sich zu wehren und sah panisch zu Schwarzmesser, der Tränen in den Augen hatte.
Der Mann zerrte Robin in einen modernen Geländewagen auf den Beifahrersitz und klemmte sich selbst nach hinten.
Er drückte Robin sein Lauf seines Gewehres an den Kopf.
Jens Developer setzte sich ans Steuer.
»Anschnallen Robinsagte er viel zu freundlich. Robin schnallte sich verkrampft an, während der Wagen über die sandige, rote Straße hoppelte.
»Also Robin. Erzähl doch mal. Wie ist es dir ergangen, die letzten sechs Monate? Eine lange Zeit und du hast sicher viel erlebt.«
Robin gab keinen Ton von sich. Mit diesem Mann würde er kein Wort sprechen, egal welche Sprache er sprach.
»Bist wohl nicht sonderlich gesprächig. Muss die Worte etwa aus dir raus kitzeln?« fragte er scherzhaft. Robin reagierte nicht.
»Sag bloß dieser Schwarzmesser hat dich gebrochen. Ich hab doch gehört, dass du ein ganz harter Typ bist.«
Es war schwer nicht die Beherrschung zu verlieren und diesem Mann die Visiten zu lesen, aber Robin hatte ein verdammtes halbes Jahr durchgehalten und er würde auch weiterhin dichthalten.
»Was soll ich mit dir anfangen, wenn du nicht sprichst. Das ist echt langweilig. Hast du mit Schwarzmesser auch nicht geredet? Wie hat der das ausgehalten. Wir werden dich definitiv kitzeln müssen, denn ich brauche deine Antworten.«

Der weiße TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt