Tag 130

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»Herzlichen Glückwunsch! Du bist ein Held.«
Robin blinzelte verwirrt in das helle Licht einer Petroleumlampe. Schwarzmesser beugte sich breit grinsend über ihn. In Robins Schädel kochte alles. Die vergangen Stunden kamen nur langsam wieder zurück.
»Das war wirklich mutig von dir. Blutige Klinge ist darauf nicht gekommen.« sagte Schwarzmesser und hielt ihn die Büchse vor die Nase.
»Die Männer hätten euch nicht wirklich umgebracht. In ihren Gewehren waren Platzpatronen, allerdings ziemlich scharfe, wie es scheint. Tut mir leid, dass du dir weh getan hast. Du hättest sie ruhig erschießen können.«
Robin sah ihn vielsagend an.
»Ich weiß, ich weiß. Töten entspricht nicht ganz deiner Moral, aber es ist echt okay, wenn du ihnen die Schädel wegpustest. Wirklich. Selbst Gott kann dir da nicht böse sein. Das waren böse Männer.«
Robin zog eine Augenbraue hoch. Schwarzmesser lachte.
»Du hälst mich auch für einen bösen Mann, oder?«
Robin reagierte nicht.
»Ja.« seufzte er »Ich bin ein böser Mann. Ich hab echt schon viele Leute umgebracht, aber ich hatte nie eine Wahl, weißt du. Früher wurde ich gezwungen. Gehirnwäschen, wenn du das Wort kennst. Mein Herr war wesentlich böser, als ich und grausamer. Einen Monat bei ihm und man wusste nicht mehr, wer man war. Man wusste nur noch wozu man gebraucht wurde.
Ja. Ich war auch mal einer.  Ein Kindersoldat, wie es so schön heißt. Aber ich hab's raus geschafft. Jetzt habe ich meine eigene, kleine Armee und bin ziemlich erfolgreich.
Weißt du. Wäre es nicht so gefährlich. Hätte ich mich fast in deinem Häuschen nieder gelassen, anstatt es abzufackeln, aber es liegt hinter meinen Grenzen und ist der Welt bekannt. Die Gefahr, dass jemand kommt und fragen stellt ist einfach zu hoch. Verstehst du?«
Robin nickte und setzte sich auf.
»Geht es ihm besser?« Klares Wasser betrat das Zelt. Sofort verschwand Schwarzmessers Lächeln. »Ja.«
»Gut. Dann kannst du gehen, Junge. Ruh dich heute aus. Alle haben heute frei. Der gestrige Tag war ja ein ganz schönes Abenteuer.«
Robin nickte seufzend und stand auf. Als er aus dem Zelt ging, warf er Schwarzmesser noch einen Blick zu, der so tat, als würde er das Insekt an der Petroleumlampe total interessant finden.
Auf dem Weg zu seinem Schlafplatz entdeckte er blutige Klinge, der vor seinem Platz saß und seine Narbe betrachtete.
»Sie ist so groß und doch kann ich sie nicht mit großen Taten verbinden. Das ist echt erbärmlich.« sagte er, als er Robin bemerkte.
Robin zog sich das T-Shirt über den Kopf und zeigte ihm die Narben der Peitschenhiebe.
»Auch keine glorreichen Narben.« stimmte er zu »Aber wir sollten uns nicht zu sehr selbst bemitleiden. Gute Nacht.« Er verkroch sich und Robin ging weiter und legte sich Schlafen.

»Ich bin echt froh, dass ich nicht abgehauen bin.« flüsterte trauriger Schatten und klammerte sich an Robins Arm, als die beiden im Schatten des Walls zum Tunnel schlichen.
Robin verdrehte die Augen und versuchte sich zu konzentrieren.
Er hatte recht spontan entschieden, dass heute Nacht die Möglichkeit zur Flucht bestand.
Zufällig hatte er gehört, wie Männer darüber redeten, dass die Schlüssel der Wagen immer Zündschloss steckten, damit jeder Zeit schnell losgefahren werden konnte.
Sein Plan war es. Alle Schlüssel aus den Wagen zu ziehen und mit einem schnell wegzufahren.
Idiotisch, aber einfach. Solange man nicht entdeckt wurde.
Die beiden Wachen vom Tunnel waren gerade Kaffee holen und so konnte ungehindert auf die andere Seite gelangen.
Dort befand sich diese Nacht nur eine Wache.
»Deo.« krächzte plötzlich eine leise Stimme. »Mein echter Name.« flüsterte trauriger Schatten stolz.
»Wo bist du Zola?« rief er leise. »Hier.« ertönte die krächzende Stimme erneut.
Die beiden Jungen rannten zu einem der Wagen. An einen Reifen lehnte sich ein kleines, dünnes Mädchen mit kurzem strubbeligem Haar und einem verquollenem Gesicht, als hätte sie geweint. Sie sah alles andere, als gut aus.
»Ist das Geist?« fragte sie und starrte Robin an. »Das ist weißer Tiger. Er hilft uns. Wir haben Essen und Trinken. Komm wir gehen jetzt.« sagte trauriger Schatten und hob sie hoch. Das eine Bein des Mädchens hing schlaff da. Es wirkte gebrochen und nicht richtig verheilt.
»Sie hat große Schmerzen, aber sie werden zwischenzeitlich betäubt. Schlaf, Zola. Alles wird gut.« flüsterte trauriger Schatten. Das Mädchen schloss die Augen und atmete angestrengt.
Robin konnte sich denken, was sie hatte und lief los.
Alleine und so leise er konnte lief er von Auto zu Auto und zog die Schlüssel heraus. Er steckte sie in seine Taschen und als er fertig war, vergrub er sie provisorisch im Sand.
Den Wagen, den er verschont hatte, stand bereit. Trauriger Schatten setzte Zola auf den Beifahrersitz und setzte sich selbst hinter das Steuer.
»Aufregend. Ich sollte so schnell fahren, wie es geht, das Ding macht bestimmt viel Krach.« sagte er. Robin nickte und löste die Handbremse.
Da ertönten Schritte. Erschrocken bedeutete er trauriger Schatten loszufahren. Dieser trat aufs Pedal.
Der Wagen setzte sich in Bewegung. Robin griff nach der Ladefläche und wollte aufspringen, da packte ihn etwas von hinten und zog ihn zurück. Der Wagen nahm Fahrt auf und raste Richtung Straße.
»Alarm!« schrie jemand Robins Ohr. Im nächsten Moment ertönten Schüsse.
Hilflos starrte Robin auf den schattenhaften Wagen, der immer kleiner wurde.
Sie schaffen es nicht, kam ihn die Gewissheit und Tränen stiegen im Augen.
Die Schüsse ertönten von überall her und die Männer riefen sich gegenseitig etwas zu, doch Robin hatte nur Augen für das Auto, das immer weiter und weiter fuhr und doch nicht entkam.
Da erhellte ein gleißendes Licht die Nacht und eine Wolke stob in den Himmel.
Für einen Moment blieb sein Herz stehen. Er konnte es nicht fassen.
In der Ferne brannte es. Die Männer rannten hinterher.
Robin lag auf dem Boden, gegen jemanden gelehnt und war völlig fertig.

»Das war keine gute Idee.« sagte der jemand, der sich nach Schwarzmesser anhörte. Robin war zu überwältigt, um sich zu fragen, warum Schwarzmesser ihn gerettet hatte.
Feuerfänger kam von dem Brand zurück. »Der Wagen ist explodiert. Die Flüchtlinge sind tot. Wir löschen den Brand. Soll ja kein Buschfeuer entstehen. Alles klar bei dir?« rief er keuchend. »Ja. Alles super.« sagte Schwarzmesser und stand auf.
»Was ist mit ihm?« fragte Feuerfänger. »Er hat versucht zu verhindern, dass sie abhauen, denke ich. Er hat quasi mich alarmiert.« antwortete Schwarzmesser.
Ein wenig ungläubig starrte Feuerfänger auf den Jungen am Boden.
»Verstehe.«
»Kümmer du dich weiter ums Feuer. Ich bringe weißer Tiger zurück ins Lager.«
Schwarzmesser zog ihn auf die Beine und schleppte ihn zum Tunnel.
»Ich hatte echt sehr viel Vertrauen in dich gesetzt, mein Junge. Und so hintergehst du mich? Wusstest du nicht, dass es niemals jemand schaffen wird zu fliehen?« fuhr er ihn an, als sie alleine waren. Robin sah betreten zu Boden. »Ich bin mehr, als nur enttäuscht. Und du weißt, ich tu das nur ungerne, weil ich weiß, dass du ein guter Junge bist, aber diesmal muss es sein.«
Er zerrte Robin zu einem der Zelte. Aus dem kroch gerade ein verschlafener Mörder.
»Feuerfänger ist gerade dabei einen Brand zu löschen. Ich will, dass du dem hier weh tust. Er hat einen schlimmen Fehler gemacht und muss bestraft werden, also nimm ihn mit, aber sei vor Morgengrauen zurück.« verlangte Schwarzmesser und drückte Mörder eine Peitsche in die Hand.
Robin sah ihn entsetzt an.
»Ich kann auch nicht alles durchgehen lassen.« sagte er leise und ging kopfschüttelnd davon.
Mörder zog sich sein schmuddeliges Hemd über den Kopf und sah Robin abwartend an.
»Los gehts.« meinte er dann und schupste Robin Richtung Friedhof.
Was für eine Ironie, dachte Robin und biss sich auf die Unterlippe.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now