Tag 44

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Schwarzmessers Zelt war fast so groß, sei eine kleine Hütte. Darin befand sich ein kleiner Tisch mit Klappstühlen, eine Hängematte und ein provisorisches Regal.

Geradezu staunend blickte Robin sich um. Schon seid mindestens einem Monat war er in keinem Raum mit mindestens drei Wänden gewesen. Beinahe fühlte er sich von der niedrigen Zeltdecke eingeengt.

Schwarzmesser erzündete eine kleine Öllampe auf dem Tisch.

»Komm. Setz dich.« sagte er und deutete auf einen der beiden Stühle. Unsicher setzte Robin sich und starrte Schwarzmesser skeptisch an. Dieser lächelte freundlich.

»Du kannst dir wahrscheinlich gerade gar nicht erklären, was vor sich geht, aber ich kann dir sagen, es ist alles in Ordnung.« meinte er. Robin reagierte nicht. Schwarzmesser seufzte.

»Wie auch immer. Ich weiß, dass du geflügelter Tod nicht erschossen hast. Es war rotes Blut. Die anderen sind vielleicht blind, aber mir entgeht so etwas nicht, deshalb habe ich ihn schlagen lassen. Ich bin sicher rotes Blut hat bereits verstanden, wofür das Ganze war. Ich rate dir beim nächsten Mal selbst Blut fließen zu lassen. Ansonsten...« Sein Blick war unverwandt auf Robins Gesicht gerichtet.

Der Junge spürte, dass der Mann ihm drohte und schluckte nervös, dann nickt er. Schwarzmesser lächelte wieder.

»Schön. Ich wusste doch, dass wir uns einigen können. Also bist du hungrig?« Er schob ihm einen Teller mit Brot und Bohnen zu.

Robin warf ihm einen fragenden Blick zu. »Ist schon in Ordnung. Iss ruhig. Wir wollen ja nicht, dass du auch umkippst, aber...erzähl's nicht den anderen.« Schwarzmesser zwinkerte ihm zu und lachte bei Robins verwirrtem Gesichtsausdruck laut auf.

Nach einer aufdringlichen Geste begann Robin vorsichtig zu essen.
Seine guten Manieren ließ er aber nach wenigen Bissen fallen und stürzte sich förmlich darauf.

Schwarzmesser beobachtete ihn währenddessen zufrieden. Als der Teller leer war, fühlte sich Robin unwohl. Schwarzmessers Blick brannte fast so schlimm, wie die Sonne auf seiner Haut.

Dieser Mann war ihm in diesem Moment der Freundlichkeit noch unheimlicher, als aus der Ferne.

Da überkam Robin die Müdigkeit und Erschöpfung, mit er eigentlich schon den ganzen Tag kämpfte. Er musste heftig gähnen.

»Ist schon gut. Geh ruhig und ruh dich aus. Morgen früh geht es weiter. Da solltest du fit sein. Gute Nacht, weißer Tiger.« sagte Schwarzmesser und Robin verließ geradezu fluchtartig das Zelt.

~~~

Überraschend spät brach die Kolonne auf, um weiter nach Süden zu ziehen. Robin schlief solange, bis ihm Feuerfänger in die Rippen trat und ihn damit aufscheuchte.

Er packte seine Sachen und schaffte sich etwas Wasser zu besorgen. Nicht für ihn. Rotes Blut lehnte an einem Baum und wirkte halbtot.
Er reichte ihm den kleinen Plastikbecher. Dankbar nippte rotes Blut daran.

»Danke. Das musst du nicht tun. Ich komm eigentlich schon klar.« meinte der Junge und wollte Robin den halbgeleerten Becher zurückgeben, doch Robin lehnte ab. Seufzend und offenbar erleichtert trank rotes Blut den Rest aus.

Kurze Zeit später brachen sie. Toter Drache und Robin hielten sich stets hinter rotes Blut und versuchten ihn zu unterstützen. Immerhin waren die Männer so gnädig gewesen, ihm keinen schweren Rucksack zu geben.

Die Bäume an ihrem Weg nahmen zu und ab zu gab es kleine Schatten stellen.

»Der Busch sieht willkommen aus, aber er ist nicht unser Ziel.« sagte toter Drache zu Robin »Vor gut einem halben Jahr hat Schwarzmesser seine Goldmine im Süden verloren und musste sein Einzugsgebiet verlassen, weshalb wir uns so weit im Norden befanden. Nun hält er sich für stark genug, um den Kampf zu wagen.

Er will diese Mine um jeden Preis zurück. Sie ist sein ein und alles, sein größter Schatz. Nichts auf der Welt ist ihm wertvoller. Unser Leben ist dagegen nur Dreck. Er würde jeden von uns für das Gold opfern. Was auch immer da unten auf uns wartet. Es will uns töten und nichts kann uns mehr retten, außer das Eisen. Verstehst du?« Robin nickte und sah besorgt geradeaus.

Eine Goldmine, die wertvoller war als ihr aller Leben zusammen. Er musste an die vergangene Nacht denken und fragte sich, was Schwarzmesser damit hatte bezwecken wollen. Hätte er nicht eher rotes Blut zu sich einladen sollen, um ihn vom Tod zu bewahren.

Robin fühlte sich immer noch fit oder wieder? Rotes Blut dagegen schleppte sich langsam dahin und konnte sich kaum auf den eigenen Beinen halten. Immer wieder stolperte er und musste kurze Pausen einlegen. Wobei sie immer ein ganzes Stück zurückfielen.
Rotes Blut blieb immer solange stehen, bis der Aufseher kam und sie weiter scheuchte.

Der Blick des Freundes von grauer Löwe lag oft schwer auf dem Jungen. Er machte sich ebenfalls Sorgen um rotes Blut. Auch wenn er sich Rache wünschte, wollte er doch nicht, dass jemand anderes sein Freund verlor. Im Moment wusste nur er, wie es war.

Robin zog rotes Blut wieder auf die Beine, der sich hingesetzt hatte. Die Augen des Jungen waren glasig und ausdruckslos. Er schnaufte und von Zeit zu Zeit stieß er einen schmerzvollen, leisen Schrei aus.

Robin war fast genauso verzweifelt, wie sein Freund. Er wünschte sich den Abend und das Lager herbei, damit rotes Blut sich ausruhen konnte. Doch es war gerade einmal kurz nach Mittag und sie waren dem Busch gefühlt noch keinen Schritt näher gekommen. Er lag immer noch am Horizont. Nur die knorrigen Bäumchen hatten sich vermehrt und die Anzahl der trockenen Wasserlöcher wurde mehr.

Sie begegneten einem Antilopenskelett. Erschrocken wich Robin dem Schädel aus und starrte einen Moment zu lange in die toten Augenhöhlen, sodass er mit blutige Klinge zusammenstieß.

»Pass doch auf, du Trottel.« schimpfte dieser. Robin wich vor ihm zurück und ließ sich zu rotes Blut und toter Drache zurückfallen. Die beiden sprachen über den Fluss. Das Wasser, die Kühle, das sanfte Plätschern. Auch Robin musste bei diesem Gedanken seufzen.

Die drei starrten gedankenverloren in den Himmel und beobachteten die schattenhaften die Wolken, die rasch vorbeizogen.

Robin erinnerte sich an seine Heimat. An die verregneten, kalten Sommer und die matschigen Winter. Er hatte immer getan, als wolle er dort weg, aber gerade wünschte er sich genau das Gegenteil.

Was würde er für ein paar Schuhe oder einen Pullover geben, wenn er im Herbst zur Post gehen musste, um ein Paket seiner Mutter abzugeben. Oder an die hässlichen Regenparka, wenn es morgens auf seinem Schulweg aus Eimern schüttete. Das alles hätte er gerade gerne zurück und für einen Moment bildete er sich ein, Regentropfen auf seiner trockenen Haut zu spüren.

Toter Drache sah ihn fragend an, als er Robins Lächeln sah. Dieser winkte nur ab und wurde wieder ernst. Das angenehme Gefühl in seinem Bauch hatte sich in Sehnsucht und Heimweh verwandelt.

Zum ersten Mal dachte er darüber nach, was seine Schulkameraden wohl gerade tun würden. Sie kamen bestimmt gerade aus der Schule oder war es Wochenende? Robin hatte vollkommen die Orientierung verloren.

Das Einzige, was er wusste, war, dass die Sommerferien vorbei sein mussten. Seine Freunde müssten sich also spätestens jetzt Sorgen um ihn machen oder sich wenigstens fragen, wo er war und warum er sich nicht meldete.

Hatte Lynn ihn schon vergessen, war sie wütend auf ihn oder wartete sie sehnsüchtig auf seine Rückkehr.

Auf einmal kam es ihm so vor, als würde nicht einmal seine Freundin richtig kennen und es fiel schwer sie einzuschätzen.

Hier war es irgendwie anders. Man wusste wem man vertrauen konnte und wer böse war. Auch wenn Robin noch nicht ganz sagen konnte, was Schwarzmesser von ihm wollte.

Denn das Schwarzmesser ein erhöhtes Interesse an ihm hatte, konnte niemand abstreiten. Robin hatte schon so viel Mist gemacht, wobei bei anderen Jungen kurzen Prozess gemacht wurde.

Vermutlich würden sie ihn nicht mal erschießen, wenn er versuchen würde wegzulaufen. Ausprobieren wollte er es trotzdem nicht.

Irgendwann es schon eine Möglichkeit geben, dachte er.

Der weiße TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt