Tag 152

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»Die Jungs haben Streit.«
»Wie? Streit?«
»Sie streiten sich mit dem Neuen. Ich glaube sie können ihn nicht leiden.«
»Sie müssen ihn nicht leiden können. Sie müssen nur mit ihm kämpfen.«
»Im Moment kämpfen sie gegen ihn.«
»Und? Sollen sie doch. Sie finden schon selbst eine Lösung.«
»Der Junge hat's auf weißer Tiger abgesehen.«
»Was?« Schweigen »Was könnte weißer Tiger tun, dass man sich mit ihm anlegen könnte?«
Feuerfänger zuckte mit den Schultern.
»Ich hab niemanden gefragt. Das ist nur, was ich beim Training mitbekommen habe.«
»Haben sie sich gegenseitig weh getan?«
»Vor ein paar Tagen hat weißer Tiger ihn in die Fresse geschlagen. Die Nase ist aber nicht gebrochen.«
»Aber mit weißer Tiger ist alles okay.«
»Ja.«
»Gut. Sorg dafür, dass es nicht ausartet.«
»Du meinst wohl, dass weißer Tiger nicht verletzt wird.«
Schwarzmesser warf Feuerfänger einen vernichtenden Blick zu.
»Schon gut. Ich kümmere mich drum. Mach dir keine Sorgen. Deinem Schützling passiert nichts.«
Der Narbenmann verließ die Hütte und ließ den Anführer zurück.
Wut stieg in Schwarzmesser auf. Er konnte blauer Himmel zwar auch nicht leiden, aber er musste ihn auch nicht mögen. Solange der Junge Leute für ihn umbrachte, denn dazu war er durchaus bereit.
Er erinnerte sich an den Tag, als er aus dem Lieferwagen geklettert kam und verkündete ein Feuerjunge sein zu wollen.
Erst hatte Schwarzmesser ihn ausgelacht und in die Mine gesteckt. Gleich eine Woche später brachte er einen großen Goldklumpen hinaus. Da hätte er keine andere Wahl gehabt, als ihn zu Feuerfänger zu schicken. Und nun, führte er sich auf, wie der Obermaker und legte sich mit seinem Tiger an.
Er erinnerte sich an den Moment, in dem er weißer Tiger zum ersten Mal gesehen hatte.
Im Halbdunklen, in der geplünderten Lodge, auf den Knien und mit vor Angst weit aufgerissenen Augen.
Er hatte so verletzlich, so hilflos gewirkt. Sein Anblick hatte etwas in Schwarzmesser bewegt und es rückte sich nicht mehr zurück.
Dieser Junge hatte ihn verändert und das war ein beunruhigendes und gleichzeitig gutes Gefühl, weil er sich nun irgendwie ganz fühlte.
Mit einem Mal schüttelte er den Kopf. So durfte er nicht denken! Es war einfach falsch.

Robin war schon wieder zum Brechen zu Mute. Nicht weit von ihm saß blauer Himmel schwärmte vor seinem neuen besten Freund, namens grüner Pfeffer, über das Essen in seinem Zuhause.
Der Koch lauschte mit großer Begeisterung und vergaß ganz die anderen Jungen in der Schlange zu füttern.
Sie starrten alle wütend auf den verhassten Jungen, der die schlechte Stimmung um sich herum gar nicht zu merken schien.
»Er regt mich so auf. Er hat mich schon in der Mine aufgeregt und jetzt hier. Ich könnte ausrasten.« knurrte graue Rache und löffelte besonders aggressiv sein Essen.
»Wem sagst du das?« seufzte kaltes Herz und schob seinen Teller von sich. Robin hatte sein Essen noch gar nicht angerührt. Blauer Himmels Anwesenheit verdarb ihm den Appetit.
Nicht weit entfernt saß Feuerfänger auf einem umgedrehten Eimer und beobachtete sie schon eine ganze Weile lang.
Was wohl in dem Kopf des Narbenmanns vor sich ging?
Eine Frage, die wohl nie jemand beantworten könnte.
Robin versuchte nicht allzu oft, zu ihm zu sehen.
Seid er blauer Himmel geschlagen hatte, waren die beiden auf Kriegsfuß und Robin wollte keine Auseinandersetzung oder Ausraster, egal von wem, riskieren.
Er drehte sich um und musterte graue Rache, der immer noch stark von der Minenarbeit gezeichnet war.
Er war ein wenig bleicher, als die anderen, hatte überall blaue Flecken von Steinschlägen und hustete ab und zu sehr trocken.
Er würde wohl auf ewig innere und äußere Blessuren dieser Teufelsarbeit mit sich herumtragen und alt werden, würde er wahrscheinlich auch nicht.
Sehr traurig. dachte Robin und starrte auf seine Narben auf den Oberarmen.
Bei einer Prügelei vor ein paar Tagen, hatte jemand ihm den Ärmel zerrissen. Jetzt lag zum Teil auch seine Schulter frei und er spürte die Blicke der anderen immer wieder darauf.
Andere hätten die Blicke vielleicht genossen. Aufmerksamkeit für eine vermeidliche Heldentat, doch Robin erinnerte es nur an sein Versagen und das Schamgefühl für seinen lächerlichen Versuch zu fliehen.
Sich die Schuld für den Tod der beiden Deserteure zu geben, hatte er hinter sich gelassen. Es machte ohnehin keinen Sinn sich Vorwürfe zu machen. Sie traten ihn nur in ein Loch. Besser war das Loch  einfach zu zuschütten.
»Ist was?« fragte graue Rache, der Robins Blick bemerkt hatte. Schnell schüttelte er den Kopf und schaute woanders hin.
Ausgerechnet zu blauer Himmel, der schon wieder so arrogant grinste.
Die Worte Schule und Noten flogen zu ihnen hinüber.
»Toll für dich, dass du Klassenbester warst.« zischte kaltes Herz verdrossen. »Pff. Ich wär bestimmt auch gut in der Schule.« meinte graue Rache. »Wer's glaubt wird selig.« prustete kaltes Herz »Warst du gut in der Schule, weißer Tiger?«
Robin zeigte mit der Hand: so lala.
»Hm. Aber lesen kannst du schon oder?«
Robin nickte.
»Und was ist mit rechnen?«
Er nickte.
»Warst du schonmal in Amerika?« fragte graue Rache aufgeregt. Robin schüttelte den Kopf. Nur einmal in Peru, aber in der Pampa und das war nicht sehr aufregend gewesen. Höchstens die Schlange im Klo, aber die war nicht mal giftig gewesen.
»Bist du denn schonmal in einem Flugzeug geflogen?«
Robin reagierte nicht.
»Kenn er nicht.« stellte kaltes Herz fest. Die beiden Jungen schwiegen.
Robin stand auf und ging zu seinem Schlafplatz. Die Sonne brannte heute schon wieder unerträglich heiß auf sie herab und Robin war kurz vorm Durchdrehen, deshalb suchte er sich erstmal etwas Schatten.
Es dauerte nicht lange, dann ging es ihm besser.
Früher hätte er viel für ein paar warme Sonnenstrahlen auf der Haut gegeben, heute wünschte er sich das nasse, graue Wetter seiner Heimat zurück.
Regnete es hier denn nie?
Wovon waren dann die Bäume gewachsen und was hatte den Brunnen gefüllt?
Schritte näherten sich seinem Platz.
»Erschöpft?« fragte eine überhebliche Stimme »Ich frag mich ja schon die ganze Zeit, warum noch nicht krepiert bist. Unser Klima kann doch unmöglich was für dich sein.«
Robin drehte sich von ihm weg und wünschte ihn auf den Mond.
»Woher kommst du eigentlich?« fragte blauer Himmel. Stumm deutete Robin nach Norden.
»War mir klar. Welches Land?« verlangte er zu wissen. Robin sah ihn an. Dein Ernst? sagte sein Blick. Blauer Himmel seufzte. »Da werde ich wohl raten müssen. Also...Italien? Spanien, Frankreich,nein, sonst würdest du ja mit uns sprechen, also Polen? Ungarn? Österreich? Dänemark? Was gib's denn noch? Ach ja! Deutschland?«
Robin hatte zwar kaum etwas verstanden, was der Junge gesagt hatte, aber er meinte letzteres schonmal in Zusammenhang mit seinem Heimatland gehört zu haben. Er nickte.
»Deutschland also. Interessant. Kann ich nicht sprechen. Fand Chinesisch aufregender. Also. Jetzt weiß ich sehr viel mehr über dich, als die meisten hier.« Robin zuckte mit den Schultern.
Ihm war es egal. Blauer Himmel sollte ihn nur in Ruhe lassen. Er machte eine Bewegung, die ihm mitteilen sollte, dass er gehen sollte.
Blauer Himmel schnaubte.
»Na gut, wenn ich nicht erwünscht bin...aber eines sollte dir klar sein weißer Tiger oder wie auch immer du heißen magst. Ich bin der einzige hier, der mit dir auf einer Wellenlänge ist. Wir sind besser, als all diese verlausten Flohträger zusammen.« Er wandte sich ab und stolzierte davon.
Robin konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen.

Der weiße TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt