Tag 84

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Das Grauen war vorbei. Aus sicherer Entfernung beobachtete Robin den Eingang der Mine und war froh dieser schrecklichen Dunkelheit auf unbestimmte Zeit entkommen zu sein.

Zusammen mit blutige Klinge und kaltes Herz, der ebenfalls nicht mehr in der Mine arbeiten musste, weil er quasi alle gerettet hatte, putzten er Waffen und schärfte Messer.

Eine öde Aufgabe, aber tausend mal besser, als das Arbeiten in der Mine.
»Warst du auch schonmal in der Mine?« fragte kaltes Herz blutige Klinge.

»Klar. Fast jeder war schonmal drin. Mit irgendetwas muss man ja anfangen. Aber damals.« er lachte kurz mit bitterem Ton auf, als wurde ihm die Bedeutung des Wortes gerade erst bewusst »War ich noch klein und schwach. Unerfahren und ängstlich.

Die Männer waren grausamer und die anderen Jungen hinterlistiger. In der Mine herrschte geradezu Krieg. Fast täglich starb jemand da unten und das nicht, durch herabfallende Steine.«

»Hast du auch einen da unten umgebracht?« »Ja. Ich hatte quasi keine Wahl. Der Typ hat seine Picke genommen und wollte mich aufspießen. Da hab ich ihm erst meine Schaufel über den Schädel gezogen und anschließend mit seiner Picke ihm die Brust zertrümmert.

Überlebt hat der Scheißkerl nicht. Er hatte ganz schön viel Gold in der Tasche. Das hab ich genommen und war von diesem Tag kein Goldkind mehr, sondern durfte ein Gewehr in die Hand nehmen.«

»Krass.« kaltes Herz' Blick wanderte zu Robin »Und wie ist seine Geschichte?«

»Er ist noch nicht lange da. Seit Mitte Sommer so ungefähr. Wir haben ihn aus einer Lodge geholt. Er hat noch nie ein Wort gesagt und hat an seinem ersten Tag gleich erstmal den besten Kämpfer seiner Altersklasse über die Schulter gelegt. Der wurde dann sein bester Freund.

Aus irgendeinem Grund mag Schwarzmesser ihn sehr, aber ich kann's nicht verstehen. Er ist ein Rebell. Widersetzt sich immer wieder allen Befehlen und kommt damit durch. Das ist so ungerecht. Manchmal würde ich ihn am liebsten erwürgen.«

Er verstummte, als Robin seinen todbringenden Blick auf ihn richtete und abwesend das Bajonettmesser in der Hand wiegte.
Kaltes Herz schluckte hörbar.

»Er ist schon ziemlich gruselig. Ich meine. Er ist immer überall dabei, aber man weiß nicht wirklich, ob er da ist. Ob er zuhört, ein überhaupt versteht oder ganz woanders ist. Verstehst du?«

»Ja. Wir werden nie wissen, was in seinem Kopf vor sich geht. Was er alles versteht und wie viel er spielt.« meinte blutige Klinge und legte das gerade gesäuberte Sturmgewehr beiseite.

»Wir wissen ebenso wenig, was er schon gesehen hat. Er kommt aus einer ganz anderen Welt. Vielleicht aus einer großen Stadt, aus einem großen Haus. Glaubst du, er kann lesen und schreiben.« fragte kaltes Herz ehrfürchtig.

»Was für eine Sprache er wohl spricht?« entgegnete blutige Klinge nur.

Die Jungen schwiegen eine Weile und betrachteten abwechselnd die Waffen und dann Robin.

Dieser saß da. Lauschte aufmerksam. Versuchte alles zu verstehen und sich gleichzeitig nichts anmerken zu lassen.

Er wollte geheimnisvoll und unberechenbar zu jeder Tageszeit sein. Nur dadurch konnte er sich überlegen fühlen, indem nur er wusste, wie die Antwort auf so ziemlich jede Frage war, die sich die Jungen über ihn stellten.

»Was ist eigentlich mit dir?« fragte blutige Klinge nach einiger Zeit.

»Hmm. Also. Meine Vergangenheit ist vermutlich nicht anders als die der anderen. Irgendwann wurde mein Dorf niedergebrannt und ich wurde rekrutiert. Zusammen mit meinem Bruder noch ein paar anderen Jungen aus meinem Dorf.

Das Leben bei Tahir war auf jeden Fall viel gefährlicher als bei Schwarzmesser. Da musstest du nur den Mund aufmachen und sie haben dich halt tot geprügelt.

Es vergingen eigentlich ziemlich wenig Tage, ohne dass jemand gestorben ist. Mein Bruder übrigens auch. Er ist allerdings bei einem Fluchtversuch umgekommen. Hyänen haben seine Leiche gefressen und wir mussten seinen Todesschreien lauschen, als er angeschossen wurde und im Busch verblutete. Das war gar nicht weit von hier. Wir waren gerade auf dem Weg, um Schwarzmesser die Mine abzuknöpfen.

Ich hatte Todesangst zu diesem Zeitpunkt. Stärker als je zuvor. Zum Glück hab ich ja überlebt und dann auch noch Schwarzmessers Angriff.«

Er verstummte und starrte in die Ferne. Vor seinem inneren Auge passierten bestimmt die grauenvollen Bilder der Vergangenheit. Robin hielt kurz inne und betrachtete kaltes Herz für einen Moment abschätzig. Dem Jungen war es also wesentlich schlechter ergangen als ihm, aber seine Lage hatte sich gebessert.

Würde sich Robins Lage auch irgendwann bessern? Immerhin war er nun aus der Mine raus. Eine kleine, aber doch schon entscheidende Verbesserung.

»Hast recht. Dir ging's echt beschissener als uns. Egal was für Leid wir glauben, erfahren zu haben. Du und die anderen aus deiner Truppe, ihr habt schlimmeres erfahren.« meinte blutige Klinge. Kaltes Herz nickte.

»Hast du welche getötet? Bei dem Kampf neulich?« »Ja. Drei Männer und vier Jungen, soweit ich mich erinnere. Ich hoffe ich hab keinen deiner Freunde getötet.« antwortete kaltes Herz.

»Nein, kannst du nicht getan haben. Ich hab nämlich gar keine.« »Wieso nicht?« »Das müsstest du doch am besten wissen. Was man nicht besitzt, das kann man nichts verlieren.«

»Da ist was dran, aber wie kommt man damit klar, niemanden zu haben, der einem den Rücken stärkt, der einen aufbaut, unterstützt und das Gleiche durchmacht, wie man selbst?«

»Ich hatte mal Freunde. Vor langer Zeit. Sie sind gestorben. So wie alles irgendwann stirbt. Ich hab mich damals zu sehr an ihnen festgehalten und als sie weg waren bin ich tief gefallen.

Es hat ewig gedauert, bis ich wieder aufgestanden bin und seit dem stehe ich auf eigenen Füßen. Ich brauche niemanden mehr, der mir zu Seite steht. Ich stärke mir selbst den Rücken.« »Klingt irgendwie hart.«

»Pff. Von wegen. Sieh dir Weißer Tiger an. Der hat auch alles verloren und steht jetzt alleine gerade für alles. Aber er war auch schon vor dem Kampf ein Alleingänger. Hat stets den Ruhm in die eigene Tasche gesteckt, wenn die Möglichkeit sich ergab. Ich kann's verstehen. Je mehr Sympathie Schwarzmesser für einen hegt, desto länger lebt man.« erklärte blutige Klinge und warf das letzte Messer in den Eimer.

Über dem Lager ging die Sonne unter und die Jungen kamen aus dem Stollen. Sie rannten zum Essen. Aßen und legten sich gleich darauf schlafen.
      
Robin blieb noch auf und beobachtete seinen Stern. Er rief sich das Gesicht seiner Eltern ins Gedächtnis und verarbeitete, was er an diesem Tag alles gehört und verstanden hatte.

Die Vergangenheiten seiner neuen Kameraden waren dunkel und eigentlich waren sie härtere Burschen, als Schwarzmessers Feuerkinder. Die neuen Jungen hatten zeitlebens auf Messers Schneide getanzt und hatten häufiger am Tod entlang geschliffen, als irgendeiner von Schwarzmessers. Sie waren wahre Killer und seelenlose Wesen.

Jetzt verstand Robin, warum ihr Verhalten in vielerlei Hinsicht so anders war. Warum einige so schwach und ängstlich oder gestört wirkten und warum andere, so kalt und unnahbar waren.

Sie hatten einfach schon völlig andere Dinge gesehen und ihr Leben war stärker von Erfahrungen geprägt als das von blutige Klinge oder von ihm selbst. Sie waren die wahren Überlebenskünstler zwischen den Fronten und Robin verspürte nun großen Respekt ihnen gegenüber.
Er legte sich auf seine Decke und schloss die Augen.

Gerade, als er dabei war ins Land der Träume abzudriften, stieß ihm einen stechender Geruch in die Nase.

Er öffnete verwundert die Augen.

Sofort gingen diese an zu brennen. Er wollte nach Luft schnappen, doch er konnte nur husten. Hitze kroch auf ihn zu und die Luft stank wieder einmal nach Rauch.

Der weiße TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt