Tag 139

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Der Tag flog, wie so oft in letzter Zeit, wie eine einsame Wolke vorbei. Es passierte nichts aufregendes oder interessantes und die Menschen, die ihn umgaben, waren es im Moment auch nicht wert, dass er ihnen seine Aufmerksamkeit schenkte.
In letzter Zeit fühlte er sich taub und irgendwie leer. Manchmal saß er für Stunden einfach nur da und leckte buchstäblich seine Wunden.
Seine Schultern, der Nacken und die Oberarme waren mit frischen Striemen übersät. Manche brannten und andere bluteten ab und zu.
Der einzige Mann, der ihm hätte helfen können, verweigerte seine Dienste, weil Robin seine Lektion lernen sollte.
Aber Robin würde nie seine Lektion lernen, weil er nicht bereit war aufzugeben.
Immerhin ließ Feuerfänger ihn in Ruhe. Er durfte beim Training fehlen, so oft er wollte, musste dafür nur auf seine Mahlzeit verzichten.
Drei Tage hatte er das ausgehalten, dann legte er sich wieder auf die Erde und schoss auf kleine Ziele in der Ferne.
Die anderen Jungen wussten nicht genau, was geschehen war.
Schwarzmesser hatte es niemandem erzählt und die Männer streuten keine Gerüchte. Auch Mörder hielt den Mund, grinste Robin allerdings ab und zu selbstgefällig an.
Robin hasste ihn mehr, als je zu vor. Genau, wie die anderen.
Nachdem der Brand gelöscht war, hatten sie die Leichen der beiden Deserteure einfach liegen gelassen.
Dass es trauriger Schatten gewesen war, hätte man schnell herausgefunden, aber wer die andere Person war, wusste außer Robin niemand.
Sie war einfach zu unbedeutend gewesen, als dass es eine essentielle Rolle spielte, solange sie kein Feuerjunge oder Goldjunge war.

Die Mittagszeit war vorbei. Eigentlich hätte Robin zurück zu den anderen gehen müssen und sich mit irgendeinem von ihnen prügeln, aber seine Schulter fühlte sich steif an und so blieb er im Schatten.
Ein paar Männer gingen an ihm vorbei. Musterten ihn kurz mit seltsamen Blicken und gingen dann einfach weiter. Keiner kümmerte sich groß um ihn und jedem war es egal, wo sich Robin gerade befand.
»Du lässt dich gehen. Das ist nicht gut. Du musst stark sein und kämpfen. Sonst wirst du sterben. Begreifst du das?« sagte plötzlich jemand und blutige Klinge ließ sich neben ihm auf die Decke fallen.
Robin beachtete ihn nicht und starrte nur verbittert in die Ferne.
Der Junge berührte ihn an der Schulter. Er zuckte zusammen.
»Auch keine glorreichen Narben.« meinte er schulterzuckend. Robin schüttelte den Kopf.
Sie wären glorreich gewesen, hätten Zola und trauriger Schatten überlebt, dann hätte er sich selbst im Stillen feiern können, aber so, war alles für die Katz.
Blutige Klinge seufzte.
»In unserem Leben haben wir immer das Gefühl, wir müssten etwas großes, einzigartiges vollbringen, egal was es uns kostet. Einfach nur um unserem erbärmlichen Leben einen Sinn zu geben. Besonders wir sehnen uns nach Ruhm und Anerkennung, egal von wem. Manche sind bereit Opfer zu bringen und andere wollen nur ihre Haut retten. Was willst du?« fragte er und sah Robin eine lange Zeit in die Augen.
Er zögerte. Er hatte nie darüber nachgedacht, was er jetzt genau wollte. Eines war klar, er wollte sein altes Leben zurück, aber da er wusste, dass dies nicht möglich war, was wollte er?
Blutige Klinge starrte ihn immer noch an. Suchte in Robins Augen, nach etwas, was ihm zeigte, wer Robin wirklich war. Denn er wusste so gut wie nichts über ihn, aber glaubte dennoch ihn irgendwie zu kennen.
Schließlich zuckte Robin mit den Schultern und wandte seinen Blick ab.
»Helfen?«
Wieder Schulterzucken.
»Frei sein?«
Ja, vielleicht. Robin nickte und blickte ihn wieder an.
In blutige Klinges Blick lag Mitgefühl. Er hatte Mitleid mit einem Jungen, dessen Leben tausend Mal besser gewesen war, als seins.
Je höher man steht, desto tiefer fällt man,kam ihm in den Sinn und er hasste es.
Schnell stand er auf und ging zu den anderen, die einen engen Kreis um kaltes Herz und einen anderen kräftigen Jungen gebildet hatten.
Sie feuerten die beiden an und grölten laut herum.
Robin stellte sich neben fallender Tropfen und beobachtete den Kampf kritisch.
Kaltes Herz schien die Situation unter Kontrolle zu haben und jeder Zeit seinen Gegner ausschalten zu können, aber der andere war nicht schlecht und erstaunlich wendig und athletisch, dass mehrfach auf spektakuläre Art und Weise, sich aus kritischen Situationen rettete.
Plötzlich wendete sich das Blatt und in wenigen Sekunden lag kaltes Herz auf dem Rücken im Sand.
Der andere Junge grinste triumphierend. Für einen Moment herrschte Totenstille.
»Was war das denn?« fragte Feuerfänger überrascht.
»Einfach nur ein Trick.« meinte der Sieger gleichgültig. »Beeindruckend, blauer Himmel.« rief gebrochener Stein. » Ich bin doch jetzt sicher ein Feuerjunge oder?« fragte blauer Himmel. »Klar.« sagte Feuerfänger immer noch leicht perplex.
Robin konnte sich nicht erinnern diesen Jungen schonmal gesehen zu haben. Er wirkte auf jeden Fall sehr viel selbstbewusster, als die anderen und schien sehr ehrgeizig zu sein.
»Also, wer ist der nächste?« fragte er mit breitem Grinsen. »Weißer Tiger.« antwortete Feuerfänger stumpf. Robin verdrehte die Augen. Er wollte nicht gegen diesen Angeber antreten. Gegen den zu verlieren, wäre extrem peinlich und er hatte sich schon genug lächerlich gemacht. Allerdings hatte er, Feuerfängers Blick zu urteilen, keine Wahl. Seufzend betrat er den Kreis und half erst einmal kaltes Herz auf die Beine.
»Viel Glück, Kumpel. Unterschätz den ja nicht.« flüsterte er ihm noch zu.
Wir sind keine Kumpel., dachte Robin und drehte sich zu blauer Himmel um.
»Bereit? Weißer?«
Robin funkelte ihn böse an.
Feuerfänger gab das Startzeichen und sofort griff blauer Himmel an.
Er sprang nach vorne und links und rechts und trat und schlug immer wieder nach Robin.
Dieser war im ersten Moment reichlich überfordert, dann erkannte er seine Chancen. Er wartete bis sein Gegner wieder heran kam und warf sich, bevor er zurück springen konnte, nach vorne und und packte ihn um die Taille.
Die beiden Jungen fielen zu Boden.
Blauer Himmel wand sich heftig in Robins Griff und verpasste ihm einen harten Schlag gegen die Seite. Robin ließ ihn los, rollte sich aber in seinen Fluchtweg und bohrte ihm die Hacke zwischen die Rippen. Blauer Himmel keuchte vor Schmerzen auf und krümmte sich kurz.
Robin sprang auf die Beine und verpasste ihm einen Hacken gegen das Kinn. Blauer Himmel hielt für einen Moment den Atem an. Robin sprang außer Reichweite.
Der Junge schüttelte heftig den Kopf und Blut flog zu beiden Seiten. Doch er war noch nicht geschlagen. Mit zwei schnellen Bewegungen war er wieder auf den Beinen und traf Robin am Knie mit seinem Fuß. Er knickte ein und konnte sich noch gerade so halten, als er sich an dem T-Shirt, des Gegners festhielt.
»Lass los! Mistkerl!« schimpfte er und strauchelte unter Robins Gewicht. Wieder landeten die beiden auf dem Boden, aber diesmal hatte blauer Himmel die Oberhand. Er schlug mehrfach auf Robin ein, dass dem ganz anders wurde. Für einen Moment konnte er sich nicht wehren, dann bekam er eine Atempause und bäumte sich auf. Mit einem heftigen Kick schleuderte er den Jungen von sich und sprang sogleich wieder auf die Beine. Er spürte Blut auf seiner Lippe und das Ziehen in seiner Schulter war mehr geworden.
Blauer Himmel richtete sich mühsam auf, machte aber keine Anstalten, Robin noch einmal anzugreifen.
»Was ist? Vorbei?« fragte Feuerfänger empört. »Wir haben beide gezeigt, was wir können. In einem echten Kampf wäre jetzt einer von uns tot.« meinte blauer Himmel. Die Jungen lachten und Robin wandte sich ab.
»Da liegst du falsch. Weißer Tiger ist zwar ein guter Schütze und auch Kämpfer, aber er ist ein Feigling und sehr schlecht in dem, was er eigentlich können sollte.«
»Wie?«
»Weißer Tiger tötet nicht.« erklärte blutige Klinge und legte ihm einen Arm um die Schulter. »Also sollen wir weiter kämpfen?«
»Nein, nein. Schon gut. Wascht euch das Gesicht und kommt wieder. Ihr beiden Kasper seid jetzt dran.» sagte Feuerfänger und deutete auf fallender Tropfen und gebrochener Stein. Die beiden seufzten und stellten sich auf.
Robin ging zum Brunnen und blauer Himmel folgte ihm.
»Ich hätte nicht erwartet, dass du schwach bist. Trotz des guten Kampfes.« meinte er und es klang irgendwie höhnisch. Robin ignorierte ihn. Und wusch sich in der Wanne, mit dem Waschwasser das Gesicht.
»Bist wohl nicht sonderlich gesprächig was? Weißt du. Ich bin zwar noch nicht lange hier, aber ich weiß, wie das hier abläuft und töten von Menschen gehört eindeutig dazu. Deshalb kann ich mir nicht so ganz erklären, warum du noch hier bist. Und nicht längst in der Erde.«
Robin stand auf und sah dem Jungen für einen Moment ins Gesicht.
Er war anders, als die anderen. Sein Auftreten war voller Überzeugung und Willenskraft, zudem wirkte er gepflegter und sauberer, als die anderen. Seine Zähne waren strahlend weiß und begradigt.
Ein leiser Verdacht schlich sich in Robins Bewusstsein.
Aber er hasste diesen Jungen jetzt schon mehr, als die anderen und er wollte sich nicht länger mit ihm beschäftigen.
Er ging.
»Wir werden noch voneinander hören, weißer Tiger.« rief er ihm hinterher. Den Namen sprach er besonders abfällig aus.
Am liebsten würde Robin ihn auf der Stelle erwürgen.

Der weiße TigerOù les histoires vivent. Découvrez maintenant