Tag 169

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Kurz vor Morgengrauen erreichten sie wieder das Lager. Alle waren erschöpft und hungrig.
Robin fühlte sich ausgemergelter und dreckiger, als je zuvor und konnte kaum das Gewehr in der Hand halten.
Auch den neuen Rekruten ging es nicht gerade blendend.
Einer lief schon eine ganze Weile mit geschlossenen Augen und ein anderer stolperte die ganze Zeit, seid sie den Akazienhain erreicht hatten.
Schwarzmesser wartete vor seiner Hütte mit einer dampfenden Tasse auf sie. Er strahlte über das ganze Gesicht bei dem Anblick seiner neuen Schützlinge.
Feuerfänger marschierte, fit, wie beim Aufbruch, auf den Anführer zu.
»Da sind wir. War leicht. Wir bringen sieben.« sagte er.
»Klasse.« meinte Schwarzmesser freudig und schritt die Reihe der Jungen auf und ab.
»Hm. Sonderlich stark wirken sie nicht. Kein vielversprechender Fang.« sagte er schließlich und blieb vor dem Jüngsten stehen, der am ganzen Körper zitterte und panisch zu Boden starrte.
»Wer ist er?«
»Wir haben ihn tote Tollwut genannt.«
»Aus Gründen?«
»Mörder fand's witzig.«
»Verstehe. Und er hier?«
Schwarzmesser stellte sich vor rote Nacht. »Er heißt rote Nacht. Blutige Klinge hat den Namen ausgesucht, damit er sich immer daran erinnert, was in dieser einen Nacht geschehen ist.« erklärte Feuerfänger.
»Wunderbar. Wie heißt du?« fragte der Anführer den nächsten Jungen.
»François.« antwortete dieser mit ängstlicher Stimme. »Nicht dein alter Name. Dein Kämpfername.«
Der Junge hatte keine Ahnung und sah sich verzweifelt um.
»Brennende Feder.« sagte blutige Klinge. »Ah ja. Toll. Wirklich toll. Bringt sie ins Lager und schickt alle zu den Goldjungen. In ein paar Tagen werden wir sehen, wozu sie fähig sind.« sagte Schwarzmesser.
Mörder ging voran und die Jungen folgtem ihm.

Feuerfänger und Schwarzmesser blieben zurück.
»Ich glaube übrigens kaum, dass einer von diesen Getreidebauern eine Feuerjunge werden kann. Sie werden alle in den Stollen verrecken. Das sag ich dir.« meinte Schwarzmesser. »Ja. Sie sind alle nicht sonderlich stark. Aber vielleicht ist rote Nacht gut genug.« antwortete Feuerfänger. »Gab es denn keine kräftigen Burschen in diesen dämlichen Dorf?«
»Es gab einen, aber den mussten wir erschießen. Er war nicht zu bändigen.«
»Na toll.«
»Tut mir leid, aber ich glaube kaum, dass er jemals kooperiert hatte. Der Typ war sehr stur, fand ich.«
»Schon gut. Trotzdem schade.«

Die Feuerjungen beobachteten aus sicherer Entfernung, wie Mörder die Neuankömmlinge in das Vorgehen in der Mine einwies.
Sie starrten ihn alle aus großen, verschreckten Augen an und wagten kaum einen Schritt zu machen, aus Angst erschossen zu werden.
Robin hatte seltsamerweise kein Mitleid mit ihnen. Allmählich begann er sie zu verachten und er wusste nicht einmal warum.
Vielleicht weil sie schwach waren und dumm, wie er fand.
Den Jungen namens brennende Feder mochte er besonders wenig. Er hatte den ganzen Weg über geflennt und Robin immer wieder aus seinen tief-schürfenden Gedanken gerissen.
Auch jetzt war brennende Feder kurz davor vor Angst einfach umzufallen. Der Junge zitterte so stark, dass es sogar auf dreißig Metern Entfernung zu sehen war.
»Die Jungs werden sich so was von einscheißen.« prophezeite graue Rache und betrachtete sie abschätzig. »Vermutlich mehr, als nur das. Sie werden alle jämmerlich verrecken.« meinte blutige Klinge und kratzte sich am Kopf.
»Sie sind dem Leben unter Schwarzmessers Schutz einfach nicht gewachsen. Diese dämlichen Bauerntrottel.« sagte blauer Himmel. Robin wurde übel.
Den Tag, den er ohne diesen Jungen verbracht hatte, war eine Wohltat gewesen und er wünschte sich, dass er das früher erkannt hätte und es zu schätzen gewusst hätte.
»Pass auf, was du sagst, Klugscheißer.« knurrte brechender Stein und ballte die Fäuste. Blauer Himmel schnaubte beleidigt und stolzierte davon.
Gerade kam tote Maus aus dem Stollen und wurde sogleich von Mörder für die weitere Unterweisung der Neuen eingewiesen.
Robin erkannte, dass der Goldjunge einen traurigen Anblick bot. In zerrissener und dreckiger Kleidung. Viel zu dünn und ausgemergelt.
Dieser Junge tat ihm leid.
Die anderen noch nicht.
Schließlich verschwanden sie im Stollen und eine beunruhigende Stille breitete sich aus.
Schweigend sahen sich die Feuerjungen an.
Ihre Augen spiegelten alle die gleichen Zweifel aus.
»Das wird wohl nichts.« meinte graue Rache und stand auf.
Robin beobachtete ihn, wie er zu seinem Schlafplatz ging und sich ungewöhnlich schwerfällig auf die Decke fallen ließ.
War er nur müde oder steckte mehr dahinter?
Graue Raches Anblick beunruhigte Robin noch mehr, als die dürren Jungen im Stollen.
Solange war es nicht her, dass graue Rache die Mine verlassen hatte, aber dennoch hätte sich seine körperliche Verfassung bessern sollen.
Wie es wohl den Goldjungen erging, die schon sehr viel länger in der Mine schufteten? Viel bekam man von ihnen nicht zu Gesicht. Sie hatten andere Essenszeiten und gingen meist vor den Feuerjungen schlafen, zumal sie meistens sich irgendwo verdrückten und still vor sich hin litten, wie Robin auch damals.
Damals.
Dieses Wort passte nicht so ganz, denn auch bei ihm war es vielleicht zwei Monate her.
Zwei Monate.
Früher war ihn diese Zeitspanne endlos vorgekommen, besonders wenn die Sommerferien vor der Tür standen, aber nun verging die Zeit schneller, als man denken konnte und Robin spürte, dass er mitgerissen wurde.
Er begann zu vergessen, zu akzeptieren. Er gab auf.
Die wenigen Dinge, an die er sich die ganze Zeit geklammert hatte, verloren ihre Bedeutung und ihren Halt.
Tief im Inneren begann Robin zu verstehen, dass es aussichtslos war.
Zum ersten Mal waren ihm diese Zweifel gekommen, als trauriger Schatten und seine Schwester in dem explodierten Auto verbrannten.
Und jetzt wurde es ihm noch klarer, aber warum ausgerechnet gerade.
Bis eben hatte sich alles noch gut angefühlt und nun breitete sich ein Krater aus Zweifeln und Ängsten vor ihm auf und es fehlte nicht viel und Robin stürzte hinein.
»Alles klar bei dir, weißer Tiger? Du siehst aus, als hättest du einem Löwen ins Maul gesehen.« fragte kaltes Herz und beäugte ihn interessiert.
Robin winkte nur ab und nickte vorsichtig. Vermutlich war gerade einfach nur seine Fantasie mit ihm durchgegangen.
Es war doch alles in Ordnung. Er war in Sicherheit. Es gab einfach nichts zu befürchten.
Geistesgegenwärtig stand Robin auf und stolperte etwas unbeholfen zu seinem Schlafplatz und warf sich auf die staubige Decke. Augenblicklich schlief er ein.

Der weiße TigerOnde histórias criam vida. Descubra agora