Tag 181

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Etwas hatte sich verändert. Tief drin in Robin und doch änderte es alles.
Die Tage waren nicht länger einfach nur Tage mit Aufgaben, Training, Essen und Schlafen. Sie waren Ereignisse. Leben, die gelebt werden mussten.
Robin wusste nicht, was seine Mission war, aber durch die vermeidliche Aussichtslosigkeit seiner Situation hatte er das Bedürfnis seinen kläglichen Leben einen Sinn zu geben. Allerdings könnte er nicht andere Dinge tun, die sein Leben vielleicht lebenswerter gemacht hätte, aber er konnte lebendiger Leben und das war sein Ziel.
Er nahm nun alles klarer, offener wahr.
Die Landschaft war nicht mehr einfach nur Sand und Sträucher, der Himmel nicht einfach mehr ein blaues Nichts und die Menschen um ihn herum bekamen einen Wert, jeder auf seine eigene Weise.
Für manche hatte Robin zwar immer noch nichts übrig, aber wenn er die Zeit fand, versuchte er sie zu erörtern und zu verstehen.
Von außen sah es nicht so aus, als wäre irgendetwas anders. Die Blicke und die Gespräche um ihn herum waren immer noch die Gleichen, aber er hatte eine Eingebung und er wollte ihr folgen.
Nur Feuerfänger stellte etwas fest. Robin spürte nicht mehr die kalten Blicke auf seiner Haut und hörte keine bissigen oder gehässigen Kommentare mehr.
Feuerfänger schien ihn mit einem Mal zu akzeptieren und behandelte ihn nicht schlechter, als die anderen Jungen.
Vielleicht hätte er ja auch eine Eingebung, dachte Robin. Vielleicht war auch nur etwas vorgefallen, was Robin nicht mitgekriegt hatte.
Eigentlich interessierte es ihn auch nicht, aber wundern tat es ihn manchmal.
Seid die neuen Jungen ins Lager gekommen waren, gab es irgendwie mehr zu erzählen. Die Gespräche beim Essen waren angeregter und Meinungen wurden offener kundgetan.
Robin verstand beinahe die Welt nicht mehr.
War er vorher einfach nur blind gewesen oder passierte ein Umschwung in Schwarzmessers Reihen?
Alles fühlte sich anders an.
Er wusste nicht, ob es besser war, aber ab und zu war er für ein paar Augenblicke zufrieden und der anfängliche Hass auf die Neuen existierte nicht mehr. Allerdings auch nicht mehr das Mitleid.
Jeder hatte einen Platz auf der Welt und jeder hatte diesen Platz aus unerfindlichen Gründen verdient.
Dieser Meinung war Robin, auch wenn dies manchmal etwas grausam klang, wenn er mit seltsamen Blick, den schuftenden Goldjungen auswich.
Diese begannen ihn zu hassen. Irgendjemand streute Gerüchte, ob wahr oder falsch, über ihn und wütende Blicke streiften ihn, wenn die Goldjungen beim Essen saßen und er auf seinem Schlafplatz nicht weit entfernt in die Ferne starrte.
Den Blick zum Himmel richtete er schon lange nicht mehr. Es war zwecklos, sich an die Vergangenheit zu klammern, wo doch die Zukunft so ungewiss war.
Er fühlte sich selbstbewusster und stärker, als zuvor und verbesserte sich immer weiter im Training. Ein seltsamer Anflug von Ehrgeiz hatte ihn gepackt, obwohl er nicht wusste, was sein Ziel war.

Schwarzmesser grübelte über neue Pläne und Überfälle, als Feuerfänger sich zu ihm gesellte.
Es war schon recht spät und das Lager lag ruhig da.
»Ich hab Neuigkeiten.« sagte Feuerfänger. »Aha.« murmelte Schwarzmesser nachdenklich. »Weißer Tiger ist jetzt ein wahrer Champion. Ich hab heute einen Wettbewerb veranstaltet, um herauszufinden, wo bei wem die Grenzen liegen und weißer Tiger hat, verdammt noch mal, alle Gegner geschlagen, in allem Disziplinen.«
»Beeindruckend.« Feuerfängers Tonfall klang nicht gerade interessiert.
»Kapier's du's nicht? Der Junge ist nun unser bester Kämpfer. Und weißt du was uns das nützt?«
»Hm?«
»Nichts! Wir müssen ihn davon überzeugen, dass er töten muss, sonst wird man sich über uns lustig machen.«
»Wer sollte sich denn bitte über uns lustig machen? So gut wie niemand weiß von unserer Existenz. Ich bin sehr vorsichtig mit dem Weitergeben von Informationen und das weißt du auch.«
»Aber der Junge wäre endlich mal nützlich für uns, wenn er nicht nur auf Zielscheiben schießen würde.«
»Kannst du ihn dazu zwingen, ohne dass er seinen Kopf verliert?«
»Ich fürchte nicht. Er ist stur. Eher würde er sterben, als einen anderen den Garaus zu machen.«
»Siehst du. Es gibt Dinge, die können nicht einmal Männer, wie wir ändern. Weißer Tiger ist unglaublich stark. Stärker, als ich es je war.« Schwarzmesser seufzte wehmütig und schüttelte abwesend den Kopf »Er wäre ein wundervoller Anführer.« »Das hat er auch schon bewiesen.« meinte Feuerfänger. »Und dabei hätte er sie fast getötet.« sagte Schwarzmesser. »Ein Jammer, dass wir sie nicht haben sterben lassen.« »Ein höchst unehrenhafter Gedanke.« »Wann sind wir schonmal ehrenhaft?«
Die beiden Männer schwiegen und hingen eine Weile lang ihren Gedanken nach.
»Manchmal wünsche ich mir, ich wäre nie so weit nach Norden gegangen, wie ich gegangen bin.« murmelte Schwarzmesser schließlich und starrte hinauf zum hellen Vollmond, der das Lager in ein silbriges, verheißungsvolles Licht hüllte.

Robin konnte noch nicht schlafen. Die letzten Stunden kamen ihm so unwirklich vor, als wären sie nur ein Traum gewesen.
Er hatte Feuerfängers Blick gesehen. Voller Bewunderung und Respekt.
Das war alles viel zu verwirrend für ihn. Über ihm schwebte dieses eine Wort, was keine Übersetzung und auch eine Vermutungen bedarf.
Sogar blauer Himmel war beeindruckt gewesen, obwohl Robin auch den Neid in seinem Blick gesehen hatte.
In letzter Zeit sah er viel in den Augen seiner Kumpanen. Blutige Klinge und kaltes Herz waren ebenfalls sehr beeindruckt gewesen und hatten ihm auch schon vorher viel Respekt gegenüber gebracht.
Er fühlte sich völlig überwältigt und wusste immer noch nicht ganz, was eigentlich los war.
Ein Schatten bewegte sich auf ihn zu. Dünn und ein wenig schwankend.
»Darf ich mich zu dir setzen?« fragte rote Nacht mit zitternder Stimme. Robin antwortete nicht einmal mit einer Geste. Es kam ihm selbstverständlich vor, dass die anderen ihn auch ohne Worte verstanden.
Mit respektvollem Abstand setzte rote Nacht sich in den Sand.
»Ich würde dir gerne die Schuld an meinen grausamen Schicksal geben, aber ich kann nicht. Du leidest genauso viel, wie ich, aber im Gegensatz zu mir, hinterlässt dieses Schicksal nicht so starke Spuren auf dir.«
Robin schüttelte den Kopf und zeigte dem Jungen seine Narben.
»Jeder von uns ist gezeichnet. Manche mehr, manche weniger, aber es ist nur eine Hülle. Irgendwann tragen wir eine andere.« meinte er und Robin zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Daran glaube ich, denn ich bilde mir ein, die Seele meines Vaters in dem Körper eines anderen wieder zuerkennen. Er starb, als ich noch sehr klein war, aber ich weiß, dass am selben Tag in unserem Dorf ein Junge geboren wurde. Ich hab ihn beobachtet, all die Jahre lang und immer mehr von ihm darin gesehen. Deshalb glaube ich daran.« er lächelte »Glaubst du auch an etwas?« Robin nickte, auch wenn er nicht genau wusste, was es war.
»Ich bin sehr unglücklich hier. Das kann ich auf keinen Fall leugnen. Aber ich sehne mich nach etwas, was mein Leben ein klein wenig lebenswerter macht. Kannst du mir dabei helfen?«
Robin erstarrte.
Das letzte Mal, als jemand ihm um einen Gefallen gebeten hatte, war dieser Jemand gestorben. Diese Last, würde Robin kein zweites Mal auf sich nehmen. Er schüttelte den Kopf.
»Wieso nicht?« rote Nacht schien entrüstet. Robin konnte nur noch einmal den Kopf schütteln. Empört sprang der Goldjunge auf.
»Du bist wirklich so abgehoben, wie die anderen sagen. Wie konnte ich nur so dumm sein und denken, du wärst anders.«
Wutentbrannt stürmte rote Nacht davon.
Du kennst mich nicht. Du hast keine Ahnung, dachte Robin.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now