Tag 389

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»Und wie ist sie so?« fragte Robin ein wenig nervös. »Ganz okay. Ich komm auf jeden Fall klar.« antwortete Mats. Er war einer von Robins Mitbewohnern und der angenehmste Zeitgenosse, neben Markus und Clara, die er bisher jeden Tag besucht hatte und die beiden richtig ins Herz geschlossen, auch die kleine Isabelle.
Nun waren die Ferien zu Ende und er musste wieder zur Schule.
Der Gedanken erfreute ihn nicht gerade, aber immerhin war es nicht die dieselbe Schule, wie noch vor gut einem Jahr.
Mats war ein Jahr jünger, als Robin und sie würden in eine Klasse gehen, denn Robin musste die Neunte nachholen. Er fand es keineswegs schlimm. Er war lieber der Älteste, als der Dümmste.
Sie gingen gerade über die Straße direkt auf seine alte Schule zu. Der Schulhof war von einer ein Meter hohen Mauer umgeben und bis auf ein paar Bäume bot der Hof nichts spannendes. Allerdings tummelten sie bereits jede Menge Schüler dort und warteten auf das Klingeln.
Beim Anblick der wohlhabenden, gestriegelten Köpfe kam sich Robin ziemlich schlampig in seinem grauen Kapuzenpulli, den er von Markus bekommen hatte. Er war etwas zu groß, aber sehr gemütlich.

»Guck dir die Opfer an.« lachte plötzlich jemand und riss Robin aus seinen Gedanken. Am Tor stand eine Gruppe von fünf Jungen und Mädchen.
Robin erkannte sie sofort.
Er zog sich die Kapuze vom Kopf und stellte sich vor Jasper, der gelacht hatte.
In Jaspers Blick regte sich etwas. Er erkannte den offensichtlich wütenden Jungen.
»Verdammt eh. Das ist Robin, Leute. Der verdammt reiche Spießer.« sagte er und die anderen schnappten nach Luft.
»Was bist du denn?« fragte Robin ihn und funkelte ihn herausfordernd an. »Auf jeden Fall was besseres, als du.« entgegnete der Junge. »Vor zwei Jahren wolltest du um jeden Preis mit mir befreundet sein, aber dann hast du herausgefunden, dass ich super teures Mountainbike besitze und nicht tausend Videospiele spiele. Da war ich dann plötzlich nur noch der reiche Spießer, aber das ist ja zum Glück auch vorbei.« zischte Robin.
»Was fürn Auftritt, Robin. Bravo. Erst verschwindest du für unbestimmte Zeit ins Unbekannte und dann kommst du zurück, um zu verkünden, dass du mit uns nichts mehr zu tun haben willst?« fragte Luke, der mal Robins bester Freund gewesen war. Er hatte einen Arm um Lynn gelegt, die ihn fassungslos anstarrte. Er starrte zurück.
»Du hast uns alle glauben lassen, dass wir es nicht wert wären, zu erfahren, wohin du mit deinen Eltern verschwunden bist.« sagte sie traurig. »Was? Ich bin nirgendwo hin verschwunden! Ich wurde entführt ihr Idioten!« rief Robin aufgebracht »Meine Eltern sind tot.«
Lynn war immer noch entsetzt. Luke schockiert.
»Nicht dein Ernst.«
Robin nickte nur.
»Du Opfer. Wer lässt sich denn bitte einfach so entführen.« höhnte Jasper. Sofort ging Robin ihm an die Gurgel.
»Nicht! Du hast es versprochen!« schrie Mats. Robin hielt inne, umklammerte aber immer noch Jaspers Kragen.
»Ich würd's grad echt gern brechen.« knurrte er »Dir würde ich echt gerne die Fresse polieren.« »Chill mal. Du Prolet.« blaffte Jasper und stieß Robin von sich. Unerwarteterweise verlor Robin das Gleichgewicht und sein linkes Bein rutschte von Bordstein. Unsanft schlug er auf den Boden auf und ein höllischer Schmerz bohrte sich in seine Fessel. Ein von Schmerz erfüllter Schrei entfuhr ihm und seine Hände begannen heftig zu zittern.
»Was is denn jetzt los zu Meme.« fragte Jasper verständnislos. Besorgt kniete Lynn sich neben ihn.
Mats sprang aufgeregt an seine Seite.
»Was los? Was tut weh?« fragte er nervös und berührte Robin am Arm.
Mühevoll und fast blind vor Schmerz richtete sich Robin auf und zog unter höchster Anstrengung sein Hosenbein wenige Millimeter hoch.
Lynn schrie erschrocken auf und begann zu schluchzen.
»Verdammt.« entfuhr es Jasper.
»Was steht ihr hier noch rum? Ruft einen Arzt!« forderte Mats sie ungehalten auf.
Luke und Jasper entfernten sich ein paar Schritte, während Robin Mühe hatte bei Bewusstsein zu bleiben.
»Ich hätte nicht so hart über dich urteilen sollen. Du hast schlimmeres durchgemacht, als ich mir je vorstellen kann. Bitte verzeih mir.« jammerte Lynn leise und hielt seine Hand.
»Du hast das einzig logische getan...dein Leben weitergelebt.« presste Robin mühevoll hervor.

Die Ankunft des Rettungswagen bekam Robin nicht mehr mit. Er driftete in eine Welt außerhalb von Schmerz, Elend und schlechten Erinnerungen ab. Eine vertraute Melodie klang in seinen Ohren und er füllte seid langem sich so richtig geborgen, dann kam er zurück in die Wirklichkeit.

Er befand sich in einem Rettungswagen und ein ziemlich starkes Schmerzmittel wurde durch seine Adern gepumpt. Zumindest kam ihm das so vor.
»Hallo. Alles in Ordnung mit dir?« fragte einer der Sanitäter. »Ja.« flüsterte Robin fast. »Du trägst Prothesen. Bei der Linken ist die eine Schraube bei deinem Sturz verrutscht und hat sich in dein Fleisch gebohrt, aber nicht tief. Sieht schlimmer aus, als es ist. Wir bringen dich jetzt ins nächste Krankenhaus. Deine Erziehungsberechtigten sind verständigt und dein Freund sitzt hier vorne.«
Robin nickte nur stumm. Es war ihm egal, was gerade passierte. Die Schmerzmittel vernebelten seine Wahrnehmung und erst zwei Stunden später, als er auf der Couch im Jugendheim saß und Kakao trank, konnte er wieder klar denken.
Mats bekam derweilen eine Gebrauchsanweisung für die schnelle und effektive Reperatur von Robins Prothesen. Für den Notfall.
Dass Jasper der Schuldige war, hatte niemand erwähnt. Aufgrund der Tatsache, dass Robin ohnehin nicht ganz standfest war, ging jeder davon aus, dass er selbst gestürzt war. Äußerst unglücklich natürlich.

Nun würde er einen neuen Anlauf starten müssen, um in das Schulleben einzutauchen.
Robin hatte eigentlich für den Nachmittagsunterricht hingehen wollen, aber er sollte sich den Rest des Tages ausruhen.
Somit hatte er auch die Macht über die Fernbedienung und schaute einen schnulzigen Liebesfilm nach dem anderen.
An Wochenenden waren diese beim ihm Zuhause Standard gewesen. Seine Mutter hatten dieses Zeug geliebt und Robin schaute sie nur an, um sich an sie zu erinnern, dass er damit das Bild, was die anderen von ihm hatten, völlig durcheinander warf, war ihm egal.
Er wollte einfach mal ein bisschen traurig sein und das war ihm seiner Meinung nach gegönnt.
Anna schaute am Abend mit. Am Anfang beschwerte sie sich noch über diese Geschmacklosigkeit, am Ende weinte sie allerdings bitterlich.
Robin ging es wieder besser. Er war bereit für einen zweiten Neuanfang.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now