Tag 128

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»Du musst dich beeilen. Die Zeit läuft uns davon. Zola geht es schlecht. Sie bracht dringend Hilfe. Ich weiß nicht, was ich noch für sie tun kann. Ich hab doch schon alles versucht.«
Robin legte dem aufgeregten trauriger Schatten eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. Sie saßen mitten am Tag etwas abseits der anderen, bei einer kurzen Verschnaufpause.
Feuerfänger war gerade woanders hingegangen und sie fanden kurz Zeit zu reden.
Zu gerne hätte Robin ihm erklärt, dass er sich die allergrößte Mühe gab und einen Plan austüftelte, aber er scheiterte immer noch an einer Sache und wusste nicht, wie er sie bewerkstelligen sollte.
Die Wachen waren ein ungemeines Problem und bisher fand sich keine Lösung.
Trauriger Schatten sah nervös zu dem Rest der Truppe, der um ein paar Gewehre herum saß und diese fachmännisch inspizierten.
Wieder legte Robin ihm eine Hand auf die Schulter. Mit seinen Augen wollte er sagen, Alles wird gut. Trauriger Schatten seufzte halb verzweifelt und halb erleichtert und blickte Robin dankbar an.
»Ich weiß echt nicht, was ich ohne dich machen würde. Ich kann dir gar nicht genug danken.« Robin lächelte ihn freundlich an.
Ein Ruf ertönte und Feuerfänger kam zurück. Sie sprangen auf und rannten wieder zu ihm herüber.
»So. Ihr hatten jetzt auf jeden Fall genug Erholung. Zurück auf eure Posten. Wer heute am meisten Treffer landet, darf morgen eine Übungsmission anführen.« sagte er und warf Robin eine Waffe zu. Die anderen nahmen sich selber eine und gingen zu dem provisorischen Schießstand zurück.
»Es ist eigentlich egal, wie gut du schießt, Tiger. Du wirst die Truppe eh nicht anführen können. Wie willst du schließlich Befehle erteilen, ohne ein Wort zu sagen?« er lachte höhnisch und Robin stieg die Hitze ins Gesicht.
Er nahm seine Position ein und landete gleich darauf den ersten Treffer.
Herausfordernd sah er zu Feuerfänger. Dieser tat so, als hätte er es nicht gesehen, aber sein Mund verzog sich ein wenig. Daher wusste Robin, dass sein Talent ihn wütend machte.

Stundenlang schießen war in Robins Augen anstrengender, als Tage in brüllender Hitze durch die Wüste zu joggen.
Sein Arm schmerzte schrecklich und seine Füße brannten. Der Kopf brummte und dröhnte unangenehm und ein penetrantes Piepen klingelte in seinem Ohr.
Erschöpft ließ er sich auf den Boden fallen. Kaltes Herz beugte sich über ihn. »Stell dir mal vor, wie es im Kampf ist. Vollgepumpt mit Adrenalin und dem Gegner, der möglicherweise zurück schießt, auf der anderen Seite.« sagte er und Robin stöhnte.
»Das kann er sich nicht ansatzweise vorstellen. Bisher ist er ja immer nur weggelaufen oder hat sich hinter Schwarzmesser versteckt.« meinte gebrochener Stein. Robin schnaubte beleidig.
Er hatte es sich zu seinem Ziel gemacht, nur jemanden umzubringen und daran hielt er fest. Es passte einfach nicht in seine Moral. Die anderen sollten sich damit abfinden und ihn in Ruhe lassen, nur weil sie alle schon Killer waren.
Er stand auf und entfernte sich von den anderen. Im Licht der Abenddämmerung beobachtete er die weite Landschaft. Die krummen Bäume und sanfte Hügel in der Ferne. Der rote Feuerball am Horizont und die schattenhaften Tiere im Dickicht.
Alles wirkte so nah und doch so fern, denn zwischen Robin und dem weiten Land stand ein Dutzend bewaffnete Männer, die sich nicht scheuten ihn zu erschießen, sollte er auch nur einen Schritt zu viel in die falsche Richtung machen.
Wieder dachte er an trauriger Schatten und seine Schwester. Sie würden eine äußerst gefährlich Sache wagen und es bestand nur eine geringe Chance, dass sie es schaffen würden.
Robin konnte noch so viele Dingen bedenken und planen. Es müsste nur eine Person in falschem Moment am falschen Ort sein und sie alle wären auf der Stelle tot.
Allein der Gedanke ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Und ein Gefühl stieg ihn ihm auf, dass all seine Bedenken und schließlich die Tatsache, dass er es nicht längst gewagt hatte, die Angst.
Sie überkam ihm mit einem Mal intensiver, als je zuvor und führte ihm die Tatsachen vor Auge.
Am Ende jedes Weges, den er gehen konnte lag der Tod. Manchmal früher, manchmal später, aber er kam. Jedes Mal.
Ob erschossen, verletzt, an Krankheiten oder dem Alter. Früher oder später starb er und davor fürchtete er sich.
Nicht vor dem Tot sein, sondern vor dem Sterben. Viele Möglichkeiten gab es, auf grausame Art und Weise zu sterben und viele lagen direkt vor ihm.
Die Erinnerung an die Schreie seiner Eltern, an rotes Bluts leeren Blick oder toter Draches schlaffen Körper drängen in sein Gedächtnis zurück und ließen ihn erzittern.
Er hatte niemals Gewissheit gewusst, ob er seine Eltern schreien hörte, aber er war sich mehr als sicher. Und rotes Blut. Es war grausam gewesen. Grausam für Robin einen so guten Freund zu verlieren. Sie kannten sich nicht lange. Nur ein paar Monate und doch war diese Zeit eine bessere Zeit gewesen, als die jetzige.
Gerade gab es nur Streit und Druck. Niemand, der über ihn wachte und alle dem Übel um ihn herum bewahrte. Keiner, der ihn wirklich verstand und für ihn da war.
Erst mit der Zeit, so stellte er fest, würde einem bewusst, wie sehr es weh tat, jemanden geliebten zu verlieren. Wie wenn man erst später spürt, wie eine Wunde brennt, nachdem das Adrenalin seine Adern verlassen hat.

Ich fürchte mich und vermisse euch alle. Jetzt wird es mir klar. Erst jetzt merke ich, was ihr für mich bedeutet.
Nie hätte er gedacht, so sehr die Vergangenheit zurück zu wünschen oder eine bessere Zukunft, aber daran durfte er eigentlich nicht denken.
Die Zukunft war so ungewiss, wie die Vergangenheit schlimm. Zu viele Türen öffneten sich jeden Tag und zu viele flogen jede Minute zu.
Es war, als befinde er sich in einem lebenden Labyrinth, dass auf ewig seine Gestalt ändert.
Schritte näherten sich und blutige Klinge setzte sich neben sich.
»Ich weiß, woran du denkst, aber vergiss es lieber. Dieser Wunsch hat schon zu viele Opfer verlangt und dich wird das Schicksal nicht verschonen, ob erschossen auf den ersten Metern oder langsam verdursten und verhungern dort draußen. Und dann gefressen von den wilden Tieren. Sei lieber froh, dass du hier in Sicherheit bist.«
Du hast gut reden. Du kennst es nicht anders. Dein ganzes Leben schon bist du ein Gefanger in den Reihen mordsüchtiger Killer. Für dich gibt es keine Freiheit. Nur den Kampf um das nackte Überleben. dachte Robin und wandte sich von ihm ab.
Er wollte nicht überleben, er wollte leben und egal, wie lange es dauerte, eines Tages würde er frei sein.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now