Tag 25

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Auf der anderen Seite des Flusses war das Gelände abschüssig und uneben. Die rote Erde war weich und an manchen stellen befanden sich kleine Höhlen und Tunnel im Boden, die unter dem Gewicht, der Jungen manchmal nachgaben.

Auf Zehenspitzen und mit wachen Blicken kämpften sich die Feuerkinder durch das schwierige Gelände. Die Sonne brannte wie so oft erbarmungslos auf sie nieder und ließ die Jungen ordentlich schwitzen.

Robins Hautfarbe machte mittlerweile den afrikanischen Jungen Konkurrenz, wenn auch sein schokobraunes Haar ein Blickfänger unter den schwarzhaarigen Köpfen war. An einigen Stellen, war seine Haut noch verletzt von Sonnenbränden und wenn er zu lange in der Sonne verbrachte, bekam er dennoch einen Sonnenbrand in Form abschuppender Haut.

Manchmal fühlte Robin sich, als würde er auseinander fallen. Immer, wenn sie schlugen oder wenn er abends die Haut von seinen Armen und Beinen abziehen konnte.

Wenn er geschlagen wurde, nahm er sich jedes Mal danach vor, sofort wieder aufzustehen, aber er schaffte es kein einziges Mal.

Immer wenn er den staubtrockenen Boden küsste, spürte er die Müdigkeit und Erschöpfung, den Hunger und  seine Sorgen, die schwer über ihm hingen. Es drückte ihn zu Boden und er wollte liegen bleiben und einfach nur noch schlafen.

Meistens zog ihn Frieden oder Feuerfänger auf die Beine und funkelten ihn böse an. Jedes Mal überkam ihn ein seltsames Gefühl. Und dann fragte er sich, ob er ein schlechtes Gewissen hatte und wenn ja, warum?

Er war den Männern zu nichts verpflichtet. Sie hatten ihn entführt und zwangen ihn dazu Menschen umzubringen. Er brauchte ihnen nicht zu gehorchen, also sollte ihn auch nicht das Gewissen einen Strich durch die Rechnung machen.

Er stützte sich auf einem Erdhügel ab und schnappte erschöpft nach Luft. Seid dem frühen Morgen folgten sie einem Pfad durch das Gelände und sollten etwas finden, was Schwarzmesser verloren hatte.

Allerdings wussten, sie weder was sie suchten, noch wo sie danach suchen sollten.

Zu allem Überfluss mussten sie noch ihre Waffen mitschleppen, die zwar nicht geladen waren, aber trotzdem schwer und lästig waren.

Toter Drache drehte sich zu ihm um und warf ihm einen seufzenden Blick zu. Er hatte seine Waffe über die Schulter geworfen und konnte, wegen seinem geringen Gewicht, besser als die anderen, über die Erde laufen.
Robin, der in Deutschland niemals hatte hungern müssen, wog wesentlich mehr als die anderen und war schon mehrfach in die verborgenen Tunnel eingebrochen.

»Komm weiter. Keine Pause. Schnell. Komm.« sagte toter Drache und winkte ihm.

Seufzend schulterte Robin wieder seine Waffe und folgte ihm, nicht ohne über einen Erdhügel zu stolpern.

Ihr Führer führte sie weiter nach Süden  und zu einem kleinen Ausläufer des Flusses. Dieser schlängelte sich braun und langsam durch die rote Erde und wirkte nicht sehr einladend, um seinen Durst zu löschen, aber Robin hatte keine Wahl, wenn er den Rückweg noch schaffen wollte.

Also kniete er sich hin und trank aus seiner Hand ein paar Schlucke. Das Wasser war warm und schmeckte erdig, aber es stillte für einen Moment den beißenden Durst, den Robin schon den ganzen Tag verspürte.

Zu essen bekamen die Jungen nichts. Heute fiel für alle das Mittagessen aus.

Ihre Blicke wanderten über die öde Landschaft und zurück zum Fluss, der gar nicht fern floss, nur so weit weg, dass sie ihn nicht so schnell erreichen konnten.

Verträumt starrte Robin in den Himmel und blinzelte in die erbarmungslose Sonne. In Hamburg hatte er sich immer gefreut, wenn sie schien. Hier wünschte er sich Wolken herbei.

Die Stimmen und das Geklapper der Gewehre rückten in die Ferne und für einen Augenblick war er in einer anderen Welt.
Solange, bis der Boden unter ihm verschwand und er in einen Tunnel rutschte.
Er hatte nicht mal Zeit sich zu erschrecken und steckte plötzlich bis zur Brust in der Erde.

»Was bist du nur für ein Trottel!« schimpfte ihr Anführer »Für so viel Dummheit, befreist du dich selbst.« Robin rührte sich nicht. »Wird's bald?« »Er kann dich nicht verstehen.« meinte toter Drache. »Pech für ihn. Bleibt er halt stecken.« meinte der ältere Junge und schulterte seine Waffe. »Schwarzmesser wäre darüber nicht erfreut. Er hegt Sympathien für den weißen Tiger.« sagte rotes Blut.

Der Junge zögerte. Robin warf ihm einen verzweifelten Blick zu. »Na schön. Zieht ihn raus, aber gebt ihm eure Waffen.« meinte er und machte eine wegwerfende Geste.

Rotes Blut und toter Drache zogen Robin mit vereinten Kräften aus dem Loch und gaben ihm mit bedauernden Blicken ihre Waffen. Robin nahm sie an sich, ohne zu murren.

Was auch immer es war, was die Jungen suchten. Es war schwer zu finden und der Abend und die darauffolgende Nacht rückten immer näher.

Robin war immer noch müde und hungrig, aber sie durften nicht anhalten. Ihr Anführer kannte den Weg, aber das half ihnen auch nicht weiter, wenn sie ihn ständig verlassen mussten, um die umliegenden Erdhügel zu untersuchen.

Robin kroch auf dem Bauch über ein Stück besonders weicher Erde und betete darum nicht noch einmal einzustürzen, denn diesmal wäre es sicher mit dem Kopf voran.

»Siehst du was?« rief rotes Blut. Robin schüttelte den Kopf. Die Jungen wandten sich enttäuscht um und schlurften weiter.

Da funkelte etwas in Robins Augenwinkel auf. Verwundert drehte er sich um und entdeckte ein offenes Säckchen mit Goldmedaillen. Seine Augen wurden groß und er fragte sich, ob das der Schatz sein sollte.
Ohne zu zögern steckte er ihn ein und kroch zurück.

~~~

Die Jungen kehrten ins Lager zurück. Schwarzmesser wartete schon auf sie, doch alle ließen beschämt die Köpfe hängen und mieden seinen Blick.

Grauer Löwe, den Schwarzmesser die Leitung erteilt hatte, kam zögerlich näher.

»Wir haben's nicht gefunden.« meinte er vorsichtig. »Und warum seid ihr dann hier?« fragte Schwarzmesser scharf. Verlegen starrte er weiterhin zu Boden. Niemand antwortete. Schwarzmesser seufzte.

»Ich bin enttäuscht, Jungs. Ich dachte, ihr hättet es drauf, aber ihr seid doch nur ein paar Kinder mit Schusswaffen, die auf ihre Zielscheiben zielen. Enttäuscht. Wirklich enttäuscht bin ich.« er schüttelte missgünstig den Kopf und wollte sich schon umdrehen, als der weiße Tiger sich zwischen zwei Jungen hindurch schob.

~~~

Robin zitterte ein wenig vor Aufregung, hielt seinen Blick, aber unverwandt auf Schwarzmesser gerichtet. Dieser musterte ihn mit einem fragenden Blick von unten nach oben. Langsam zog Robin das Säckchen aus der Tasche und hielt es ihm hin.

Eine Art Raunen ging durch die Reihen der Jungen. Wortlos nahm Schwarzmesser das Säckchen entgegen und zählte die Münzen.

»Herzlichen Glückwunsch. Ihr habt bestanden. Dank eures scharfäugigen Tigers.« meinte er schließlich.

»So ein Verräter. Warum hat er uns nicht mitgeteilt, dass er was gefunden hat?« fragte grauer Löwe und ballte wütend die Fäuste. »Wie sollte er denn? Er spricht doch nicht.« setzte sich sofort rotes Blut für ihn ein.

~~~

Schweigend beobachtete Schwarzmesser den darauffolgenden Streit und sein Blick wanderte immer wieder zu dem weißen Jungen, der unparteiisch daneben stand und in die Ferne starrte.

»In ihm steckt mehr, als wir dachten. Dieser Junge kann ein guter Kämpfer werden.« flüsterte ihm plötzlich Frieden ins Ohr.

»Ich wusste es von Anfang an.« meinte Schwarzmesser nur und musste schmunzeln.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now