Tag 260

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Die Kolone von Venns Leuten kam langsam auf der schlechten Straße, die sich nach Westen am Wald entlangzog voran.
Alle paar Stunden hielten sie an und ein paar Männer gingen in den Wald.
Robin wusste nicht, was sie dort taten, aber ab und zu hörte man Schüsse.
Er saß auf einem Haufen Säcke mit Vorräten und ließ sich ordentlich durchschaukeln.
Seine Kopfschmerzen und das Pochen im Hals waren über Nacht verschwunden. Der Arzt hatte gesagt, dass er bald gesund sein würde.
Eine gute Nachricht.
Wolf hatte er seid gestern Abend nicht mehr gesehen. Zuerst hatte er gedacht, der Junge sei abgehauen, aber dann wäre Venns Stimmung nicht so munter, wie sie heute morgen war.
Der Mann hatte offenbar ein Ziel und einen Plan und er konnte es kaum erwarten es zu erreichen.
Robin war nicht in Stimmung für irgendwelche Gewalttaten. Er vermisste tatsächlich die Jungen, die ihm immer so gut beigestanden hatten. Ohne sie fühlte er sich ziemlich schutzlos.
Gegen Mittag erreichten sie einen stillen Ausläufer des Flusses und machten eine ausgiebige Pause.
Robin bekam ordentlich zu Essen und ein wenig Medizin gegen Schmerzen, die er gar nicht hatte.
Danach schlief er ein Weilchen bis es weiter ging.
Die Männer warfen ihm immer wieder missbilligende Blicke zu. Sie dachten immer noch, dass er für Ralfs Tod verantwortlich war und für den von Akono. Robin hoffte, dass sie ihm dafür nicht an die Kehle gehen würden.

Schließlich lag der Wald in der Ferne und vor ihnen erstreckte sich ein stark hügeliges Land. Am Horizont waren die ersten Ausläufer eines Gebirges zu sehen. Zumindest glaube das Robin.
Wieder war die Landschaft völlig anders und allmählich begann er sich für das vielfältige Land zu interessieren.
Er beobachtete Tiere und Vögel. Besah Bäume und andere Pflanzen. Bewunderte merkwürdige Gesteinsformen und lenkte sich beeindruckend gut von den gegebenen Umständen ab. Fast vergaß er, wo er sich befand und wovor er die ganze Zeit Angst hatte.

»Hast du schonmal einen echten Elefanten gesehen?« fragte ihn plötzlich Venn. Robin hatte gar nicht bemerkt, dass er herangekommen war. Er schüttelte den Kopf.
»Hinter der Senkung da vorne ist ein beliebtes Wasserloch von Elefanten. Sie baden dort immer. Vielleicht sind ja welche da. Ich und ein paar Männer gehen hin. Du kannst mitkommen.« Fast schon widerwillig kletterte Robin von dem Transporter und folgte der kleinen Gruppe in die Senkung.
Sie hörten die Elefanten ehe sie sie sahen. Gerade war ein heftiger Streit in Gange und zwei besonders große Exemplare machten ordentlich Lärm.
Staunend blieb Robin stehen und beobachtete die Tiere aus sicherer Entfernung.
Am Wasserloch waren drei kleine Elefanten und ließen sich in ihrem Spiel im Schlamm nicht von den Großen stören.
»Faszinierend nicht?« fragte Venn. Robin nickte und konnte sich gar nicht losreißen von diesem Anblick.
Die zwei Elefanten beruhigten sich und der eine trottete davon. Direkt auf sie zu.
»Jetzt! Zugriff!« rief Venn und ein Kugelhagel ging auf den Riesen nieder. Robin und der Elefant schrieen gleichzeitig entsetzt auf. Der Rest der Elefanten floh panisch in die Weite.
Die Männer jubelten und stürmten auf den sterbenden Elefanten zu.
Robin stand fassungslos da. Das konnte doch nicht wahr sein.
Venn tanzte, wie ein Verrückter, um den nun töten Körper herum und jauchzte laut.
Da trat Wolf neben Robin.
»Es gibt wenig Gründe, die gegen Venn sprechen, aber das hier ist einer.« meinte er. Wenig Gründe?
Alles sprach gegen Venn. Er war der Teufel auf Erden. Und wenn er Robin noch nicht ausgepeitscht hatte, wie Jens, so war er doch um einiges Furchteinflössender und gefährlicher.
Sie kehrten zu den anderen zurück. Wenig später kamen die Männer mit den Stoßzähnen des Elefanten zurück.
Robin konnte darüber nur den Kopf schütteln.
Den Körper des Tieres würden sich nun andere holen. Es war so ungerecht.

Den Rest des Tages schmollte Robin und reagierte nicht darauf, wenn ihn jemand ansprach.
Bei Nacht schlugen sie ihr Lager an einem ausgetrockneten Flussbett auf. Robin lag auf einer Decke. Über ihm die Sterne und fragte sich, wie lang diese Reise noch sein würde. Wie lange würde er dieses verzweifelte Leben, dass mehr Überleben war mitmachen. Gab es eigentlich irgendwann einen Punkt, an dem jeder aufgab?
Wie lange lebte Mann dieses Leben, bis alles ein so mitnahm, dass man nicht mehr bleiben wollte.
Bei Akono war es vielleicht eine Stunde gewesen.
Blutige Klinge lebte dieses Leben seid mindestens dreizehn Jahren und Schwarzmesser...Schwarzmesser hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden und war jemand geworden, der nichts besseres brauchte.
Wie alt war er gewesen?
Vierzig oder älter? Und seid wann war er schon dabei. Seid er ein Junge war, also mindestens zwanzig, dreißig Jahre.
Robin konnte und wollte sich beim besten Willen nicht vorstellen solange ein Leben in Angst, Schrecken und Tod zu führen.
Er wollte ein richtiges Leben, so eins, wie er vorher gehabt hatte, aber nicht das. Ein anderes, denn das, was sein früheres Leben ausgezeichnet hatte, existierte nicht mehr.
Ein paar Wolken flogen, wie verheißungsvolle Schatten über den Himmel. Robin folgte ihnen mit nachdenklichem Blick.
Er war hundemüde, aber er konnte einfach kein Auge zumachen.
Zu viel beschäftigte ihn und zu viele Sorgen rumorten in seinem Bauch.
Gerne hätte er seiner Anspannung Luft gemacht und wünschte sich an einen Ort, an dem ihn niemand hören konnte.
Schreien. Er wollte schreien, bis ihm die Kehle brannte und sprechen, all die Worte, die solange hinter seinen Lippen eingesperrt gewesen waren.
Doch hier war das nicht möglich. Hier blockierte ihn etwas und sperrte ihn ein. In eine Blase stumm und emotionslos.
Er war einsam und verzweifelt und das spürte er gerade schmerzlich.
Er wusste nicht, was er brauchte, damit er sich änderte, wie anspruchsvoll er an das Leben war, um glücklich zu sein, aber eines wusste er. Hier, unter diesen Umständen, gab es nichts für seine Zukunft.
Mit diesem Gewissen schlief er ein und träumte von seinem sechsten Geburtstag, als seien Eltern mit ihm in den Zoo gefahren waren und ein Zoowärter nur ihn mit in eines der Gehege zur Fütterung genommen hatte. Im Traum gab es keine Tiere und auch keine Eltern.

Der weiße TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt