Tag 257

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Das Gestrüpp und die verkohlten Hütten glühten noch vor sich hin.
Die Dorfbewohner lagen verstreut auf dem Dorfplatz herum.
Einige wenige, die noch lebten, beugten sich über ihre Familienmitglieder und weinten und schrieen bitterlich.
Robin saß nicht weit entfernt auf einem einsamen Stein und wiegte seine Waffe in den Händen.
Seine Kugeln steckten auf der anderen Seite des Dorfes in einem Duzend Bäume.
Vor seinen Füßen kauerte ein kleines Mädchen von vielleicht fünf Jahren. Sie starrte ihn mit angsterfüllten Augen an und war kaum in der Lage sich zu rühren.
Venn und seine Männer feierten immer noch ihren Sieg. Die anderen Jungen hatten sich ihnen angeschlossen und hatten offenbar eine Menge Spaß. Sogar kaltes Herz und blutige Klinge lachten.
Robin konnte darüber nur den Kopf schütteln. So viel Tod. So viel Gewalt, für nichts.
Das Dorf war arm gewesen. Die Männer gingen Jagen. Sie hatten keine Vorräte, keine Schätze. Ein einfaches und bescheidenes Leben. Vermutlich auch nicht immer leicht.
Das Mädchen war dünn, aber nicht dürr.
Robin hätte gerne etwas Beruhigendes zu ihr gesagt, aber hatte keine Worte. Außerdem sprachen die Menschen hier eine andere Sprache.
Die zwei Jugendlichen, die Venn ausgewählt hatte Part seiner eigenen Kinderarmee zu werden, allerdings verzichtete er darauf kleinen Kindern diesen Leben zuzumuten.
Er schlachtete sie lieber ab. dachte Robin verbittert. Die beiden Jungen waren höchstens sechzehn, wurden aber schon als Erwachsene eingestuft, soweit Robin das verstanden hatte.
Die beiden Jungen verstanden allerdings kein einziges Wort, was gesprochen wurden.
Venn sagte, es gebe einen Mann im Lager, der ihre Sprache sprach, er würde die nötigen Informationen ihnen überliefern.

Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu, als sie ihr kleines Lager an einem Flusslauf außerhalb des Waldes erreichten.
Robin gönnte sich erstmal ein paar Schlucke Wasser und beobachtete dann, was mit den beiden Neuen geschah.
Der Mann brüllte die beiden furchterregend unfreundlich an und sie murmelten knappe Antworten.
»Sie heißen Akono und Bijan und sind Brüder. Siebzehn und sechzehn.« rief der Mann Venn zu. »Und? Können sie kämpfen?« »Sie sind Jäger, wie ihr Vater und dessen Vater.«
»Pff. Sag ihnen, wenn sie nicht das machen, was wir ihnen sagen, ihnen die Zungen rausreißen.«
Der Mann übersetzte.
Die Jungen sahen sich erschrocken an und nicken zu Robins Verwunderung.
»Brav. Zeig ihnen, wie man schießt. Heute noch.« sagte Venn und ging davon.
»Komm her. Junge.« rief der Mann und winkte Robin zu sich.
»Du bist der beste Schütze so weit ich weiß. Zeig ihnen, wie es geht.«
Er drückte Robin eine Waffe in die Hand.
Dieser seufzte und führte jede Bewegung so langsam aus, dass die Jungen sie verfolgen konnten. Der Mann sagte etwas zu ihnen.
Schließlich war Robin bereit und drückte ab.
Die Kugel flog hinaus in die Ferne und schlug in den einzigen Baum, am anderen Ufer ein.
Die Jungen schnappten beeindruckt nach Luft.
Robin reichte dem einen das Gewehr.
Der Junge wechselte einen Blick mit seinem Bruder. Dieser sagte etwas. Robin hörte das Wort Akono heraus. Nun wusste er, wer wer war.
Akono machte nach, was Robin gemacht hatte und stellte sich dabei äußerst geschickt an. Robin beobachtete ihn.
Gerade legte Akono an, als ein letzter Blick zu seinem Bruder wanderte. Dann schwenkte er plötzlich herum und drückte ab.
Die Kugel traf den Übersetzer. Dieser ging mit einem Stöhnen und keuchen zu Boden.
Akono richtete die Waffe auf Robin.
Sein Herzschlag beschleunigte sich von der einen zu anderen Sekunden aufs Maximum und er hob die Hände.
Bijan schrie seinen Bruder entsetzt an. Akonos Blick war wutverzerrt. Er war nicht bei klarem Verstand, stellte Robin fest. Das half ihm allerdings auch.
»Du ein Mörder.« krächzte Akono plötzlich und starrte Robin an. Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Mein Kind.« murmelte Akono. Robin schüttelte wieder den Kopf.
Da senkte Akono die Waffe. Robin legte sich eine Hand aufs Herz, um seinen Herzschlag zu beruhigen.
Die beiden Brüder wechselten ein paar Worte.
Da kamen ein paar Männer herbei gestürmt. Allen voran Ben.
»Was ist hier los?« verlangte er zu wissen. Robin wusste nicht, wie er es wortlos erklären sollte. Aber die Waffe in Akonos Hand und der halbtote Mann am Boden waren eigentlich selbsterklärend.
Robin schluckte. Das würde Akonos Ende sein. Alle bis auf Akono selbst schienen das zu begreifen.
Bijan war den Tränen nahe. Er schrie seinen Bruder an. Es klang klagend und trauernd.
Akono starrte nur auf Robin und sein Zorn war immer noch klar zu erkennen.
So leise, dass nur Robin es hören konnte, sagte er schließlich.
»Hasse böse Menschen. Eltern und Kinder tot. Ich lebe. Nicht gerecht. Du musst wissen.«
Robin nickte und hielt sich zwei Finger an den Kopf.
Ehe irgendjemand einschreiten konnte, hatte Akono sich selbst erschossen und sein Körper sank neben seinem Opfer ins trockene Gras.
Bijan schrie entsetzt und fiel auf die Knie.
Ben schimpfte und packte Robin am Kragen.
»Du elende Mistfliege. Was hast du getan?« brüllte er und schüttelte den Jungen. Robin sah ihn verwirrt an. Er hatte nur das gemacht, was für Akono offensichtlich war.
»Mieser Dreckssack. Ich wusste von Anfang an, dass du gegen uns bist, aber das du so hinterlistig Venns Pläne durchkreuzt.«
Plötzlich spürte Robin kaltes Metall an seinem Hals. Wieder beschleunigte sich sein Puls bis zum Anschlag.
»Wir sollten es jetzt gleich beenden. Jetzt oder nie. Ehe du uns alle in den Ruin treibst.«
»Nein...! Tu's... nicht.« krächzte eine Stimme.
Eine Stimme von der niemand gedacht hatte, dass sie nochmal das Wort erheben würde.
Alle starrten ihn an.
Robin wusste nicht was er denken sollte.
»Ein Fehler. Meine Entscheidung.« keuchte Akono, dann wurden seine Augen starr.
Ben war immer noch in Rage und dachte nicht daran Robin loszulassen.
Robin zitterte. Es war schon gefühlte Ewigkeiten her, dass er das letzte Mal richtige Todesangst verspürt hatte.
»Wenn du das tust. Bist du nicht besser, als er.« rief auf einmal blutige Klinge.
Kaltes Herz stand neben ihm und zielte mit einer Pistole auf Ben.
Die beiden Parteien starrten sich an.
»Ich töte den Jungen, wenn du die Waffe nicht senkst.« knurrte Ben. »Und ich töte dich, wenn du's tust.« sagte kaltes Herz so ausdruckslos, dass Robin ein kalter Schauer über den Rücken lief.
»Dann bist du nicht besser als ich.« »Damit komm ich klar. Mein Leben ist schon lange verwirkt.«
»Also gut.«
Ben entfernte das Messer einen Millimeter von Robins Hals. Er holte einmal tief Luft.
»Du hast es nicht anders gewollt. Knirps.« rief Ben.
Ein Schuss ertönte. Ein Schrei und eine Klinge, die durch Fleisch schnitt.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now